Rolling Stones
Ein Afro-Rhythmus donnert aus der P.A., als sich Charlie Watts hinter sein gewohnt spartanisches Schlagzeug bequemt. Charlie, der mittlerweile endgültig wie ein Mafioso im Vorruhestand aussieht, nimmt den Beat auf, der Rest der Gang stürmt auf die Bühne und intoniert ‚Not Fade Away‘. „Wir werden heute abend nur neue Songs spielen“, droht Mick )agger in blasiertem Cockney-Englisch. Alles Lüge: ‚Tumbling Dice‘, ‚Satisfaction‘, ‚Memory Motel‘, ‚Jumpin‘ Jack Flash‘, ‚Monkey Man‘, ‚Honky Tonk Women‘, ‚Shattered‘ und ‚Undercover Of The Night‘ lassen die Vergangenheit Revue passieren, ‚Sparks Will Fly‘, ‚Love Is Strong‘ und ‚You Got Me Rocking‘ zelebrieren die Gegenwart. Und die gehört bekanntlich dem 32jährigen Baßmann „Darryl Jones. Bill Wyman, Urmitglied *selt 1962, erscheint nur noch kurz auf de’r überdimensionierten, neun Meter *hcThen Videoleinwand – eingerahmt von 22 aufblasbaren Puppen, darunter auch iSdonnas und Elvis‘ Ebenbilder. In Sa-Uten Spielfreude erfüllen die Stones ale«Erwartungen, Richards läßt mit manic+iem Grinsen feurige Soli vom Stapel, Keyboarder Chuck Leavell huscht über die Tasten, Jagger absolviert sein volles Aerobicprogramm und die Rhythmus-.gruppe ist tight wie eh und je – bis das wahrhaft Unvorstellbare eintritt: Charlie kommt aus dem Takt, weshalb das Fundament des ‚Memory Motel‘ kurzfristig wackelt. Egal.
Zweieinhalb Stunden später findet der ‚Voodoo Lounge‘-Zauber sein pyro_ technisches Ende. Während das Feuerwerk abfackelt, machen sich die Rolling Stones bereits in fünf dunkelblauen *Dodge-Vans auf den Heimweg. Natürlich in das obligatorische Stockwerk im *be’sten Hotel am Platze. So geschehen *in „Washington D.C. am l.August letzten *Jahres, dem Auftakt der weltweiten Stone’s-Stadiontoumee. 62 US-Dates und zwei Weltrekorde später – die Shows in San Diego und Atlanta waren jeweils Wnarch einer knappen halben Stunde ausverkauft – werden Lateinamerika, Südafrika und Asien überrollt, allein der Korakuen Dome in Tokio füllt sich sieben Mal. Und am ersten Mai dürfen die ehemaligen ‚Street Fighting Men‘ sogar .standesgemäß in Peking aufmarschie-.ren. Die 30 Millionen Mark Anlaufko-.sten und die eine Million Mark teure .Charter-Boeing 727 haben sich zu diesem Zeitpunkt natürlich schon längst
amortisiert, verglichen mit der opulent angerichteten 9oer-‚Urban Jungle‘-Tournee kochen die Stones diesmal ohnehin auf Sparflamme: Die Bühnenkonstruktion ist trotz Riesenleinwand weit weniger aufwendig, die teure, urbane Dschungel-Deko der «joer-Tour ist schlichterem Endzeit-Flair gewichen.
Zehn Monate sind mittlerweile verstrichen, bis die Rolling Stones samt Ehefrauen und 45oköpfigem Troß auch die Alte Welt erobern: 10 Nightliner und 45 Trucks rollen dann durch Europa, allein 30 Sattelschlepper transportieren die 72 Meter breite, 27 Meter tiefe und 175 Tonnen schwere Bühne von Ort zu Ort. Für adäquate Lautstärke wird gesorgt sein: Die 310 ‚Showco‘- Lautsprechersysteme vertragen insgesamt 1.5 Millionen Watt. 29 Dates in 15 Ländern stehen bisher auf dem Programm, den vorläufigen Schlußpünkt wird der Gig auf dem Hockenheimring am 19. August m* rkieren. „Wie schön“, werden si?h jetzt jene zahlreichen Leser ’scfeen, die keines der heißbe-‚geTirten Tickets mehr ergattern kannten, doch Anfälle von Ärger, Enttäuschung oder nackter 1 Panik dürften unbegründet sein. Aller Erfahrung nach werden die Stones noch das eine oder andere Zusatzkonzert einschieben. Und dann ist die Welt wieder in Ordnung. Für Leipzig, Mannheim und das Schüttdorf-Festival stehen Gigs zur Debatte, außerdem kursiert das Gerücht, die Stones würden auch im Dortmunder Westfalen-Stadion zuschlagen – zum Zeitpunkt unseres Redaktionsschlusses ziert sich der Veranstalter jedoch, irgendeinen Zusatztermin zu bestätigen.
