Robert Smith
33 und kein bißchen weise. Seit bald 16 Jahren spielt Struwwel-Robert Smith bei The Cure den Prinz der Dunkelheit für kleine Mädchen und Melancholiker. Hinter Lippenstift und Haarspraydose verbergen sich heute Landhaus, Ehering und die sichere Rente, doch Robert Smith verweigert immer noch erfolgreich den Auszug aus der Welt der Jugendzimmer. ME/Sounds-Redakteurin Martina Wimmer sprach mit dem Kind im Mann über den Ernst des Lebens.
ME SOUNDS: Du hast vor nicht allzu langer Zeit mal gesagt, bei allem, was The Cure macht, hättest Du immer das Gefiihl, es sei das letzte Werk der Band. Gerade habt ihr euer neuntes Studioalbum veröffentlicht. Wie sieht die Stimmungslage im Moment aus?
SMITH: Ich bin nie vollständig mit mir zufrieden, und das treibt mich immer zum Weitermachen an. Ich würde nur nie ins Studio gehen, um die Existenz der Band zu rechtfertigen. Ich versuche für uns Spontaneität zu bewahren, deswegen gehen wir einfach immer davon aus, daß jeder Abend, den wir spielen, der letzte sein könnte. So halten wir uns wach, halten die Spannung aufrecht. Wenn wir jetzt schon sicher wären, was wir nächstes Jahr vorhaben, wäre alles langweilig, und zu festgelegt. Man darf sich seine Freiheit nicht selber nehmen.
ME/SOUNDS: Du hast also bei Cure alles im t Griff. Kann man bei der ständig wechselnden Be Setzung in dreizehn Jahren überhaupt noch von einer Band sprechen oder ist Cure ein Solo-Pro~J jekt von Robert Smith mit wechselnden Begleit£ musikern?
SMITH: Nun ja, außer Roger (o’Donnell, Keyboarder von 1987 bis ] 990) ist jeder wegen mir aus der Band geflogen. Aber daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht. Ich bin wohl manchmal nicht ganz einfach. Es kümmert mich nicht, wenn Leute die Band verlassen, das ist ein natürlicher Entwicklungsprozeß. Trotzdem bin ich nicht der große Diktator, der Leute nach seinen Launen aus der Band wirft, weil sie irgend etwas gesagt haben, was mir nicht paßt. Ich muß nur darauf achten, daß die Band funktioniert, sonst macht es mir selber keinen Spaß mehr mit ihr zu arbeiten. Aber das gilt für jeden von uns. Wir sind in der Tat im Moment mehr eine Band als wir jemals waren, jeder hat gleiches Mitspracherecht, nur ich habe vielleicht ein bißchen mehr.
ME/SOUNDS. Was hast du für ein Verhältnis zu deinen Fans, die sich teilweise, zumindest optisch, offensichtlich völlig mit dir identifizieren?
SMITH: Ich glaube nicht, daß sie sich mit mir identifizieren, ich habe mich schon öfter mit Cure-Fans unterhalten. Ich glaube, sie ziehen sich so an, damit sie sich gegenseitig erkennen können. Und sie gehen auf unsere Konzerte nicht nur. um uns spielen zu sehen, sondern auch, um Gleichgesinnte zu treffen. Vielleicht gibt es hier und dort ein paar Verrückte, die wirklich wie ich sein wollen, aber ich glaube, wenn sie wüßten, wie grauenhaft das ist, würden sie schnell damit aufhören.
ME/SOUNDS. Glaubst du nicht, daß du für deine Fans ein Repräsentant aller Ideen bist, die sie untereinander verbindet, sowas wie der Obergruftie?
SMITH: Nein, ich glaube, was unsere Fans auf unserer Seite hält, ist die Tatsache, daß wir immer gemacht haben, was wir wollten. Wir haben immer unabhängig gearbeitet und sind trotzdem relativ berühmt geworden. Ich war immer stolz auf diese Band, und stolz. Teil dieser Band zu ein, weil wir keine Kompromisse gemacht haben. Natürlich existiert für viele Fans auch noch die Faszination des Morbiden, die uns wohl immer noch umgibt, doch für mich ist The Cure im Grunde eine Popband, trotz all der düsteren Töne.
