Album der Woche

The Smile

CUTOUTS

XL/Beggars/Indigo (VÖ: 4.10.)

Der Indie-Rock des Thom-Yorke-Nebenprojekts strotzt dermaßen vor Spielfreude, dass eine Rückkehr zu Radiohead fraglich scheint.

Zu den umjubelten Highlights von Radiohead-Konzerten gehören die Momente, wenn der alte „Creep“ Thom Yorke den Groove fühlt. Wenn der Mittfünfziger wie eine Discodiva die Arme über den Kopf hebt und mit dezentem Hüftschwung das Bäuchlein viben lässt, rasten die Leute aus. Solche ekstatischen Momente gibt es auch auf CUTOUTS, dem dritten Studioalbum von The Smile, ein Seitenprojekt der Radioheads Thom Yorke (vocals, guitar, bass, keys) und John Greenwood (guitar, bass, keys) mit dem Jazz-Schlagzeuger Tom Skinner. Die drei arbeiten seit 2020 zusammen. Im Lockdown brütete John Greenwood einen exponentiellen Anstieg an Riff-Ideen aus, die anschlussverwertet werden wollten – der Startschuss für The Smile.

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Seither sprudelt der kreative Output dieses Trios wie der Vulkan vor Grindavik. Die CUTOUTS erscheinen nur neun Monate nach WALL OF EYES. Vielleicht als Trostpflaster für die Deutschlandtour der Band, die im Juni nach dem Berlin-Gig wegen einer schlimmen Infektion Greenwoods abgebrochen werden musste. Man weiß es nicht. Die Band gibt keine Interviews, sie gibt Musik. Und die bewegt sich in einem ganz eigenen Sounddesign, das mit jeder Produktion an Profil gewinnt. Zentralen Halt in ihrem organischen Progressive Rock 2.0 bietet das unerschütterlich klackernde Schlagwerk von Tom Skinner sowie der Moog-Synthesizer, der seit den Tagen von Emerson, Lake & Palmer nicht mehr so schön gebrunzt hat.

Seine Texte scheinen im Moment entstanden; sie sind assoziativ und machen selten Sinn

Oft führt der Bass oder auch ein Jazz-Klavier die Melodie, an der Thom Yorkes beseelte Kopfstimme mit Vibrato vorbeigesegelt kommt. Seine Texte scheinen im Moment entstanden; sie sind assoziativ und machen selten Sinn. Auffällig oft wird jemand weggesaugt: durch ein Schlüsselloch („The Slip“) oder in ein Schwarzes Loch, oder jemand bricht mit dem Hintern durch Glas und alle lachen („Bodies Laughing“). Fast meditativ läutet „Foreign Spies“ das Album ein. Yorke besingt zu sphärischen Wohlfühlklängen die Schönheit des Planeten, darunter puckert sich der Moog sanft hinüber zum „Instant Psalm“, einer bittersüßen Elegie über Leere und Alleinsein an der Akustikgitarre. Und dann reißt’s einem auch schon die Arme hoch.

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Nervös wie ein Talking-Heads-Song klöppelt sich „Zero Sum“ heran, die Rhythmusgitarre nimmt Fahrt auf, ein Bariton-Saxofon droht, alles steigert atonal auf den erlösenden Moment hin, in dem das Chaos so genial ineinandergreift, dass man nur noch Bass, Beine, Po versteht. Ähnliche Tanzimpulse bei „Eyes And Mouth“, einer Art Zwiegespräch von Yorkes Kopfstimme mit seiner Gitarre und Skinners Spiel auf der Snare, deren exquisiter Sound hier besondere Erwähnung verdient.

Es ist der luftige State-Of-The-Art-Sound, das Know-how und die Arbeitsweise, die einen wohlig an Can denken lassen. Das Prinzip Bereicherung statt Konkurrenz prägt auch The Smile: Die Männer musizieren gemeinsam und gleichberechtigt. Manche Passagen klingen improvisiert und – auch das war typisch für die Kölner Pioniere – wie in einem einzigen Take aufgenommen. So sehr werden diese reichen, vor Ideen strotzenden CUTOUTS durch Spielfreude und gegenseitige Inspiration bestimmt, dass eine Rückkehr zu Radiohead langsam fraglich wird.

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