Roll the dice
Der nachgeschobene Soundtrack zu den UK-Riots, den brennenden Autos, zur Krise und allem, was noch schlimm ist: Zwei Schweden vertonen mit instrumentalem Ambient-Drone die Apokalypse.
Du musst nur aus dem Fenster schauen: Der Welt geht es gerade mal wieder alles andere als gut, oder? Wie willst du da nicht zum Pessimisten werden?“, antworten Roll The Dice auf die Frage, warum sich die Menschheit nur selten auf die Zukunft freut. Die Schweden machen auf In Dust zum zweiten Mal auf Albumlänge unheimliche und unheimlich intensive elektronische Weltuntergangsmusik – und ihre Mitglieder Peder Mannerfelt und Malcolm Pardon antworten immer gemeinsam, fallen einander ständig ergänzend ins Wort: „Wir sind eine Einheit. Es geht nicht um unsere individuellen Fähigkeiten, wir ordnen unsere Talente dieser Band unter. Nur so kann etwas Neues entstehen, mit dem keiner von uns gerechnet hätte und zu dem keiner von uns allein in der Lage wäre.“ Am ehesten ist das dann mit dem „Blade Runner“-Soundtrack von Vangelis und den repetitiven Mustern von Krautrock-Pionieren wie Cluster zu vergleichen.
Roll The Dice verstehen es als ihre wichtigste Aufgabe, den Weg ihrer Musik von Hindernisse zu befreien. „Daher kommt auch unser Bandname“, sagen sie, „lass den Würfel rollen und warte ab, was passiert. Das kann man ruhig als eine Art Dogma für unsere Arbeitsweise beschreiben. Wir haben eine Idee und verfolgen die. Das Resultat kann sich dabei völlig von der ursprünglichen Idee unterscheiden.“ Ziel ist es, nach jeder Session einen Track im Kasten zu haben, an dem dann auch nichts mehr geändert wird. Overdubs versuchen sie dabei weitestgehend in Grenzen zu halten. Bei ihren Aufnahmen verlassen sich Roll The Dice auf das innere Chaos von analogem Equipment. Das mag einem Trend geschuldet sein – immer mehr Elektronik-Künstler sehen keinen Reiz mehr in der bequemen Universalverfügbarkeit digitaler Instrumente und Aufnahmetechniken -, ist aber notwendig, wenn die Musik das Menschliche, das Fehlerhafte ausdrücken soll. „Analogmaschinen haben ein Eigenleben, leiden unter Abnutzungserscheinungen – dieses fragile Element ist entscheidend für unseren Sound“, sagt die Band.
Auch die Länge der Songs ist von Bedeutung: Sechs der elf Stücke auf In Dust gehen, teilweise weit, über die Sechs-Minuten-Grenze hinaus. Das widerspricht jeder Annahme von heutigen Aufmerksamkeitsspannen, aber nur so können Roll The Dice diese nervenstrapazierende Spannung aufbauen, die ihre Musik durchzieht. In Dust ist ein Album, das einem viel abverlangt: Mut und Zeit. Aber es gibt einem das gute Gefühl, nicht allein zu sein mit all dem Horror, der einen Tag für Tag aus den Bildschirmen, Boxen und Bildern in der Zeitung angreift.
Albumkritik ME 10/11
* Peder Mannerfelt spielt nebenbei nicht nur in der Liveband von Fever Ray, sondern remixt unter seinem Techno-Alias The Subliminal Kid auch Künstler wie Massive Attack.
* Malcolm Pardon arbeitete früher als Komponist für Filme und Fernsehsendungen.
* Zu den prominentesten Fans des Duos gehören Caribou, Fuck Buttons und Kieran Hebden.