ME/SOUNDS: Lassen wir jetzt trotzdem mal die Popsongs weg — die traurige Seite von „The Cure“ was bedeutet dieför dich? Kompensierst du damit deine persönlichen Depressionen ? ¿
SMITH: Keine Ahnung, ich weiß wirklich nicht, warum ich Lieder schreibe, und warum sie so werden, wie sie sind. Manchmal schreibe ich, wenn ich sehr aufgeregt oder sehr wütend bin, aber ich weiß trotzdem nicht genau, wie sie von diesem Punkt an tatsächlich ins Studio und auf eine Platte gelangen. Ich wüßte nicht, was ich sonst tun sollte, um mein sonst wohl sehr unnützes Dasein zu rechtfertigen. Ich glaube, ohne die Musik würde ich ein sehr ödes und dummes Leben führen.
ME/SOUNDS: Um nochmal auf dein Image zurückzukommen, du glaubst also nicht, daß zumindest die weiblichen Fans nur den traurigen kleinen Jungen verehren, der mit strubbeligen Haaren und viel zu langen Pulloverärmeln auf der Bühne steht und herzzerreißende Lieder singt?
SMITH: Ja, das mag schon sein, aber davon habe ich langsam genug, ich werde ja auch älter. Ich bin mir sehr bewußt, wie ich mit meinem Image spiele und das desillusioniert mich mit der Zeit, weil ich bemerke, daß ich Dinge tue, die ich vor zehn Jahren nie gemacht hätte. Außerdem ist es einfach ein falsches Bild, ich bin nicht schüchtern und traurig, die meiste Zeit bin ich mehr von mir überzeugt als vielleicht gut ist.
ME/SOUNDS: Deine Musik hat teilweise etwas sehr Entrücktes, Sphärisches, ein Kritiker hat sie mal ab esoterisch bezeichnet — Beschäftigst du Dich mit Astrologie oder sowas?
SMITH: Ja, mit dreizehn habe ich mir mal ein Päckchen Tarotkarten gekauft. Aber vielleicht bin ich jetzt gerade zu zynisch, das ist nicht ganz fair, wenn ich mit den richtigen Leuten zusammen bin, kann ich mich in solche Dinge auch heute noch reindenken. Ich habe aber generell sehr wenige feste Ansichten und Prinzipien, ich ordne mein Wertsystem täglich neu. Ich glaube, ich habe niemals die Fähigkeit besessen, an etwas zu glauben, außer an die Dinge, die ich selber mache. Ich wünschte es wäre anders, das würde das Leben wohl viel einfacher machen. ME/SOUNDS: Früher wurde sehr viel über deinen Drogen- und Alkoholmißbrauch geschrieben. Wie sieht es damit heute aus?
SMITH: Mißbrauch, was für ein Wort … Ich trinke immer noch zuviel, dafür nehme ich kaum noch Drogen. Wenn man älter wird, muß man vorsichtiger damit umgehen, sonst stirbt man daran, so einfach ist das. Wir sind eine Band, die in allem an ihre Grenzen geht, wir können nicht spielen, ohne das Beste daraus zu machen. Das alleine ist schon fast eine Droge, diese Sucht nach dem Exzess. Und ich kann nicht auf die Buhne gehen, ohne vorher getrunken zu haben, ich würde zu Eis erstarren, wenn mich da draußen Tausende anglotzen. Aber das ist die einzige Situation, in der ich auf Alkohol angewiesen bin. Wenn ich zu Hause bin, trinke ich fast gar nichts.
ME/SOUNDS: Wie beurteilst du deinen früheren Lebenswandel heute?
SMITH: Ich bereue gar mchts, ich hatte eine Menge Spaß. Der einzige Nachteil daran ist, daß ich mich an kaum etwas erinnern kann. Ich sehe heute Fotos, die zeigen, daß wir uns wirklich amüsiert haben, und ich denke mir. .Verdammt, wo und wann war das denn?‘.
ME/SOUNDS: Du hast vor vier Jahren deine Jugendliebe Mary geheiratet. Ist es das Eheleben, das dich geläutert hat?
SMITH: Nein, ich kenne Mary seit ich dreizehn war, was sollte sich da ausgerechnet durch eine Heirat ändern. Der einzige Grund für uns zu heiraten, war. einmal unsere ganze Verwandtschaft zusammenzutrommeln. Es war ein großartiger Tag, aber Mary hat zum Beispiel ihren Mädchennamen behalten, und ich stelle sie immer noch als meine Freundin vor. Ich weiß, das klingt alles ziemlich dumm, aber wenn ich zu ihr sage ,Du bist meine Frau‘, lacht sie mich bloß aus. Ich glaube sowieso an nichts, was sollte mir da die Ehe bedeuten. Jeder hat geglaubt, wir heiraten, weil ein Baby unterwegs ist. Unsere Eltern sind sehr enttäuscht, daß wir immer noch keine Kinder haben.
