Megan Thee Stallion
MEGAN
Hot Girl Productions, LLC (VÖ: 28.6.)
MEGAN, das neue Album von Megan Thee Stallion, haut nicht gerade aus dem Thong. Einige Überlegungen zu Körper, Sex, Begabung und Selbstermächtigung im weiblichen US-HipHop .
Als Cardi B 2021 zusammen mit Megan Thee Stallion ihren gemeinsamen Über-Track WAP („Wet Ass Pussy“) bei den Grammys performt, bildet ein gigantisches Bett den Mittelpunkt der Bühne. Die beiden Künstlerinnen zitieren über dieses Setting den einst schwer kritisierten Masturbationsauftritt von Madonna, rekelte diese sich doch 1991, während der Konzerte ihrer „Blond Ambition“ Tour auf einer ähnlichen aber kleineren Version dieses Bühnenmittelpunkts und fakete und rhythmisierte sich aggressiv in Richtung O-Town, was in Europa katholische Sittenwächter auf den Plan rief und in den puritanischen Zonen der USA für Entsetzen sorgte.
AmazonMadonna, klein, weiß und drahtig, zelebrierte ihren Körper schon früh, nutzte seine antrainierte Kraft für das Zeigen eines Frauenbilds, das sich abhob, von den zerbrechlichen, beschützenswerten, seit Jahrhunderten normierten weiblichen Silhouetten. Dieser neue Körper im Pop konnte standhalten. Er hielt stundenlanges Tanzen und Performen durch, war hart und diszipliniert erarbeitet worden und stellte sich auf eine Weise in den Mittelpunkt, die sich endlich einmal vergleichen ließ, mit dem bühnenfüllenden Gebaren der männlichen Stadion-Rocker dieser Zeit.
Ciccone überschritt Grenzen. Sie räumte aus dem Weg. Die Art, wie sie das tat, hatte etwas Erbarmungsloses an sich, das fokussiert und egoistisch daherkam. Das kraftvolle Ergreifen von Chancen, das „I don’t give a shit“ öffnete Türen für nachfolgende Generationen von Künstlerinnen. Interessanterweise auch im Hip Hop, mit einem Unterschied allerdings: Da, wo Madonna den schmalen Längsmuskel zur Blaupause erhob, setzen heutzutage gerade schwarze Künstlerinnen auf Juicyness, feiern Kurven, Dellen und schwellendes Fleisch als machtvolles Mittel zur Selbstdarstellung.
Der Hintern, die Brüste sind, neben Text und Musik versteht sich, die Mitregentinnen im Female-HipHop
Natürlich – auch so ein Körper will zugerichtet, im Gym geformt werden, jedoch verzichtet man jetzt auf die Idee, sich an männliche V-Förmigkeit angleichen zu wollen. Der Hintern, die Brüste sind, neben Text und Musik versteht sich, die Mitregentinnen im Female-HipHop. Sie werden ausgestellt und eingesetzt. Durch Löcher im Kostüm exponiert. Man lässt schwabbeln und rotieren, bietet an und zieht zurück. Ein durchdachtes Spiel mit Begehren und Voyeurismus. Mit Vulgarität und Freude am Fleisch.
Wo Missy Elliott Ende der 90er noch ihren üppigen Body verulkte und ironisierte, verstehen die Hiphoperinnen von Heute keinen Spaß mehr, wenn es um die Wahrnehmung ihres Gesamtpaketes geht. Lil’ Kim, Nicki Minaj, Cardi B, sogar Beyonce oder eben auch Megan Thee Stallion transportieren über die Zurschaustellung des eigenen Körpers nach ihrer eigenen Facon auch eine Form von Sexualität, die selbstbewusst behauptet, sich längst unabhängig gemacht zu haben, von männlicher Geilheit und Wunschdenken. Akkurate, leichtfüßig daherkommende Textarbeit und In-your-face-Körperlichkeit sind das Konzept.
Zwar hatte auch Elliott u.a in ihrem Track „Work It“ von 2002 bereits Forderungen formuliert, die keine zwei Sichtweisen zuließen („Go downtown and eat it like a vulture„), aber heutzutage wird mit noch härteren Bandagen gerhymt. Megan Thee Stallion, Jahrgang ’95, die „Hengst“ unter den genannten Rapperinnen, zeigt seit einigen Jahren, zunächst angeleitet von ihrer ebenfalls rappenden, vor Kurzem bereits verstorbenen Mutter, wo der Pussy-Hammer hängt.
