Robin Pecknold von den Fleet Foxes über ein „Jahr ohne Zufälle“
Fleet Foxes veröffentlichten im September überraschend ihr neues Album SHORE. Wir sprachen zu diesem Anlass mit Sänger Robin Pecknold, um 2020 gemeinsam Revue passieren zu lassen und uns dabei die ein oder andere Lebensweisheit abzuholen.
Das vierte Album der Fleet Foxes erschien genau im Moment der Tagundnachtgleiche, am 22. September 2020, 15.31 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Ab da hieß es für die Nordhalbkugel: „Winter is coming“. Als wir Sänger und Songwriter Robin Pecknold via Zoom in New York erreichen, hat sich bei den Präsidentschaftswahlen gerade das Blatt gewendet: Joe Biden wird siegen, zumindest ein Spuk sollte bald vorbei sein.
Robin, läuft gerade auch bei dir CNN?
Bis eben gerade, ja.
Welche Daten hast du dort zuletzt gesehen, Corona-Fallzahlen oder Wahlergebnisse?
(lacht) Ich glaube, es waren die neuesten Zahlen aus Georgia. Zwei Dinge sind interessant, erstens, wie sehr uns diese Statistiken über abgelegene Countys in den Bann ziehen, zweitens, wie gut wir beim Zuschauen das Virus verdrängen konnten. Wie stark wir die Pandemie als Gefahr wahrnehmen, hängt in großem Maße davon ab, wie ausführlich darüber berichtet wird. Als würde das Virus verschwinden, wenn CNN eine Woche lang keine Fallzahlen mehr zeigt. Man weiß natürlich, dass das nicht stimmt. Weshalb es sich beinahe falsch anfühlt, sich intensiv mit anderen Dingen auseinanderzusetzen.
Folgt daraus, dass wir verstärkt über die Folgen von Problemen reden sollten, damit die Leute den Ernst der Lage erkennen?
Manchmal denke ich, wir bräuchten tatsächlich schlimmere Bilder, um die Menschen dazu zu bringen, die Klimakrise ernst zu nehmen, den Hunger auf der Welt, die Kriege in vielen Regionen dieser Erde, die Diskriminierungen, die auch in unserer direkten Nachbarschaft stattfinden.
Die Bilder von George Floyd, seine Worte „I can’t breathe“ – die haben wir noch im Kopf.
Genau, es sind schlimme Bilder. Aber sie besitzen die Kraft, positive Bewegungen zu verstärken. Auf der anderen Seite sehne auch ich mich nach Leichtigkeit und Normalität. Wobei ich mich dann wiederum frage, ob wir uns diese Normalität überhaupt noch leisten können. Angenommen, wir können das Tourleben im kommenden Jahr wieder aufnehmen, dürfen wir es dann tun, als wäre nichts gewesen? Oder müssen wir uns klarmachen, dass Konzertreisen mit Dutzenden Flügen und langen Autofahrten das Problem der Klimakrise weiter verschärfen? Vielleicht lohnt es sich, mit Blick auf die CO2-Emissionen weiter über digitale Streaming-Events nachzudenken, auch wenn die Pandemie vorbei ist – wohlwissend, wie wichtig es ist, Live-Musik zu den Menschen zu bringen. Es ist ein Gedankenkarussell.
Was fehlt einer Kultur, wenn es keine Live-Musik gibt?
Als junger Mensch in Seattle funktionierten Live-Shows für mich wie Bildungsveranstaltungen. Ich traf dort meine Freunde und fand neue. Ich verliebte mich und litt an Liebeskummer. Die Live-Venues waren meine Kirche und meine Heimat. Sie waren die Orte, an denen ich mich ausprobierte und austestete, an denen ich an manchen Nächten alles gewann und manchmal sehr viel verlor, an denen ich Katharsis erlebte und mich entwickelte. Konzerte waren alles. Wie hätte ich als 16- oder 18-Jähriger darauf reagiert, dass es diese umfassende Erfahrung für eine kaum absehbare Zeit nicht mehr geben wird? Was hätte ich gedacht, wenn mir ein Erwachsener gesagt hätte, ich müsste mich ein paar Monate gedulden, bevor es wieder losgeht?
Was fehlt der Kultur, ohne ungezwungene Begegnungen an öffentlichen Orten?
Die Macht des Zufalls. Das Besondere an Abenden in Clubs, Bars oder Live-Venues ist ja, dass eine willkürliche Gruppe entsteht. Eine Schicksalsgemeinschaft. Man fühlt sich mit diesen Menschen verbunden, weil man zur gleichen Zeit diesen Ort besucht. Weil die Begegnungen limitiert sind, erhalten sie eine besondere Bedeutung. Das gibt es bei Online-Kontakten eher nicht. Und das gibt es auch nicht, wenn man via Streamingdienst Musik hört: Weil alles da ist und diese unendliche Masse von Algorithmen dirigiert wird, verliert der Zufall an Bedeutung.
Es gibt einen schönen Roman von Paul Auster, „Die Musik des Zufalls“, der davon handelt, wie beliebig das ist, was wir als Wirklichkeit betrachten.