ME/SOUNDS: Möchtest du denn welche?
SMITH: Nein, nie.
ME/SOUNDS: Eigentlich paßt das ja alles nicht zusammen. Auf der einen Seite heiratest du deine Kinderliebe, bist seit 17 Jahren mit derselben Frau zusammen und lebst ruhig und zufrieden auf dem Land, auf der anderen Seite toupierst du dir immer noch die Haare undfölbt die Zeitungen mit wirren Geschichten. Ist „Mad Rob“ im Grunde seines Herzens stinknormal?
SMITH: Ich bin eine wandelbare und sehr labile Persönlichkeit. Ich sitze gerne gemütlich zu Hause, da fühle ich mich am wohlsten. Aber es gibt auch eine Kraft in mir, die mich manchmal anstachelt, mich zu produzieren und völlig exzessiv zu sein. Das Leben ist immer nur so normal. wie man es selber gestaltet. Die meisten Leute gehen davon aus, daß Mary und ich eine sehr stabile und eingefahrene Beziehung haben, doch Mary ist mindestens genauso verrückt wie ich, und die meiste Zeit haben wir eine Riesenspaß zusammen. Und nach all dieser Zeit weiß ich jetzt auch, daß ich es schöner finde, Erfahrungen zu teilen statt alleine zu sein. Ja, ich bin wohl doch sehr normal. ME/SOUNDS: Die in den Medien beliebteste deiner Neurosen ist deine Flugangst. Jetzt fliegt ihr wegen einer Unterschriftensammlung vernachlässigter Fans nach Australien. Wie willst du das machen?
SMITH: Ich habe eigentlich keine richtige Angst vorm Fliegen, ich finde nur Fliegen ist eine völlig unmenschliche Sache, du mußt permanent in irgendwelchen Wartehallen rumsitzen und wirst behandelt wie ein Stück Scheiße. Das ; ist alles so entwürdigend, ich will mir das nicht mehr antun. Nur wenn in einem Land Leute ¿
tatsachlich Tausende von Unterschriften sammeln, nur um dich zu sehen, wäre es ziemlich arrogant zu sagen: ,Tut mir leid, ich setze mich in kein Flugzeug.‘ Da muß man Kompromisse finden. Also werde ich mich unter Vollnarkose setzen lassen, ich werde ins Flugzeug getragen, und den ganzen Flug bewußtlos sein. Ich hoffe das funktioniert.
ME/SOUNDS: Neurose Nummer zwei — was ist eigentlich mit deinem Solo-Album, von dem mal die Rede war?
SMITH: Das liegt fix und fertig in der Schublade. Ich habe es noch keiner Plattenfirma gegeben, weil es in einer Zeit entstanden ist, in der ich ein wenig unzufrieden mit „The Cure“ war. Damals dachte ich, bevor ich mich auf mühsame Diskussionen mit der Band einlasse, mache ich einfach was alleine, um mich richtig auszutoben. Wenn ich es jetzt veröffentlichen würde, würde jeder sofort denken, ich sei mit der Band unzufrieden, und das stimmt im Moment gar nicht. Aber ich glaube, irgendwann wird es sicher veröffentlicht werden. Es ist zeitlose, rein akustische Musik, also macht es keinen Unterschied, wann die Leute es zu hören kriegen.
ME/SOUNDS: Mit dem Vorgänger DISINTEGRATION fühlten sich viele in besinnlich frühe Cure-Tage zurückversetzt, das neue Album WISH folgt eher dem gemischten Pop-Angebot von KISS ME KISS ME KISS ME. War dir der depressive Rückfall selbst zu trist?
SMITH: Nein, aber die Stimmung bei der Produktion dieser LP war einfach eine völlig andere. Wir hatten viel mehr Spaß, und es ist tatsächlich, glaube ich. die erste Cure-LP, bei der ich beim Singen nüchtern war. An die Aufnahmen zu DISINTEGRATION etwa kann ich mich kaum mehr erinnern — kein Wunder, daß es eine etwas trübsinnige Scheibe geworden ist. Aber im Ernst, wir wollten tatsächlich kein so gleichförmiges Album mehr machen, sondern hatten für uns den Anspruch, mit jedem Song eine andere Stimmung zu schaffen. Alles andere hat für mich keinen Reiz mehr. Unsere früheren Psycho-Alben, die spiele ich dir heute in einem Tag ein, aber wer will sowas noch hören?
