Robbie Williams: Let Me Entertain You
Er war Schulschwänzer, arbeitsloser Punk, Möchtegern-Schauspieler, Boygroup-Depp, Oasis-Groupie, Alkoholiker und Drogenwrack. Er wurde erst angehimmelt und gefeiert, dann verspottet, ausgelacht und abgeschrieben. Und dann verspottet, ausgelacht und abgeschrieben. Und dann wurde er zum größten (und einzigen) Superstar unserer Tage...
Wer oder was ist Robbie Williams wirklich, und wie kam es dazu? Wir werfen einen Blick zurück auf ein Leben und zwei Karrieren – vor dem Start der dritten …
Die Geburt des Phänomens war ein unwirklicher Affenzirkus. Im ‚ Sommer 1995 schwappte eine beängstigende Welle von Hysterie und Verzweiflung durch Europa und machte auch jenem Teil der Bevölkerung, der sich bis dahin für Boygroups ebenso sehr interessiert hatte wie für das Herstellungsverfahren von Graved Lachs, klar, dass es da etwas namens Take That gegeben hatte und nun nicht mehr gab, jedenfalls nicht mehr ganz: Am 17. Juli verkündete ein unscheinbarer junger Mann namens Robbie Williams, er werde die Gruppe (mehr oder weniger freiwillig) verlassen und eine Solokarriere starten. Bundesweit (und in ganz Europa ebenso) wurden noch am selben Tag Not-Telefone eingerichtet, um des Take-That-losen Lebens müden Kindern die Selbstentleibung auszureden. „Eltern sollten das ernstnehmen“, mahnte der Bielefelder „Jugendforscher“ Klaus Hurrelmann, „und ihre Kinder auf keinen Fall auslachen.“ Demonstrationen, zu denen sich Fans in vielen Städten versammelten, um die radikale Reform ihrer Lieblingsgruppe zu verhindern, blieben erfolglos.
Was Williams dann die nächsten zwei Jahre unter dem Begriff „Solokarriere“ zu verstehen schien, hatte auch für weniger teenige Beobachter des Showgeschäfts hohen Unterhaltungswert: Von eigentlich fest eingeplanten Tour-Verpflichtungen befreit, stürzte sich Robbie mit frisch blondiertem Strubbelkopf in einen wilden Festivalsommer (sein nicht genehmigter Ausflug nach Glastonbury, wo er Oasis sehen wollte und sich auch gleich heftig zugedröhnt mit den Gallagher-Brüdern fotografieren ließ, gilt vielen bis heute als Anlaß für seinen sofortigen Rauswurf bei Take That), floh zwischendurch nach Südfrankreich, versteckte sich bei Freunden, führte auf der Straße Selbstgespräche („Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass keine Bodyguards mehr um mich waren“), taumelte von Party zu Party, ließ sich am Pub-Tresen festschrauben, hatte die Nase so voll, dass sie nur noch mit Kokain zu reinigen war, schloss sich für ein paar Wochen dem Oasis-Exzeß-Tross an und war wahlwiese als deren neuer Sänger oder Frontmann einer Band namens Sportswear (mit Noel und dem Ex-Stone-Roses-Bassisten Mani) im Gespräch (um später von Noel Gallagher als „fetter Tänzer von Take That“ bezeichnet zu werden), legte sich ein paar Lagen Speckpolster zu, pflückte diverse Blüten aus dem Celebrity-Affären-Garten. Zwischendurch blieb auch noch Zeit für diverse Auftritte als Moderator im Frühstücksfernsehen und Reklame-Model – und Vertragsverhandlungen. Gerüchte nennen Angebote von bis zu zwölf Millionen Pfund für fünf Alben des Mannes, der sich Anfang 1996 mit der Auszeichnung „Loser des Jahres“ schmücken darf, schließlich bei der EMI-Tochter Chrysalis unterschreibt und im Juli 1996 das Auslaufen des Take-That-Vertrages (der ihn mit einer letzten Knebel-Klausel noch verpflichtet hatte, erst nach Gary Barlow und Mark Owen eine Soloplatte zu veröffentlichen) standesgemäß mit der George-Michael-Coverversion „Freedom“ feierte. Während der Pressekonferenz zur Single im Londoner Royal Lancaster Hotel (am Abend des EM-Spiels England- Deutschland, aber selbstverständlich erst nach Abpfiff) kartete der nun endlich frischgebackene Solokünstler noch mal ein bißchen nach und bezeichnete den Take-That-Manager als „Mafiaboss“. Platz zwei der britischen Charts (hinter den Spice Girls) zeigte immerhin, dass der Rummel seine Wirkung getan hatte und man sich noch an ihn erinnerte.
