ROLLENSPIELE
FOTOS: MICHAEL MANN STYLING: SKY BULATOVIC
HAARE & MAKE-UP: CECILIA BOURGUEIL
„DATE LESS MAKE MORE ART“
Interview mit Channy Leaneagh (Poliça)
Dank ihrer ausdrucksstarken Indie-Pop-Platte GIVE YOU THE GHOST wurden Poliça als eine der besten Newcomer-Bands des Jahres 2012 gehandelt. Kurz vor der Veröffentlichung des Nachfolgers SHULAMITH konnten wir Sängerin Channy Leaneagh für ein Fotoshooting vor die Kamera locken und haben sie zu diesem Anlass auch gleich zum Gespräch gebeten. Im Interview fragten wir nach, weshalb eine Feministin Namensgeberin für ihr Album ist, welche Rolle Mode in ihrem Leben spielt und an welchen ungewöhnlichen Orten sie gern einmal ihre Songs vortragen möchte.
Wie würdest du den Sound von SHULAMITH im Vergleich zum Vorgängeralbum beschreiben?
GIVE YOU THE GHOST war wie ein schüchternes Pochen an einer Tür, während SHULAMITH eher ein lautes Klopfen ist. Das neue Album hat ein größeres Klangspektrum. Es gibt bedeutend mehr Synthesizer-und Schlagzeug-Einflüsse, wodurch eine größere Dynamik entsteht.
Dein neues Album ist nach der kanadischen Schriftstellerin und Feministin Shulamith Firestone benannt. Wie kam es dazu?
Ich habe eines ihrer Bücher gelesen und fand, dass ihre Thesen gut zur Platte passen. Sie ist eine starke Frau und so etwas wie die „Superheldin“ des Albums. Männer und Frauen können viel von ihr lernen.
Was zum Beispiel ?
(Überlegt lange) Ich denke, all die Dinge aufzuzählen würde den Rahmen eines Interviews sprengen. Eine Sache, die man von Shulamith lernen kann, ist wahrscheinlich so etwas wie „Date less, make more Art“.
Siehst du dich selbst als Feministin?
In erster Linie sehe ich mich als Frau. Natürlich möchte ich, dass sich die Lebenssituation von Frauen auf der ganzen Welt verbessert und meine Tochter alle Ziele im Leben erreichen kann, ohne ihre Sexualität einsetzen zu müssen.
Befasst du dich mit feministischen Bewegungen wie „Femen“?
Ich habe heute erst wieder einen Artikel über Femen gelesen. Es ist in vielen Teilen der Welt notwendig, für Frauenrechte zu kämpfen, und dennoch will ich mit meiner neuen Platte kein politisches Statement abgeben. Ich möchte gar nicht versuchen, mich mit Menschenrechtlern, die für Frauen in Indien oder Russland kämpfen, auf eine Stufe zu stellen. SHULAMITH soll kein Beitrag zum Feminismus sein. Ich wollte mein Album einfach nach jemandem benennen, der mir persönlich viel bedeutet. Ich bin nicht gut darin, politische Reden zu schwingen, ich bin einfach nur Songschreiberin.
Du hast später noch ein Modeshooting für uns. Wie wichtig ist dir Mode?
Ich bin nicht besonders modebewusst. Es gibt so viel Armut in der Welt, dass ich ein schlechtes Gewissen hätte, mich zu sehr mit diesem Thema zu beschäftigen. Auch wenn Mode eine schöne Ablenkung vom Alltag ist, sollte man sich nicht von teuren Designerstücken blenden lassen, die mehr kosten als das, was manche Leute in fünf Jahren verdienen.
Wenn du dennoch die Chance hättest, bei einem Fotoshooting dein Aussehen zu verändern, was würdest du ausprobieren wollen?
Ich mag es, meine Haare zu färben, und wäre gern wieder einmal blond. Lange Haare wären auch toll.
Gibt es andere Musiker, die du für ihren Stil oder ihre Ausstrahlung bewunderst?
Ich mag Naeem Juwan von Spank Rock, die Performance-Kunst von Boychild und den nüchternen Stil von The xx. Auf der Bühne ist das Aussehen natürlich nicht egal, immerhin bezahlen Leute Geld dafür, uns Künstler zu sehen.
Deine Musik hat einen ganz eigenen Sound. Suchst du dir deshalb auch hin und wieder ungewöhnliche Orte, um sie vorzutragen?
Ich habe mit meiner früheren Band Gayngs einmal in einem Indianerreservat gespielt. Außerdem hatte ich einen Auftritt in einer Psychiatrie vor Jugendlichen, die da seit Ewigkeiten drin waren und nicht rausgehen konnten, um Konzerte zu besuchen. Wir haben dort Johnny-Cash-Songs gespielt und waren erstaunt, dass die Jugendlichen alle Texte auswendig konnten. Es ist toll, an Orten aufzutreten, an denen Menschen der Zugang zu Live-Musik üblicherweise verwehrt ist.
Wie kommt man zu solchen Auftritten?
Zwei meiner Tanten sind Nonnen und durch sie bin ich auf diese Projekte aufmerksam geworden. Wenn man als Künstler danach sucht, gibt es viele Möglichkeiten, in Krankenhäusern oder in Gefängnissen aufzutreten, um den Menschen mit Musik einen Lichtblick zu geben.
Welche Musik bereichert gerade dein Privatleben?
Ich höre momentan gern den Pianisten Ludovico Einaudi. Der Song „Life“ klingt wie ein Lied aus einem Filmsoundtrack. Wenn wir durch die ganze Welt touren, höre ich ihn sehr oft und stelle mir vor, dass das alles gar nicht real ist und ich nur eine Rolle in einem Film spiele.
Sängerin Channy Leaneagh und Produzent Ryan Olson – Ex-Mitglieder der Folk-Band Gayngs – gründeten Poliça 2011. Im folgenden Frühjahr veröffentlichten sie ihr Debütalbum GIVE YOU THE GHOST. Der ungewöhnliche Sound der Band aus Minneapolis wird bestimmt durch den konsequenten Einsatz des Stimmverzerr-Programms Auto-Tune, den Verzicht auf Gitarren und die Wucht von zwei Schlagzeugen. Singer/Songwriter Justin Vernon, besser bekannt als Bon Iver, zeigte sich begeistert: „Poliça sind die beste Band, die ich je gehört habe.“ Anfang 2013 nahm er mit ihnen den Song „Tiff“ auf – verstörendes Video mit Folterszenen inklusive. Im Oktober dieses Jahres erscheint das Nachfolgealbum SHULAMITH