Rock’n’Roll Zombies – nicht alle Toten schlafen fest


Die große verhinderte Poetin Frederike Kempner. von Spöttern auch die „schlesische Nachtigall“ tituliert, litt neben der Dichtkunst noch unter einer anderen schrecklichen Obsession: Zeitlebens befürchtete sie, irgendwann einmal lebendig begraben zu werden. Und so stiftete sie große Teile ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens für dubiose Organisationen und Erfinder, die eben dies – womit und wodurch auch immer – verhindern sollten.

Ich habe da ein ähnlich geartetes Problem. Nur würde ich lieber ein paar Mark für denjenigen locker machen, der die Wiederauferstehung musikalischer Gruftis und „has-beens“ zu verhindern weiß! Die Rock-Fossile, die einfach nicht aufhören wollen, sind ja ohnehin schon schwer genug zu verkraften. Aber daß sich jetzt wieder einmal längst Tot-Geglaubte aus dem Rock-Orkus zurückmelden, das übersteigt mein Steh- und Fassungsvermögen.

Tut nicht so, als wärt Ihr nicht auch neulich im Glitter-Band-Mud-Sweet-Konzert gewesen! Wie, wart Ihr nicht? Dann gestattet, daß ich Euch ein paar Takte über dieses denkwürdige Ereignis erzähle.

Nach der Rock-Hackordnung mußte natürlich die Glitter Band den Anfang machen, denn ohne den „Incredible Hulk“ waren diese Pfeifen ja schon damals zweitklassig. Doch sie machten ihre Sache – gemessen an dem, was da noch auf die Zuhörer herniederprasseln sollte – bewunderswert gut.

Erst bretterten sie ihre Stampfkartoffel-Hits wie „Goodbye My Love“ oder „Angel Face“ runter, und als ihnen dann das Hausgemachte ausging, machten sie gar nicht mal so schlechte Anleihen bei Led Zeppelin und The Who. Fragt mich nur nicht, ob einer von dieser Glitter-Band früher bei der Glitter Band mitgewirkt hat, denn diese Knilche waren schon damals für die „Bravo“ zu häßlich.

Bei Mud dagegen war der derbe Etikettenschwindel auf Anhieb nicht zu übersehen, dann außer dem Matsch-Vorbeter Les Gray tummelten sich nur ein paar Grünlinge inclusive einer Dame auf der Bühne. Von dieser denkwürdigen Combo gab’s dann ein paar nervenzermürbende Versionen solcher Hits wie „Tiger Feet“ und „Dynamite“ und danach nur noch Selbstgedrehtes, das man allenfalls nach der Verabreichung eines Kasten Guinness ausgehalten hätte.

Dann, aber dann, kam der Höhepunkt dieses nekrophilen Abends: The Sweet, featuring Brian Connolly. SeSchwiet, die da Breien Knolli fietscherten. waren partout nicht The Sweet, und Brian Connolly war breit, fett wie ’ne Sau und konnte all die einst so packenden Hits nur noch eine Oktave tiefer daherröcheln. Daß er überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat, verdankt er seinen drei professionellen Mitwirkenden, die nicht nur ihre Instrumente beherrschten, sondern auch Songs wie „Ballroom Blitz“ und „Teenage Rampage“ engelsgleich sangen, als hätten sie sie damals mitverfaßt.

Den Connolly aber, der lediglich mit den Armen rudern und Blödsinn wie „Hello, Hamburg, I love you“ lallen konnte, hätte ich für diese Verarsche liebend gern erwürgt.

Davon einmal abgesehen, machte besagter Abend nebenbei noch zwingend deutlich, daß aus Kindern Leute werden. Und was für Leute! Die, die sich vor rund zehn Jahren beim bloßen Anblick Knollis kollektiv in die Höschen gemacht und kurz vor der einsetzenden Ohnmacht ihren heißgeliebten Teddy auf die Bühne geworfen hatten, waren nun kollektiv Opfer des Fraktionszwanges geworden. Will sagen: 20 Prozent vertraten die Punk-Partei, 20 Prozent den Schwermetall-Verband, 20 weitere die in die Jahre gekommene New-Wave-Fraktion. und den Rest bildeten die kontur-, gesichts- und parteilosen Sparkassenangestellten-Darsteller, die heute Cocktailbars bevölkern. Kurzum, Ethno- und Soziologen hätte dieser Abend Arbeit für die nächsten hundert Jahre beschert.