Den Herbst verbringt Robbie in Miami damit, sich in Form zu bringen und an Songs für sein Soloalbum zu arbeiten. Im Oktober lässt die Trennung von seinem Manager Tim Abbott aufhorchen; das gerade erst generalüberholte Image hat schon wieder Risse. Es folgt Absturz Teil zwei, immer wieder unterbrochen von Interviews, in denen Williams zugibt, Bier, Champagner, Kokain, Schlaftabletten und was noch alles in sich reingepumpt zu haben, jedes Mal aber entschieden behauptet, dies sei nun ein für allemal vorbei (abgesehen von etwa 80 Silk-Cut-Zigaretten am Tag). Als er im Mai 1997 anläßlich des Erscheinens seiner zweiten Solo-Single „Old Before I Die“ gefragt wird, was er denn das letzte Jahr so getrieben habe, meint er schließlich nur noch: „Well, dies und das, nicht wahr? Ich kann mich an das meiste nicht erinnern. Ich war verdammt blau.“ Seine Mutter weiß auch nicht mehr: „1995 hat sich Robert in Trent von mir verabschiedet und fuhr zu einer Neujahrsparty in London „, erzählt sie später. „Das muss eine ziemlich abgedrehte Party gewesen sein, denn ich habe ihn zwölf Monate lang nicht mehr gesehen.“
Als sie schließlich das Warten satt hat, lässt sie sich zur Suchtberaterin ausbilden, fährt nach London und findet ihren Sohn, auf den inzwischen Wetten laufen: Wird er die nächsten 12 Monate noch überleben? Was Janet findet, macht da wenig Hoffnung: Robbie in einem vollständig heruntergekommenen Apartment, Batterien von leeren Wodkaflaschen, Zigarettenstummel in zermanschten Essensresten, klebrig-versiffte, seit Monaten nicht gewaschene Bettlaken. „Ich saß in meinem eigenen Misthaufen“, sagt Robbie im Herbst 1997 “ dem Londoner Obdachlosenmagazin The Big Issue, und ein Jahr später stellt er fest: „Sterben wäre wohl der nächste Schritt gewesen. Ein paar Mal im Suff habe ich vielleicht daran gedacht, mich umzubringen, aber ich bin nicht tapfer genug, und außerdem liebe ich mich selbst zu sehr.“ Ein erster, von Elton John vermittelter Termin bei dem „Drogen-Papst“ Beechy Colclough, der schon Michael Jackson behandelt hat und zu dem ihn seine Mutter schleppt, bringt wenig: „Mütter“, meint Robbie, „machen Müttersachen. Sie ist Beraterin, und Berater sind sehr gut darin, mit den Problemen anderer Leute fertigzuwerden. Aber ihre eigenen Probleme kriegen sie nicht auf die Reihe, und ich war ihr eigenes Problem. Was hätte sie tun sollen mit jemandem, den sie liebt und der total im Eimer ist, verzweifelt, verunsichert und verlogen?“ Der Anstoß zur Einsicht muss von außen kommen.
