Straight Outta Compton
Es geht um Rap-Musik. Um Straße. Und um Gewaltexzesse zwischen Gangs und der Polizei, von denen die Rap-Musik erzählt: das N.W.A-Biopic „Straight Outta Compton“.
Ein Panzer rollt durch die Straßen Comptons, ungnädig bahnt er sich seinen Weg durch die Siedlung bis zu einem Haus, das sehr heruntergekommen aussieht. Drinnen werden Crack und andere Dogen gebunkert und vertickt. Der Panzer verfolgt nur ein Ziel: das Haus dem Erdboden gleich machen und die Dealer festnehmen – ohne Rücksicht auf Verluste. Es sind harte Zeiten in den von Rassenunruhen und immenser Polizeigewalt geprägten Vierteln von South Central Los Angeles. Hier befindet sich die Gegend, aus der sich eine der gewaltigsten Rap-Formationen unserer Zeit bilden wird. Und genau da setzt die Geschichte des Films „Straight Outta Compton“ ein, dem seit Monaten erwarteten Biopic über die fünf Rapper Ice Cube, Dr.Dre, Eazy E, MC Ren und DJ Yella aka N.W.A (Niggaz Wit Attitudes).
Schon vor Jahren hatten sich Andre Young alias Dr. Dre und O’Shea Jackson, besser bekannt als Ice Cube, über eine mögliche Verfilmung ihrer Band-Geschichte unterhalten. Dre hatte zunächst gezögert und stieg letztlich doch mit ein. Im August 2015 ist es so weit und der Film, der von beiden N.W.A-Gründungsmitgliedern mitproduziert wurde, feiert seine Europa-Premiere in Berlin. Es ist eine andere Art von Premiere: Statt eines roten Teppichs liegt hier ein schwarzer, statt Anzug und Krawatte tragen die meisten Gäste College-Jacken, weite Shirts und Turnschuhe. Ice Cube ist da mitsamt Sohn, der seinen Vater im Film verkörpert, Regisseur F. Gary Gray ist da, nur Dr. Dre fehlt überraschenderweise.
Der ungeahnte Aufstieg
An diesem Abend geht es jedenfalls nicht um einen weiteren pseudo-intellektuellen Film. Es geht es um Rap-Musik. Um Straße. Und um Gewaltexzesse zwischen Gangs und der Polizei, von denen die Rap-Musik erzählt. In einem Teil des Landes, in dem Sozialromantik und Hochglanz-White-Amercia-Klischees in den 80er-Jahren keine Chance haben. In Compton. Dort, wo Musik, schwarzer Rap von MCs und Radio-DJs abseits Kaliforniens zunächst belächelt wird.
Niemand glaubt so recht an die Durchschlagskraft einer kleinen Gruppe aus Rappern und Beat-Produzenten, die mit ihren innovativen Sounds, Texten und Stimmen schon sehr bald zu Repräsentanten einer ganzen Generation avancieren. Einer Generation nämlich, die es leid ist, im Schatten des übermächtigen, weißen Amerikas ständiger Demütigung und rassistischer Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Im Film ist zu sehen wie der erste Manager von N.W.A, Jerry Heller, mit dem alle fünf Rapper früher oder später brechen werden, weißen Talent-Scouts verschiedener Platten-Labels seine Truppe präsentiert. Nur einer, Bryan Turner von Priority Records, glaubt an ihr Talent. Denn er erkennt: Hier erhebt sich der Mainstream taugliche schwarze Rap-Widerstand. Nicht in Form von körperlicher Gewalt, sondern in Form von Musik. Überall wo N.W.A mit ihrer Musik auftauchen, befeuern sie zweifellos auch die Wut auf die Ohnmacht und Ausweglosigkeit ihrer Situation, gegen die die Menschen in den verlorenen Vierteln der USA nun verstärkt aufbegehren. Bei einem ihrer Gigs in Detroit werden die Rapper festgenommen, worauf der erzürnte Fan-Mob mit brennendem Müll die Polizei verfolgte. Grund für die Eskalation ist ihr Song „Fuck Tha Police“, der 1988 den Nerv der Zeit trifft und sogar das FBI dazu veranlasst, den Song bei Auftritten zu verbieten.
Musik für Gerechtigkeit
Für N.W.A steht da schon längst fest: Es muss Schluss sein mit der Unterdrückung der Rechte der schwarzen Community. Schluss, mit der unverhältnismäßigen Polizeigewalt. Ihr Debütalbum, das wie der Film den Titel „Straight Outta Compton“ trägt, macht die fünf Jungs aus L.A. in kürzester Zeit zu US-Rap-Superstars – der Westcoast-Rap ist geboren. Die Härte, die Authentizität und die politische Macht ihrer Musik bleiben bis heute unerreicht. Gerade jüngste Vorkommnisse in Baltimore oder Ferguson machte auf tragische Weise deutlich, dass die Message von N.W.A und ihre Haltung gegenüber Polizeigewalt bis heute nicht an Brisanz und Relevanz verloren haben. Und der Soundtrack zu dieser Attitüde überrollt einen fast 30 Jahre später noch immer.
https://youtu.be/K3-7cYbwUXw
Wenn die Jungs im Studio ihre Musik aufnehmen, wenn sie live vor Publikum spielen und dabei die Entstehungsgeschichte ihrer Musik und ihres Aufstiegs emotional und mitreißend erzählt wird, ist der Film am stärksten. Das Publikum im Berliner „Sony Center“ johlt jedes Mal laut auf, wenn einer der brachialen N.W.A-Songs durch die „Dolby Surround“-Boxen hämmert. Die Dialoge wirken authentisch, vorausgesetzt man sieht sich den Film im amerikanischen Original an, in der deutschen Übersetzung klingt so manches „Das Ding ist dope, Mann“ etwas lächerlich. Die Schauspieler, allesamt Newcomer, überzeugen durch glaubhafte Darstellung der Charaktere. Gerade O’Shea Jackson Jr. spielt seinen Vater Ice Cube auf so brillante Weise, dass man die beiden kaum unterscheiden kann.
The Real Dark Knight?
Ein kleines filmisches Highlight ereignet sich ganz nebenbei. Dre ist nach seinem Weggang von Ruthless Records – das Label, auf dem N.W.A in Original-Besetzung ihr erstes Album aufnahmen – derzeit mal wieder im Studio. Ein bekannter Beat ertönt und kein geringerer als Tupac Amaru Shakur, den man 1996 unter dem Namen 2Pac als eine der wohl größten Entdeckungen Dr.Dres bereits weltweit kennt, spittet seine Verse zu „Hail Mary“ ins Mikro. Doch vor der Tür des Aufnahmestudios eskalieren die Freunde seines neuen Label-Boss’ Suge Knight mal wieder ausgelassen. Die Zusammenarbeit mit Knight und dessen Label Death Row Records verläuft für Dre nicht zur vollsten Zufriedenheit: Auch dieser Konflikt wird im Film immer wieder thematisiert.
So bleibt der krasseste Gangster von „Straight Outta Compton“ tatsächlich Suge, der in diesen Tagen mal wieder vor Gericht steht. Wegen Mordes. Doch wen wundert das, bei seinem von Gewalt-Übergriffen und Gerichtsverfahren durchzogenen Lebenslauf. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine, die vielleicht auch eines Tages in einem eigenen Biopic erzählt wird. „The Real Dark Knight“, so könnte es lauten. Aber ob so ein Film am ersten Wochenende nach Kino-Start ebenfalls 56 Millionen Dollar einspielen würde? Fraglich.
Mehr News und Stories