Lady Gaga
Chromatica
Streamline/Interscope/Universal (29.5.)
Die größte lebende Popstar-Figura enttäuscht mit Eurodance von der Stange.
Wenn ein Megastar ein neues Album macht, in dem es auch um Traumata infolge einer Vergewaltigung geht, hat die Musikkritik mindestens ein Problem: Wird man auf Autopilot zum Claqueur mit Pokerface, weil das Thema so mutig und wichtig ist und sich dadurch jede Kritik automatisch verbietet? Dann wäre der Text hiermit beendet. Oder setzt man bei einer der wichtigsten Stimmen im Pop dann doch andere Maßstäbe als bei einer x-beliebigen Bastelgruppe mit angeschlossener Gruppentherapiesitzung an – und nimmt Lady Gaga nicht nur als Mensch, sondern auch als Künstlerin ernst?
AmazonDenn dann wäre die entscheidende Frage ja nicht nur „Ist das Thema relevant?“, sondern: Überzeugt die künstlerische Form? Und das tut sie leider nicht. Lady Gaga ballert einen auf ihrem sechsten Studioalbum zu mit 90s-Autoscooter-Trash dritter Güteklasse. Und dabei war es wahrscheinlich, frei nach Dolly Partons Devise, verdammt teuer, so billig zu wirken: Ein Dutzend Produzenten hat Lady Gaga engagiert, damit letztlich etwas dabei rauskommt, das niemals derart bejubelt werden würde, wenn es nicht zufällig – oder besser gesagt: wohlkalkuliert – den Markenstempel Gaga tragen würde: Mit ihrem an queere Traditionen anknüpfenden Disco-House und ihrer empowernden Art, die einem zugesteht, „born this way“ und voll okay und liebenswert zu sein, ist die Lady in den frühen 10er-Jahren zu einer Ikone geworden.
Doch anders als von ihr selbst seit Jahren angekündigt, hat sich Lady Gaga leider keineswegs als Songwriterin weiterentwickelt. Der halbgare Versuch davon auf dem Vorgängeralbum JOANNE (2016) war ein faules Kompromiss-Konglomerat aus einerseits „die alten Fans nicht verprellen“ und andererseits mit Father John Misty „Country- Folk“ zu machen. So besehen ist CHROMATICA in sich sogar stimmiger, weil, bis auf die drei wannabe-arty Streicherminiaturen-Interludes, durch und durch Disco von der Stange, dem aber die Magie der ersten Alben fehlt.
Zwei oder höchstens vier Takte kurze Hooks werden nun wohlfeil aneinanderrepetiert, bis es auch die letzte Reihe kapiert hat. Das mag Spaß machen beim Mitkreischen im Club, ist fürs Zuhausehören des kompletten Albums auf der Mittelstrecke aber einfach nur noch nervtötend. Selbst das Duett mit Elton John wirkt schrecklich unorganisch, als hätte man den Sir in den falschen Film ge-copy-pastet. Bei aller Liebe zur Lady: Dieses Album ist nur was für verblendete Fans. Für die Chartsspitze reicht das aber offensichtlich allemal.