Er kommt schließlich von unerwarteter Seite: „Mein Idol Eric Clapton sagte zu mir: Drogen sind schlecht für dich, lass die Finger davon. Und plötzlich sah ich alles mit gänzlich anderen Augen: Er war gesund, hatte viel Geld, ein tolles Haus, ein schönes Auto- all das wollte ich auch haben.“ Anfang Juni liefert sich ein sichtlich heruntergekommener Williams in Colcloughs Suchtklinik Clouds House in Salisbury (Wiltshire) ein. Dort schläft er in einem Sechs-Bett-Zimmer ohne Fernseher, ohne Radio, ohne Gameboy, ohne Ausgang – auch Bücher und Zeitungen sind verboten, dafür ist Geschirrspülen Pflicht. Die Klinik folgt ansonsten in groben Zügen der „Minnesota-Methode“ der „Anonymen Alkoholiker“: Es gibt ein Programm von Zwölf Punkten, an denen die Patienten ihr Leben ausrichten. Punkt eins: das Geständnis, dass man süchtig ist. Punkt zwei: der Glaube an eine höhere Macht, die einen „heilen“ kann. Unumstritten ist die Methode nicht: Berühmt wurde der Fall des Manic-Street-Preachers-Gitarristen Richey Edwards, der nach seiner Zeit in der ähnlich arbeitenden Priority-Klinik zwar drogenfrei war, dessen Persönlichkeit sich aber auf unheimliche Weise verändert hatte – bis er schließlich kurze Zeit später verschwand. Auch Williams hat seine Probleme mit dem Programm, zumindest anfangs: „Ichglaube nicht an Gott, und ichglaube nicht an Religion. Aber ich glaube an eine höhere Kraft, der man sich ergeben muss“
Dann lernt er, nicht nur ohne Privatsphäre in einem Raum mit anderen Menschen zu leben, die ihm nicht immer wohlgesonnen sind („Am Anfang sagte jemand zu mir: ,Du hast’s gut. Wenn du hier rauskommst, kannst du dir irgendein Model schnappen.'“), sondern noch eine Menge mehr: „Wir Engländer sind sehr verklemmt. Wir masturbieren nicht mal. Wir scheißen nicht, wir furzen nicht, und wir zeigen unsere Gefühle nicht. Die Leute laufen innerlich verkrüppelt durchs Leben, weil sie ihre Gefühle nicht zeigen dürfen oder nicht dazu fähig sind, weil man es ihnen nicht beigebracht hat. Die Kur war ziemlich kathartisch, ziemlich erniedrigend. Als Süchtiger kennt man nur eine Person: sich selbst, das Riesen-Ego. Aber in der Klinik interessiert es keinen, für wen oder was du dich hältst. Die pfeifen drauf. Es war das erste Mal, dass ich ich selbst war. Du setzt dich hin und redest, und es ist völlig egal, wer du bist.“
Das Kurprogramm kostet 4.000 Pfund; Robbie ist nicht kranken versichert und muss den „Spaß“ aus eigener Tasche bezahlen. Sechs Wochen später ist er wieder draußen – fast 13 Kilo leichter, mit geschorenem Haupt, vor Energie sprühend. Und nachdem er sich sogar mit Intimfeind Gary Barlow versöhnt hat, stellt er erstaunt fest: „Ich wußte vorher gar nicht, dass man das Bedürfnis haben kann, seine Probleme auf die Reihe zu kriegen.“
Es war nicht das einzige, was der am 13. Februar 1974 in Tunstall bei Stoke-on-Trent (etwa 35 Kilometer südlich von Manchester) geborene Robert Peter Williams auf die harte Weise by doing lernen musste. Seine Eltern Janet und Peter Williams hatten sich getrennt, als er zwei war; Robert blieb mit der älteren Schwester Sally bei der Mutter und wurde, langsam aber sicher, Robbie (den Namen verpasste ihm allerdings erst Take-That-Manager Martin Smith). Mit sieben Jahren ist er als Klassenclown und Pub-Kasperl erfolgreich-seine Mutter führt seit der Trennung vom Vater den „Red Lion“ beim Trainingsgelände des Port Vale FC allein weiter, wo den kleinen Bub auch der Fußballvirus packt. „Ich saß als Kind meistens da oben am Fenster, und einmal hab ich an einem Spieltag die ganzen Einnahmen rausgeschmissen, drei Mille, und dazu die BHs meiner Schwester und Mamas Unterhosen „, erzählt er später.
