Radiohead

A Moon Shaped Pool

XL Recordings

Zeit für einen Tauchgang! Das neue Radiohead-Album ist für Radiohead-Verhältnisse durchschnittlich, oder wie andere Bands sagen würden: fantastisch.

Man will dieses Wort im Zusammenhang mit dieser Band ja gar nicht in den Mund nehmen. Doch hier ist es manchmal angebracht: Die meisten Stücke auf A MOON SHAPED POOL klingen sehr organisch. Und auch wenn im Hintergrund viel Deko hängt, beanspruchen akustische Gitarre und Klavier fast immer die Hauptrolle für sich, Konkurrenz machen da höchstens die Streicher des London Contemporary Orchestra. Radiohead haben bei A MOON SHAPED POOL viel auf die Melodienkarte gesetzt und mehr klassische Songs geschrieben, als man es nach Thom Yorkes jüngsten Solo-Ausflügen in Richtung Clubmusik erwarten konnte. Es dürfte ihr leisestes Album sein. In Glücksfällen, man höre sich „Daydreaming“, „Decks Dark“ oder „Present Tense“ an, mündet die neue Ruhe in einem stillen Perfektionismus, den keine andere Band je so hinbekommen könnte. In weniger guten, siehe „Glass Eyes“, hören wir nur den Versuch, einen solchen zu kreieren, wie es jede andere Band hinbekommen könnte.

Das neunte Radiohead-Album ist das erste, das dem Werk der Band nicht wirklich etwas hinzufügen kann.

Natürlich kann man das Ganze auch als konsequente Fortsetzung von THE KING OF LIMBS betrachten. Ein elektronischeres, wilderes Album zwar, doch schon da bestanden ein paar der besten Songs aus fast nichts. „Codex“, das von einem Tauchgang in einem glasklaren See handelt, brauchte nicht mehr als Thom Yorkes Stimme, ein verzerrtes Klavier und Vogelgezwitscher. Etwas von ebendieser DNA, da wären wir wieder, ist auch an „True Love Waits“ kleben geblieben. Es passt also ins Konzept, dass der Deluxe-Variante des neuen Albums ein dreiviertelsekündiges Mastertape aus einer zufälligen Phase der Bandgeschichte beiliegt – denn bereits bekannte Feinheiten hört man an so vielen Stellen von A MOON SHAPED POOL ohnehin.


Was uns letztlich zu einer nicht schlimmen, aber ungewohnten Erkenntnis führt: Das neunte Radiohead-Album ist das erste, das dem Werk der Band nicht wirklich etwas hinzufügen kann. Streicherorgien? Kennen wir von „How To Disappear Completely“ und dem unzerstörbaren „Pyramid Song“. Das alles aufsaugende Jaki-Liebezeit-Schlagzeug? „The National Anthem“. Einfacher, effektiver, brillanter Akustik-Pop? „Jigsaw Falling Into Place“. Kammermusik? „I Will“. Auf den ersten Blick belanglose Gitarrenlicks, die plötzlich doch im Stande sind, einen ganzen Song zu tragen? „Give Up The Ghost“. Federleichte Rückwärts-Beats? „Like Spinning Plates“. Die Liste ließe sich fortsetzen. Insofern beginnt auf diesem Album, dessen Songs eine Gesamtwartezeit von mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Buckel haben, tatsächlich eine neue Ära für Radiohead: Die des Selbstzitats. Bislang können wir sehr gut damit leben. Doch die Angst, das nächste Album könnte das erste schlechte seit PABLO HONEY werden, die ist doch ein gutes Stück gewachsen.

Mindestens ein Ass hat Thom Yorke dennoch im Ärmel. Als ihn ein chilenischer Journalist 2009 fragte, was denn das beste Lied sei, das er je geschrieben hat, antwortete er mit den Worten: „Dawn Chorus“. So heißen nun zwar zwei jüngst in London gemeldete Firmen, die wohl die Gewinne der Band verwalten sollen, doch vom gleichnamigen Song haben wir immer noch nichts gehört. Ist der Nachfolger von „True Love Waits“ schon gefunden?