Jon Hopkins
Immunity
Domino / Good To Go
Techno und Ambient an der Nahtstelle zur Geräuschmusik: elegisch und beatintensiv.
„Jon Hopkins ist unerwartet, aber verdient ‚Platte des Monats‘ geworden“, jubelte Plattenmeister Koch in einer E-Mail kurz vor Redaktionsschluss. Überrascht hat nicht nur der Spitzenplatz in der Monatsliste, sondern, dass Jon Hopkins mal wieder ein Album rausbringt, und wer kennt überhaupt Jon Hopkins? Dass dieses Album sich so gar nicht angekündigt hat, mag daran liegen, dass sein Urheber, ein klassisch studierter Pianist und Acid-House-Lover, bislang vornehmlich im Halbdunkeln gearbeitet hat. Als Produzent für Coldplays VIVA LA VIDA (die Band bedankte sich mit der Neuinterpretation eines älteren Hopkins-Tracks und nahm ihn als DJ mit auf Tour), als Autor und Remixer für Imogen Heap, Kieran Hebden (Four Tet) und David Holmes, als Komponist für den Soundtrack zu MONSTERS (2010), in gemeinsamen Produktionen mit Brian Eno und dem schottischen Songwriter King Creosote.
Einige Ideen, die auf IMMUNITY die Form von ausformulierten Tracks angenommen haben, soll Hopkins auch schon seit Jahren mit sich herumgetragen haben. Was wir hier hören, ist eine Art Sammelalbum, ein Schichtkunstwerk an der Nahtstelle von Techno, Ambient und Geräuschmusik, zusammengetragen mit der sicheren Hand eines Soundbildhauers. „We Disappear“ beginnt mit Fluglärm und entwickelt über Klopf- und Schleifgeräusche einen unwiderstehlichen Beat, der erst nach knapp zwei Minuten in einen Clubkontext gestellt wird. „Open Eye Signal“ direkt im Anschluss kommt schneller auf den Punkt, mit einem sich nach vorne drängelnden Technobeat und einer leicht angekratzten Geräuschsignatur, die an die kosmischen Kuriere der Krautrock-Ära erinnert. Solchen Burnern stellt Hopkins fast elegische Pianostücke und dahinschlurfende Maschinenmusiken gegenüber. Für den Title Track hat der Brite noch einmal Kenny Anderson (King Creosote) ins Studio gebeten, dessen sanftes Säuseln sich über das Knarren einer Wassermühle legt. Das ist Musik für einen Film, der am Morgen nach der Clubnacht beginnt.
Hopkins veröffentlicht Soloalben im Vier-bis-fünf-Jahresrhythmus, einige Tracks seiner 2001er-Ambient-Platte OPALESCENT wurden später bekannt als Soundtracks der großen TV-Shopping-Meile „Sex And The City“. Die DIAMOND MINE-Aufnahmen mit King Creosote verrieten etwas von Hopkins’ Talent als Finetuner, der Soundspitzen aus Field-Recording-Elementen formte, die sich wie selbstverständlich in die akustischen Ökosysteme legten. Bei Hopkins und Anderson kam eine gesunde Ruhe auf. Zwei, drei neuen Stücken liegt dieser Gedanke der musikalischen Befriedung hörbar zugrunde. Dass dabei keine aseptischen Soundscapes für die nächste Wissenschaftsdoku entstanden sind, verdankt sich Hopkins’ Gespür fürs Geschichtenerzählen, er tut dies mit allen Mitteln der Dramaturgie und der Raumausnutzung. Man darf auch Chill Out dazu sagen, wird aber nicht an CAFé DEL MAR denken, eher an die Kuh auf auf dem Cover von Pink Floyds ATOM HEART MOTHER.
Wenn das hier Ambient ist, dann hat der smarte DJ das Futter von Ambient nach außen gedreht, es geht Hopkins nicht um Zitate, sondern um Strukturerkundungen. Sicher hätte IMMUNITY auch schon vor zehn Jahren entstehen können, was das Album uns aber heute erzählen kann, liegt auf der Hand: Der Sieg, den die Produktionsmittel gerne über die produktiven Köpfe davontragen, ist nur von begrenzter Halbwertzeit. Dubstep-Asse mögen im Besitz der besten Software-Updates sein, die sie im Wettlauf um die „Musik zur Zeit“ noch ein paar Beats nach vorne schieben, Hopkins hat sich die Ruhe genommen, all die Entwicklungen zu verschlafen, die ihn nicht interessieren. IMMUNITY ist auch keine Platte zur Zeit, aber mit ordentlichem Vorsprung die „Platte des Monats“.