Robbie besucht Nachbarn, um ihnen was vorzutanzen, wirkt mit elf in einem Theaterstück mit (wobei er sich vor Aufregung in die Hose macht) und spielt mit 14 zusammen mit Mutter Jan in der örtlichen Theatergruppe den Gauner im Musical „Oliver Twist“ (laut Aussage eines Beteiligten hat er große Schwierigkeiten, seinen Dialekt zu verbergen).
Großes Vorbild und Auslöser von Robbies Bemühungen ist von Anfang an Vater Peter, obwohl der als Komiker unter dem Künstlernamen Pete Conway den Traum von der großen Karriere nie verwirklichen kann. Er hat eine Reihe von Talentwettbewerben gewonnen, bewirbt sich aber vergeblich um Engagements in den angesagten Comedy-Clubs von London und Liverpool. Um sich über Wasser zu halten, nimmt Pete schließlich ein Angebot an, das ein paar Klassen tiefer hängt: Vier Sommer hintereinander bringt er in einem Feriencamp Kinder zum Lachen -auch seinen eigenen Sohn, der von der Fassade (Papa auf einer echten Bühne! Applaus!) so fasziniert ist, dass er die erbärmlichen Begleitumstände ausblendet. Seine Entscheidung, dem Vater nachzueifern, ist ebenso infantil wie nachvollziehbar: Mama sitzt zu Hause im Pub und quält sich und die Kinder durch den Alltag, Papa steht umjubelt auf der Bühne – wer wollte einem Grundschüler vorwerfen, dass er den Unterschied zwischen einem Bretterstapel in einem Ferienlager und dem Rampenlicht großer Theater nicht erkennt? Hinzu kommt ein frühkindlicher Drang zur Selbstdarstellung: Schon mit drei Jahren ist er im Urlaub im Ferienhotel „Pontinental“ in Torremolinos an der spanischen Costa del Sol seiner Mutter in einem unbeobachteten Moment entwischt und hat sich selbst bei einem Talent Wettbewerb „angemeldet“. „Als ich da hinkam „, erzählt Janet, „kündigten sie gerade an, nun werde Robert aus England auftreten. Der Vorhang ging auf, und er imitierte John Travolta, weil der dauernd in der Musikbox im Pub lief das ganze Gehabe, die Mundbewegungen, alles, und ich sah seinem Gesicht an, dass ihm das wahnsinnig gefiel.“ Robbie selbst behauptet, er habe sich gleich danach als Sänger am Hotelpool versucht und einen Berg Kleingeld verdient.