Es ist total beliebig, ja. Die ersten Fleet-Foxes-Alben beinhalten die Musik, die aus meiner Wahrnehmung von Musik in meiner Zeit in Seattle entstehen konnte. In diesen Songs stecken die Konzerte, die ich gesehen habe, die Sehnsüchte, die diese Erlebnisse in mir geweckt haben. Es ist Musik aus Seattle. Auch beeinflusst vom Regen, der ständig in dieser Stadt heruntergeht und die Menschen dort auch ohne Virus in eine Art Lockdown-Status bringt. Ich lebe schon lange nicht mehr dort, sodass ich meine Musik heute auf anderen Wirklichkeitskonstruktionen aufbaue.
Auf welchen?
(überlegt) Ich stelle mir eine Playlist meiner Einflüsse zusammen, jedoch mit eigenen Songs.
Als Songwriter und Kurator.
Ja. Weil die Möglichkeiten unendlich sind, verenge ich meinen Blick, ohne mich dabei von äußeren Faktoren beeinflussen zu lassen. Ich treffe vielmehr eine Wahl – in der Hoffnung, dass dieses Vorgehen die Musik davor schützt, beliebig zu werden.
Welche Art von Wahl ist das?
Ich gebe der Musik eine Philosophie und Informationen mit, die über den reinen Klang hinausgeht. Zum Beispiel die Namen von verstorbenen Kollegen, die ich sehr verehre und deren Schaffen ich somit weiter in die Welt tragen will: Dave Berman, Richard Swift, Arthur Russell, Elliott Smith. Eine gut klingende Musik zu erzeugen, war im Jahr 2020 so einfach wie noch nie. Es existieren viele technische Wege, sehr komplizierte Stücke mit perfektem Klang aufzunehmen. Zu schauen, wie weit ich in dieser Hinsicht gehen kann, war der Anspruch von Fleet Foxes zur Zeit von CRACK-UP. Heute interessiert mich das nicht mehr so sehr. Musik ist kein iPhone, das mit jedem neuen Modell komplexer werden muss, um den Preis zu rechtfertigen. Musik ist eine Kunstform, die von Konzepten und Botschaften lebt. Das ist für mich die Erkenntnis des Jahres 2020.
Die dir wie kam?
Beim ziellosen Umherfahren durch eine Welt, die durch die Pandemie beides war: ganz anders – und trotzdem gleich. Die Sonne kümmert es wenn sie untergeht nicht, ob hier auf der Erde ein Virus tobt. Und doch nahm ich die Sonnenuntergänge im Sommer anders wahr, als ich stundenlang mit dem Auto in Upstate New York unterwegs war. Diese Beobachtung führte zu dem Gedanken, wie seltsam der Job eines Musikers ist: Weil man neue Alben ja nicht als Fortsetzungen des bisherigen Werks betrachten will, nicht als Sequels eines Superheldenfilms, steht man vor der Aufgabe, Platten zu konzipieren, die anders als die vorherigen sind, aber dennoch denjenigen gefallen, die diese alten Alben mochten. Länger über diesen Anspruch nachzudenken, kann einen ziemlich verrückt machen.
Die Lösung?
Im Hier und Jetzt präsent zu sein, ohne die Vergangenheit zu leugnen.
Etwas konkreter bitte.
(lacht und überlegt) Anzuerkennen, dass man eine Band auflösen sollte, wenn die Vergangenheit keine Gegenwart mehr zulässt. Oder umgekehrt.
Gab es diesen Gedanken?
Nein, ich habe vielmehr gemerkt, dass mit der Größe der Aufgabe meine Lust steigt, eine Lösung zu finden. Ich empfand schon die Arbeit am Debütalbum als nicht einfach, mit jeder folgenden Platte wurde es noch schwieriger. Zeitgleich wuchs die Befriedigung, wenn die jeweiligen Alben dann fertig waren.
Was wünschst du deinem Heimatland USA fürs neue Jahr?
Realismus. Amerika ist ein sehr großes Land, in dem in sehr unterschiedlichen Gebieten 330 Millionen Menschen leben. Ich wüsste nicht, wie es noch gelingen könnte, das Denken der Linken mit dem der Rechten so zusammenzubringen, dass Kompromisse entstehen. Das ist eine Überforderung. Statt weiter über die Nation zu reden, könnte man auf die Staaten schauen. Noch vor vier Jahren habe ich es skeptisch beurteilt, dass die Staaten so selbstbestimmt sind. Heute sehe ich das anders: Vielleicht wäre es ein guter Schritt, die Staaten in ein Verhältnis zu setzen, wie man es in der EU macht.
Das wäre das Ende der USA, wie wir sie kannten.
Ist diese Idee nicht eh längst gestorben?
Könnte Musik sie retten?
Puh. Es gibt durchaus jemanden, der genügend Empathie mitbringt, um die Probleme der Working Class im Rust Belt zu erkennen und diese mit demokratischen Idealen zusammenzubringen: Bruce Springsteen.
Bruce for president!
(lacht) Ich denke, er ist klug genug, seine Freiheit nicht aufs Spiel zu setzen.
Dieser Artikel erschien erstmals im ME 01/21.