Lisa Morgenstern
Chameleon
Lisa Morgenstern/Soulfood (VÖ: 26.4.)
Die Berliner Musikerin zelebriert zwischen Neo-Klassik und Ambient die große Geste.
Es war in den vergangenen Jahren schwierig, einen Unkundigen von den Qualitäten der Musik Lisa Morgensterns zu überzeugen, man musste die Künstlerin schon live sehen. Die Aufnahmen, die sich im Netz fanden, dienten nicht wirklich einer Beweisführung, weil ihnen das Elektronische, das ein elementarer Bestandteil ihres Klanges ist, größtenteils abging. Nun hat Lisa Morgenstern also ein Album veröffentlicht, es ist nicht das erste, aber in seiner Dringlichkeit, in seiner nachdrücklichen Standortbestimmung passgenauer als das vor einigen Jahren erschienene Debüt.
AmazonMorgenstern und ihr Produzent Sebastian Plano entwerfen auf CHAMELEON breite Liederbögen, die sich alle Zeit der Welt lassen. Die Harmonien schichten, aber nicht unbedingt Melodien. So entsteht ein Sog, der an vielerlei erinnert; Philip Glass ist zu nennen, aber auch Ólafur Arnalds, mit dem Morgenstern zuletzt eine Reihe an Konzerten bestritt. Wobei ihre Herangehensweise dann doch eine andere ist, eine, die eher das Ungefähre sucht, eher die Assoziation als das Ergebnis, eher die Verschmelzung als die saubere Teilung.
Dabei treffen zweierlei Kernkompetenzen aufeinander, einmal eine musikalische, die ihren Höhepunkt früh findet: „Codex“, der zweite Track, näht ein Klavierpattern an getupfte Synthesizersounds, hinten wummert eine Orgel, alles schwillt an und schwillt wieder ab, unvermittelt wechseln Geschwindigkeiten, ein immens interessantes Arrangement.
Noch nicht gesprochen haben wir da über die Stimme, die Lisa Morgenstern nicht auf allen Songs einsetzt. Sie ist variabel, überspringt die Oktaven, ist in Tiefen wie Höhen kristallklar, kann aber auch Pop: Zumindest täuscht sie ihn bisweilen an, wie etwa in „My Boat“. Dieser Song klöppelt wie Ruderschläge, die freilich mitten ins Gewitter lenken.