„Ich wusste, dass er Talent als Entertainer hatte „, sagt Janet, die gleichwohl hoffte, „dass er sich ein zweites, akademisches Standbein sucht“. Daraus wird nichts: Mit 15 schmeißt Robbie die Schule (St Margaret Ward High School in Stoke) hin, um mal zu schauen, was die Zukunft so bringt. Er übt Singen, tanzt, spielt mit der Stoke-on-Trent Theatre Company und poliert sein Selbstbewußtsein mit einem Muhammad-Ali-Poster, das die Wand seines Zimmers ziert. Nachdem er kurze Zeit mit dem Gedanken gespielt hat, Polizist zu werden, sucht er sich immerhin auch einen Job, als Vertreter für Isolierglas – mit wenig Erfolg, weil der Berufsneuling möglichen Kunden mit entwaffnender Ehrlichkeit rät, die minderwertigen Scheiben lieber nicht zu kaufen. Seine einzige Alternative zum Showgeschäft bleibt der Fußball. Dann sieht Jan Williams, die ihren Sohn in seinen Showbiz-Bemühungen nun unterstützt, wo es nur geht, eines Morgens eine Kleinanzeige in der Zeitung: Ein Manager namens Nigel Martin-Smith sucht ein fünftes Mitglied für eine Gesangs- und Tanzgruppe nach dem Vorbild der Teenie-Schwärme New Kids On The Block. Nachdem seine Mutter ein zu Hause aufgenommenes Jux-Video eingeschickt hat, lässt sich Robbie (der eigentlich wenig von solchen Ensembles hält und lieber solo bleiben würde) überreden – und bekommt den Job bei der Gruppe (die sich nun von Kick It in Take That umbenennt), erst als Ersatzmann, schließlich als festes Mitglied. Beim ersten Auftritt in einer Schulaula haben Take That elf Zuhörer (einer davon ist ein Hund). Die nächsten fünf Jahre ist Robbie der Witzbold links außen auf Take-That-Postern. Dann, nach 20 Millionen verkauften Platten, wird er über Nacht selber zum größten Witz der Pop-Welt. Und wer im Frühjahr 1997 einen Pfifferling auf Robbie Williams setzte, erntete höchstens ein müdes Lächeln.
Aber auch „Old Before I Die“ schafft die UK-Vize-Chartsspitze. „Lazy Days“ und „South Of The Border“ folgen, und zwar werden die Unkenrufe von den Kommerz-Rängen angesichts mäßiger Abflußzahlen lauter, aber aus dem müden Lächeln wird vielerorts ein erstauntes Grinsen, als „ernsthafte“ Pop-Spezialisten auf diverse B-Seiten aufmerksam werden. Ist die einstige Playback-Schießbudenfigur gar nicht so sehr darauf aus, eine Art Take-That- Einzelausgabe zu werden? Will der Junge vielleicht tatsächlich ernsthaft Musik machen und ist dafür sogar bereit, zumindest vorübergehend auf schnelles Mega-Kassenklingeln zu verzichten?
Lifethru A Lens erntet die ersten halbwegs begeisterten Kritiken aus den eingangs erwähnten Kreisen, vorsichtig noch, aber bestimmt: Aus dem Jungen kann was werden. Wird auch, allerdings mit einer kleinen Verspätung: Die Ballade „Angels“ als einstimmiger „Weihnachtshit“ 1997 zieht das gerade aus den Charts gerutschte Album wieder rein – und sieben Monate nach seinem Erscheinen bis an die Spitze (wofür Londoner Buchmacher bereits im Sommer 1995 eine Quote von 8:1 berechnet hatten). Plötzlich ist der Teenie-Band-Ausschuss zum most unlikely Superstar seiner Zeit avanciert, dreht all den Spöttern eine große Nase; und ebenso plötzlich brechen in einer Art reziproker Überreaktion alle Dämme, und Robbie Williams wird zum Role-Model für Millionen junge Männer Anfang 20 (und bis 40), die mit Oasis und deren luftlosem Monster-Album Be Here Now nichts mehr anfangen können und für den Schwenk zu Radiohead nicht genug Neurosen und Depressionen vorweisen können.
Die musikalische Konsolidierung ist das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Guy Chambers, der nach einigen gescheiterten Versuchen mit anderen Kollegen Robbies fester Songwriting-Partner wird (siehe Kasten, S. 42). Das Team Williams-Chambers erweist sich als Glücksgriff: Chambers liefert sehr britische, doch universell wirksame Ohrwürmer zwischen klassischer Ballade, schwungvollem Indie-Rock, Disco-Anklängen und dem einen und anderen Ausflug in Punk-, Glam-, Hardrock- und Soul-Gefilde, die Robbies prägnantes, erstaunlich variables Organ in typische Williams-Nummern verwandelt – der Sänger wiederum zeigt ein Talent als witziger, gefühlvoller, treffsicherer Texter, das ihm wohl niemand zugetraut hätte.