Megan und ihre Mit- und sometimes Gegenstreiterinnen, reden schon lange nicht mehr um den heißen Brei herum
Als Spezialistin für atemloses Beschreiben von eigenen Begehrlichkeiten und Selbstwahrnehmungen, formulierte sie schon 2020 auf ihrem ersten Album GOOD NEWS im Track „Body“, woran sie persönlich Freude hat („If I wasn’t me I would’ve seen myself I would have bought me a drink. Took me home and did me long ate it with the the panties on“). Megan ist beeindruckend, in ihrer physischen Präsenz. In ihren Videos (oft vom großartigen Regisseur Colin Tilley umgesetzt) wird weitererzählt, was sie im Text bereits eindrücklich durchdekliniert hat. Sex, totale körperliche Entgrenzung, Scham und Hemmungslosigkeit sind einige der Hauptzutaten ihres Schreibens. Die visuelle Umsetzung gehört in jedem Fall zu den Tracks dazu.
Megan und ihre Mit- und sometimes Gegenstreiterinnen, reden schon lange nicht mehr um den heißen Brei herum, wie Madonna zu Beginn ihrer Karriere noch tat. Wenn der erste Schock vorbei ist, lassen sich die Grenzen des Unsagbaren und des, ja, aufregenden Ekels eben beliebig ausdehnen und erweitern. 2022 kam Megans zweites Werk heraus, es trug den Namen TRAUMAZINE und beschäftigte sich mit Verletzungen und Unsicherheiten und wie man sie überwinden kann. In den USA war es zumindest ein Top-10-Erfolg.
Wo Erfolg ist, wird gewühlt und geklagt – es ist ein bekanntes Prinzip
Vor Kurzem erschien nun ihr drittes Album, selbstbetitelt trägt es den Namen: MEGAN. Nach Streitigkeiten mit dem alten Label, gründetet Thee Stallion ihr eigenes („Hot Girl Productions“), allerdings mit einem zusätzlichen Vertriebsdeal der Warner Music Group, und schoss mit der Singelauskopplung „Hiss“ auf die Nummer 1 der Billboard Charts. Ein Hit also, auch ein Disstrack gegen Nicki Minaj (aus komplexeren Gründen) und der Startschuss zu so manchem Dauerfeuer der Kritik an Megans Person, zumindest in den Staaten. Wo Erfolg ist, wird gewühlt und geklagt – es ist ein bekanntes Prinzip. Manchmal geschieht dies zu unrecht, aber in ihrem Fall …
Thee Stallion nämlich tat, dessen wird sie von einem ehemaligen Mitarbeiter beschuldigt, wohl leider genau das, wogegen sich die Feministinnen im Business seit langem wehren. Sie sorgte in der Vergangenheit für unerträgliche Arbeitsbedingungen ihrer Assistent:innen (unbezahlte Überstunden, kein Festgehalt) und veranlasste das Einsperren des nun klagenden Mitarbeiters in ein Auto, in dem sie in seiner Gegenwart Sex mit Frauen praktizierte, was ihm ein „traumatisches Erleben“ bescherte. Machtgefälle, ick hör’ dir trapsen. Was von einer Seite mal Usus war und ist, darf natürlich nicht von anderer gegenpraktiziert werden. Weil es die gleiche Scheiße in Grün ist.
Der Prozess zu dieser Causa ist wohl noch im Gange, hoffen wir, dass er hier und da Augen und Hirne öffnet. Ich persönlich erwarte nun wirklich kein Twerken für den Frieden, so mancher Typ kann meinetwegen hypererregt zwischen Arschbacken nach Luft japsen, um dann abserviert zu werden. Aber: Es ist doch zu schade, wenn ein künstlerisches Produkt von Hate, Unterdrückung und Gedankenlosigkeit in den Hintergrund gedrängt wird. Das bringt doch niemanden weiter und schadet dem Vermächtnis von Vorreiterinnen wie Missy und Madonna, um mal den Kreis zu schließen.
MEGAN überzeugt zwar, wie schon die beiden Vorgänger, durch Flow und textliche Qualität, langweilt aber streckenweise etwas.
Okay, das Album. MEGAN überzeugt zwar, wie schon die beiden Vorgänger, durch Flow und textliche Qualität, langweilt aber streckenweise etwas. Mit „Hiss“ ploppte gleich zu Beginn der Banger raus, danach tut sich zwar noch was, aber der Wow-Effekt bleibt eher aus. Zu simpel die Sounds, zu eindimensional die Themen. Mal bedient sich Thee Stallion bei Kendrick Lamar, mal bei dem frühen LL Cool J, was hätte lustig sein können, hätte sie nicht die falsche Schaffensphase des Samtlippigen erwischt.
Immer wartet man darauf, daß es losbollert, vergebens leider. Das Album schwächelt in punkto Variantenreichtum, obwohl mit Victoria Monet, GloRilla, UGK, Big K.R.I.T., Kyle Richh & Yuki Chiba kollaboriert wird, versprüht aber Begabung. Talent. Saftigkeit. Und Mut. Hoffentlich kommt das nächste etwas konzentrierter daher, ohne den ewigen ablenkenden Zickenkrieg, der alles verkleistert, was zum Zwischenmenschlichen oder zur Weltlage zu sagen wäre. Das hat ja neulich bei Kendrick und Drake auch schon genervt. Und die haben noch nicht mal vernünftige Titten.
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