Soviel zu diesen drei Kirmes-Kapellen; wenden wir uns nun den etwas größeren Kalibern zu. Etwa den Herrschaften von Vanilla Fudge. die es unlängst mit einem einzigen Album schafften, sich all ihre Reputation, die sie sich in den sechziger und siebziger Jahren erspielt hatten, zu versaubeuteln.

Oder nehmen wir den „Great Fatsby“ Leslie West, der sich wieder mit Corky Laing zusammentat und dann mit einigen weiteren illustren Figuren die LP GO FOR YOUR LIFE verbrach. Nie traf der Spruch „Der Berg kreiste und gebar eine Maus“ besser auf den Kopf eines Sargnagels. Ähnliches gilt auch für Chris Farlowe und seine Thunderbirds (von den Original-Thunderbirds ist natürlich kein einziger mehr dabei!), die es mit OUT OF THE BLUE tatsächlich anno 1985 schafften, eine mittelmäßige Blues-Rock-LP hinzukriegen.

Die Liste der Wiederauferstandenen – ob sie nun Deep Purple, Animals, Uriah Heep, Pretty Things oder gar Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Tich heißen – ist lang und scheint tagtäglich länger zu werden. Manche, wie beispielsweise Spencer Davis, der kürzlich mit einer Spencer Davis Group durch winzige Klubs tingelte, sehen’s nach drei, vier Gigs wenigstens ein, daß sie nichts mehr draufhaben und daher auch kein Hahn mehr nach ihnen kräht, geschweige denn ihnen ein Träne nachweint. Andere hingegen sind so gnadenlos verblödet, daß sie tatsächlich so lange nach einem Schlagzeuger suchen, bis sich ein D(r)ummer mit einem großen P im Nachnamen findet.

Jawoll, ich rede von Emerson, Lake und Powell, kurz ELP, die es sich wirklich in den Kopf gesetzt haben, uns noch einmal mit ihrer bombastischen Dröhnmusik die Ohren randvoll zuzusülzen. Ja gibt es denn keine Instanz, die solch einem frevlerischen Treiben Einhalt gebieten kann? Sind diese Herrschaften völlig von der Rolle, oder sind Geld- und Koksbeutel leer und die Mieten für das Landhaus und das Lustschlößchen nicht mehr aufzubringen?

O, Freunde, die Welt ist schlecht und die der Pop-Musik noch schlechter! Da gibt es Lügner wie z.B. Brian Pool, der nach seinem Rausschmiß bei den Tremeloes in einem Interview, das im Fleischerladen seines Vaters stattfand, schwor, nie wieder eine Bühne mit einem Auftritt zu schänden. Und nun will der schweinsäugige Kniich auf Deutschland-Tournee gehen…

Da gibt es Hasardeure wie den Ur-Ur-Deep-Purple-Sänger Rod Evans, der anno 1980 die nicht gerade kleine Long Beach Arena in Kalifornien mietete, in Anzeigen verlauten ließ „Deep Purple are back!“ und dann mit den von ihm angemieteten Musiker-Knallchargen voll auf die Fresse fiel…

Und da gibt es Etikettenschwindler, sprich „Betrüger“, die – wie in den USA geschehen – während einer Tour der echten Fleetwood Mac ebenfalls als Fleetwood Mac – nur in anderen, weit entfernten Bundesstaaten – auf Tour gingen…

Wahrlich Freunde, die Welt der Pop-Musik ist schlechter denn je. Und da ich das weiß, warte ich von nun an nur noch auf den Tag, da ein schlitzohriger Manager auf die Idee kommt, eine Tournee oder neue LP der Jimy Hendrix Experience oder von Big Brother and the Holding Company, featuring Janis Joplin, anzukündigen…

Dr. Gonzos maßgebliche Meinung ist seine ureigene. Sie deckt daher nur bedingt die der Redaktion!