Er selbst sich vielleicht auch nicht recht; immer wieder zeigt Williams öffentlich seine Unsicherheit; mit der Zeit und mit wachsendem Erfolg wird daraus ein charmanter Hang zur Selbstironie, der sich in seinen Texten niederschlägt: „Mein Atem riecht nach tausend Zigaretten“, singt er in „Strong“ dem Opener seines zweiten Albums I ‚ve been expecting you, das am 26. Oktober 1998 in den Läden steht, „und wenn ich besoffen bin, tanze ich wie mein Papa. Wenn ich morgens aufwache, sehe ich aus wie Kiss, aber ohne das Make- up. Du denkst, ich sei stark, aber du irrst dich.“
Vielleicht liegt es an der nagenden Unsicherheit, dass das zweite Album über weite Strecken wie eine nachgebesserte Version des ersten klingt: Die ähnlichen Songs tragen teilweise sogar dieselben Nummern.
„Als das erste Album nach kurzer Zeit wieder aus den Charts gekippt ist“, erzählte mir Robbie Williams damals, „habe ich das Schlimmste befürchtet: dass ich mein Gesicht verliere. Als ich bei Take That rausflog, hatte ich getönt: Ich kann das besser als ihr, ich werde größer sein, erfolgreicher, bla bla bla. Deshalb kam das zweite Album so schnell. Als LIFE THRU A LENS anfangs nicht so lief, hab ich angefangen, mehr Songs zu schreiben, mehr Songs, noch mehr Songs. Ich wusste, dass die Platte gut war, aber so ist das halt: Was keiner kauft, muß Scheiße sein, jetzt wollen die Leute meine Musikhören und müssen nicht mehr dazu gezwungen werden.“ Und was er selber will, weiß er jetzt auch: „Was ich heute tue, ist das, was ich für den Rest meines Lebens tun werde. Aber ob mir die Leute erlauben werden, es für den Rest meines Lebens zu tun, ist eine andere Sache.“
Sie erlauben es ihm. Sie nehmen auch hin, dass Robbie mit dem dritten Album sing when you’re winning Ende August 2000 auf Nummer sicher geht und so ausgiebig den Mainstream-Dampfhammer ansetzt, dass die Platte musikalisch kaum mehr Wirkung entfaltet als ein Stück Zuckerwatte. Sie lassen penible Kritiker eifrig die Nasen rümpfen über die Swing-Eskapaden auf Swing when you’re winning (November 2001), die man auch als ersten Versuch deuten kann, sich aus dem Korsett der neuen Superstar-Rolle zu befreien, um nicht eines Tages wie Michael Jackson oder Mick Jagger als One-Trick-Pony zu enden. Der Abstecher tut ihm gut; als Williams im November 2002 mit escapology zur „normalen“ Popmusik zurückkehrt, ist er besser denn je – und hat die nötige Distanz: „Yeah, I’ma star, but I’ll fade“, singt er, und: „If you don’t need me, I don’t exist.“
Heute lebt der Lausbub aus Stoke-on-Trent in einer Villa in den Hügeln von Hollywood mit sechs Schlafzimmern, neun Badezimmern, eigenem Kino und Aufhahmestudio. Seinen Jaguar darf er mangels Führerschein nur auf dem Grundstück fahren. Er ist in gewisser Weise immer noch ein Kind, verspielt, naiv, ehrlich und manchmal unberechenbar. Das musste auch sein Freund und Songwriting-Partner Guy Chambers erfahren, dem er ohne besonderen Grund kündigte. Er habe vom Pop der letzten Jahre die Schnauze voll, ließ er verlauten, nun wolle er etwas ganz anderes machen. Und hat sich dafür als Partner, so verlautete unlängst, keinen Geringeren gesucht als Stephen Duffy (The Lilac Time), den, Ron Sexsmith hin, Elvis Costello her, möglicherweise größten „erwachsenen“ Songwriter unserer Tage; höher kann man die Erwartungen und Hoffnungen kaum schrauben. Sage noch einer, der Junge habe kein geniales Gespür.