Kendrick Lamar

GNX

PGLang / Interscope Records (VÖ: 22.11.)

Kendrick Lamar liefert mit GNX ein Übergangsalbum: Weniger Konzept, mehr Show – aber mindestens solide bis gut.

Aus dem Nichts hat Kendrick Lamar am Freitag, den 22. November, sein sechstes Studioalbum gedroppt. Und wie immer, wenn der Rapper und Songwriter aus Compton zurück auf der Bildfläche erscheint, fragt man sich, welche großen Themen dieses Mal umgekrempelt werden, inwieweit er den gesellschaftspolitischen Zeitgeist in den USA einfängt oder ob eine Reise in das eigene Seelenleben stattfindet.

Mehr Show als Consciousness

Die Ernüchterung folgt spätestens, nachdem man GNX zur Hälfte durchgehört hat. Auf den insgesamt zwölf Tracks findet sich zunächst nicht derselbe inhaltliche rote Faden wie beim 2015er TO PIMP A BUTTERFLY (Black Empowerment), dem 2017er DAMN (Sich-Läutern) und dem 2022er MR. MORALE & THE BIG STEPPERS (Traumaverarbeitung). Vielmehr haben wir es mit einem Übergangsprojekt zu tun, in dem viel abgerechnet und Bilanz gezogen wird. Conscious-Rap tritt dieses Mal in den Hintergrund.

Wie in den eher lockeren Representer-Songs „squabble up“, „hey now“ oder auch „peekaboo“ dominieren hauptsächlich Trap-Beats mit Westcoast-Einschlag das Soundbild. Dass es hierauf eher spaßiger zugeht, machen schon die dutzendfache Wiederholung der Titel und bestimmter Catchphrases klar. Auch die im Vergleich mit anderen Lamar-Alben geringe Anzahl der Tracks und deren durchschnittliche Länge (viele dauern nicht länger als zwei bis drei Minuten) deuten an, dass wir es hier mit einem kurzweiligen Hörerlebnis zu tun bekommen. Klanglich stechen vor allem das Piano-Riff und die Baseline von „reincarnated“ heraus. Die könnten nämlich genauso gut von Tupacs ALL EYEZ ON ME (1996) stammen, wurden aber tatsächlich von dessen ein Jahr später erschienenen Soundtrack zum Film „Gang Related“ (1997) gesampelt.

„wacced out murals“, ein Rundumschlag gegen die Rap-Szene, falsche Freunde und ihm unsympathische Comedians, beinhaltet keinen wirklichen Diss, aber eine Spitze gegen Lil Wayne. Der wiederum äußerte sich schon empört auf X zu der Line, in der Lamar behauptet, sein einstiges Idol erfolgstechnisch überholt zu haben.

Im Herzen trotzdem deep

Bei all den bekannteren Formeln finden sich gleichwohl neue Facetten. In besagtem „reincarnated“ wechselt Lamar in den Storyteller-Modus und erzählt Geschichten von nicht namentlich genannten afroamerikanischen Künstler:innen. Vermutlich geht es aber um die Musikikonen John Lee Hooker und Billie Holiday. Ihre von Ruhm und Drogenproblemen bestimmten Biografien scheint Lamar – wie es der Titel schon verrät – erneut zu durchleben.

Am meisten freuen dürften sich Fans auf die Fortführung der „Heart“-Reihe. In deren sechsten Teil reflektiert Lamar, begleitet von einem entspannten Neo-Soul-Beat, sein bisheriges Schaffen und erwähnt seine alten Homies Jay Rock und Ab-Soul. Die nachdenklichen Zeilen, gepaart mit der sanft gesungenen Hook („Use your heart and not your eyes / If you got time and I got time / Free your thoughts and watch them fly / Use your heart and not your eyes“), heben sich zwischen allen Songs deutlich hervor.

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Zum Ende bringt uns der 37-Jährige in „gloria“ noch einmal seine Leidenschaft für die Schreibkunst näher. Dafür wählt er seinen Stift als personifizierten Beziehungspartner seit Teenager-Jahren. Und obwohl das alles textlich spannend verpackt ist, wirkt der Abschlusstrack etwas kitschig.

Que pasa, Kendrick?

Durch GNX ziehen sich außerdem zwei wiederkehrende Motive: Zum einen das titelgebende schwarze Auto mit NASCAR-Optik, das 1987 in Serie ging und ein Sehnsuchtsobjekt des Rappers zu sein scheint. Und zum anderen die Intro-Gesangseinlagen der mexikanischen Mariachi-Sängerin Deyra Barrera, die von Lamars Respekt für die Musikkultur des Nachbarlandes zeugen könnten, aber ehrlicherweise mehr wie cooles Beiwerk als stilprägendes Element anmuten.

Und vielleicht stehen Barreras Einspieler, deren Zeilen sie nach eigenen Angaben im Schnelldurchlauf zu Papier brachte, symptomatisch für die ganze Platte – klingt gut, wirkt aber im Vergleich zu den erwähnten Vorgängeralben ein wenig hingekritzelt. Trotzdem ist GNX alles andere als schlecht. Denn unnachahmliche Flows und clevere Lines, wie auf „tv off“ („So when I made it out, I made about 50k from a show / Tryna show niggas the ropes, before they hung from a rope“) sind wie üblich vorhanden. Man darf gespannt sein, ob sich K. Dot mit seinem nächsten Album dann auch wieder an aufwendigere Konzepte wagt.