Geschenkt ist noch zu teuer: Wer das neue Album der Pop-Superstars U2 in seiner iTunes-Mediathek findet, kann es ungehört löschen.

Am 9. September hatte Apple zwei Hiobsbotschaften für Musikliebhaber. Erstens: Die Produktion des liebgewonnenen iPod Classic wird eingestellt. Zweitens: Es gibt ein neues U2-Album, und alle iTunes-Nutzer bekommen es kostenlos in ihre Mediathek gestellt, ob sie wollen oder nicht.

Aber nein, wir wollen nicht zynisch sein. Vielleicht steckt hinter der Veröffentlichung der 13. U2-Platte ja doch mehr als ein Marketing-Gag, der die neue Musik einer ausgebrannten Altherren-Band als wichtigste Neuerscheinung des Jahres dastehen lässt. Vielleicht haben die Iren ja noch einmal ein richtig gutes Album zustande gebracht, wie zuletzt vor 14 Jahren mit ALL THAT YOU CAN’T LEAVE BEHIND. Schauen wir dem geschenkten Gaul doch ein bisschen ins Maul.

„Wir wollten eine sehr persönliche Platte aufnehmen“, sagt Bono über die SONGS OF INNOCENCE, die er bald wieder in die Stadien dieser Welt schmettern wird. In seinen Texten thematisiert der 54-Jährige seine Kindheit in der Cedarwood Road in Dublin und den Tod seiner Mutter Iris, die starb als er 14 war. Auch ein Song über ein Bomben-Attentat, das Bono selbst miterlebt hat, darf 31 Jahre nach „Sunday Bloody Sunday“ nicht fehlen („Raised By Wolves“).

Doch die Themen mögen noch so gewichtig und intim sein, verpackt im aalglatten Stadion-Sound der Band wirken die Songs bestenfalls einschläfernd. Fünf Produzenten – Danger Mouse, Declan Gaffney, Paul Epworth,  Ryan Tedder und Flood – haben an den SONGS OF INNOCENCE herumgedoktert. Jetzt klingen sie hochmodern und kalkuliert, so als hätte Apple-CEO Tim Cook selbst eine Platte unter der Aufsicht angesagter Produzenten aufgenommen.

Die erste Single „The Miracle (Of Joey Ramone)“ ist das akustische Äquivalent eines Ramones-T-Shirts von H&M. Mit der gebremsten E-Gitarre und den „oh-uh-oh“-Chören führt der Song die Bedeutung des Punk-Sängers und seiner Band ad absurdum. U2 bestehen auf weitere Querverweise: „California (There Is No End To Love)“ beginnt als unheilige Snow-Patrol-Version von „Barbara Ann“, und „This Is Where You Can Reach Me Now“ ist von The Clash inspiriert – was niemandem auffallen würde, wenn Bono nicht in einem Interview darauf hingewiesen hätte. Dann der erste richtig gute Song: „The Troubles“, ein gelungenes Duett mit Lykke Li – die vermutlich nach einer Zielgruppenanalyse gecastet wurde –, lässt aufhorchen – doch da ist die Platte auch schon zu Ende.

Dass U2 ein weiteres belangloses Album aufgenommen haben, wäre nicht so schlimm. Der wahre Affront besteht darin, dass wir ihre SONGS OF INNOCENCE in den nächsten Monaten nicht nur übers Radio um die Ohren gehauen bekommen werden, sondern dass sie sich auf perfide Art und Weise auf unsere Festplatten geschlichen haben. Vielleicht ist es Zeit, wieder zu Winamp zu wechseln.