ME/SOUNDS: Es gab auch Gerüchte, daß ihr zwei Platten gleichzeitig veröffentlichen wolltet?
SMITH: Wollten wir auch, aber wir hatten Mühe diese eine in der geplanten Zeit fertigzustellen. Immerhin gibt es schon vier Stücke für die zweite, ziemlich wirres Zeug. Es sollte ein Instrumentalalbum werde, und ich denke, wir werden daran auch weiterarbeiten.
ME/SOUNDS: Ein Instrumentalalbum? Glaubst du die Leute wollen sowas von euch hören?
SMITH: Kommt drauf an, wie gut es wird, oder? Für mich ist die Idee auf jeden Fall ziemlich reizvoll. Es ist für uns die einzige Möglichkeit, nicht nach „The Cure“ zu klingen. Sobald ich den Mund aufmache und singe, klingt einfach alles, was wir machen, typisch. Für mich ist das manchmal sehr frustrierend, ich habe auch schon versucht, meine Stimme beim Singen zu verstellen, aber das klappt nicht, wenn mir ein Stück was bedeutet, muß ich so singen wie immer. Und das Beste an so einem Instrumentalalbum ist natürlich: Ich muß keine Texte schreiben, in der Beziehung bin ich nämlich mittlerweile fürchterlich faul geworden.
ME/SOUNDS: Dabei werden deine Texte mittlerweile schon in amerikanischen Schulen im Englischunterricht benutzt ¿. ¿ SMITH: Ja. das habe ich auch gehört. Aber als großer Poet habe ich mich eigentlich nie empfunden. Daß die Leute trotzdem so auf meine Worte ansprechen, liegt wohl daran, daß ich keine Probleme damit habe. Emotionen auszudrücken, und das ist ein Verdienst der Band. Wir verstecken nichts voreinander, und die gefühlsbetonte Art des Umgangs, den wir pflegen, gibt mir die Sicherheit, auch über alles singen zu können, ohne das Gefühl zu haben, dabei lächerlich zu wirken. Ich könnte meine Lieder sicher nicht singen, wenn ich fürchten müßte, daß sich hinter mir der Gitarrist zu Tode kichert über den Schmalz.
ME/SOUNDS: Hast du dir schon mal Gedanken darübergemacht, was du tun könntest, wenn es The Cure irgendwann mal nicht mehr geben sollte?
SMITH: Ich weiß es nicht, ich kann mir auch nicht real vorstellen, daß mein Leben mit dieser Band mal ein Ende hat. Ist auch egal, die Zeit vergeht so schnell, da kommt es gar nicht drauf an. was man tut. Ich habe bis jetzt mehr in und aus meinem Leben gemacht als ich mir jemals hätte vorstellen können, nicht weil ich viele Platten verkauft habe, sondern daran gemessen, was ich wirklich für mich getan habe. Ich mache mir keine Sorgen um das Älterwerden, und ich glaube auch nicht, daß sich vom Ende der Band bis zu meinem Tod eine große gähnende Leere ausbreiten wird. Meine Tage werden ausgefüllt sein, da bin ich mir sicher. Es gibt so viele Dinge zu tun, aber eigentlich denke ich nie an die Zukunft. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig oberflächlich, aber ich habe soviel Zeit damit verplempert, darüber nachzudenken, was ich machen könnte oder sollte, oder ob ich gerade das richtige mache, daß ich eines Tages, übrigens am selben Tag als ich das Rauchen aufgehört habe, beschlossen habe, immer zu genießen, was ich gerade mache, und mir nie wieder Gedanken darüber zu machen, was ich als nächstes tun könnte.
ME/SOUNDS: Findest du nicht, daß es langsam an der Zeit wäre, erwachsen zu werden?
SMITH: Nein, ich habe mit dreizehn befunden, daß ich jetzt erwachsen genug bin. Die sogenannte Welt der Erwachsenen hat nicht viel Interessantes zu bieten. Was viele Leute bei mir und meiner Band für unterentwickelt oder kindisch halten, ist nichts anderes als die Tatsache, daß wir immer noch begeisterungsfähig sind, und alles daran setzen, Dinge auf unsere eigene Art und Weise zu machen, egal, was sich uns für eine Realität entgegenstellt. Ich war immer schon so, ich habe mich frühzeitig mit der realen Welt konfrontiert und sie bewußt für mich abgelehnt. Und wer sich die grauen Gesichter mal ansieht, die durch Londons Straßen laufen, der kann mich eigentlich nicht mehr für unglücklich halten, nur weil ich traurige Lieder singe.