Etwa 600 Polizeibeamte zu Fuß und zwölf berittene Polizisten stehen mit drei Wasserwerfern bereit“, frohlockt das ‚Hamburger Abendblatt‘ am i3.September 1965, „um eventuelle Ausschreitungen der beatbegeisterten Jugend gleich im Keim zu ersticken.“ Ganz klar: Die Kultur des Abendlandes wird Mitte der sechziger )ahre von fünf blassen Briten bedroht, da hilft nur Law & Order. Als die Stones in der Hansestadt landen, bricht der Verkehr um den Flughafen Fuhlsbüttel trotz Alarmstufe Rot zusammen. Und die Berliner zerlegen im gleichen Jahr vor lauter Beat-Begeisterung sogar ihre ‚Waldbühne‘. Eltern sorgen sich fortan um die geistige Hygiene ihrer Kinder; Lehrer und andere Autoritäten warnen die westliche Welt vor kommunistischer Unterwanderung durch langhaarige Halbaffen, während die Standesgenossen im Osten ihre real existierende Kulturkeimfreiheit durch die dekadenten Auswüchse des angloamerikanischen Imperialismus‘ in Gefahr wähnen. Viel Feind, viel Ehr‘. Manager Andrew Loog Oldhams Vision von den Rolling Stones als schwarze, bösartige Variante der angeblich braven Beatles ist längst Realität. „Sie sehen wie Jungen aus“, befindet der Londoner ‚Daily Express‘, „die jede Mutter mit einem Fünkchen Selbstachtung im Bad einschließen würde.“
Und während die Beatles aus der Hand der Queen Orden empfangen und auch vor Sentimentalitäten wie ‚Yesterday‘ nicht zurückschrecken, vergreifen sich die Stones an obskuren Rhythm & Blues-Nummern: Cover-Versionen von Willie Dixons ‚Little Red Rooster‘ und Bobby Womacks ‚It’s All Over Now‘ bringen schwarze Musik in die ansonsten blütenweißen Charts des Jahres 1964. Im Mittelpunkt steht noch Brian Jones als selbsternannter Boß, der ungleich dem Rest der Band wirklich jener böser Bube zu sein scheint, den die Öffentlichkeit selbst im wortkargen, unauffälligen und glücklich verheirateten Charlie Watts vermutet: Jones ist mit 22 Jahren Vater zweier unehelicher Kinder, hüllt sich in topaktuelle Klamotten aus der Carnaby Street und wirkt auf der Bühne neben dem hektisch
zappelnden )ung-agger, dem eingefrorenen Bill Wyrnan und dem Akne-gestraften Keith Richards wie ein erwachsener Mann. Der weibliche Teil der „beatbegeisterten Jugend“ ist hin und weg, die Stones haben ihr Sex-Idol, das im immer noch prüden Wirtschaftswunder-Mief der frühen Sechziger alle verbotenen Freuden symbolisiert. In Amerika hingegen stoßen die Stones auf taube Ohren, ihre erste Tour ist ein Desaster: Sorgen die „neuen Beatles“ in den US-Metropolen noch durch ihr „ungepflegtes Äußeres“ für Schlagzeilen, schlägt ihnen in den Provinzstädten des mittleren Westens eine Mischung aus Desinteresse und Verachtung entgegen: „Ich bin in meinem Leben nie wieder von so vielen Menschen gehaßt worden“, erschaudert Keith Richards, „wie im Nebraska der sechziger lahre. Die hätten uns am liebsten grün und blau geschlagen.“ Wenigstens können die Stones in Chicagos Chess-Studio, wo einst ihre Idole Bo Diddley, Muddy Waters und Chuck Berry arbeiteten, 15 neue Songs einspielen.
Die Zeiten ändern sich, als Oldham, der mit dem eitlen, unberechenbaren Jones auf Kriegsfuß steht, Jagger und Richards als Songwriter-Team und Vorzeige-Stones etabliert. Der Blues weicht 1965 kommerzielleren Singles wie ‚The Last Time‘ und ‚Satisfaction‘, die den Ruhm der Stones im eigentlichen Sinne begründen: Power-Pop mit bluesigem Einschlag und sarkastischen Texten, an dem auch Amerika nicht mehr vorbeihören kann. Sex sells. Und Jagger, der mittlerweile in unerhört engen Hosen James Browns Tanzschritte imitiert und die lasziven Gummilippen spitzt, heizt die Phantasien offenbar an: „Der Fernsehauftritt der Stones in der Ed Sullivan-Show“, ließ Patti Smith Jahre später wissen, „sorgte für den ersten feuchten Fleck in meinem jungfräulichen Höschen.“
Auch der Zeitgeist spricht plötzlich eine andere Sprache, London wird als uneingeschränkte Metropole der Popkultur zunehmend von der Hippie-Szene San Franciscos beeinflußt. Am Vorabend der Flower-Ära nehmen die Stones den Atbum-Klassiker ‚Aftermath‘ auf, der ursprünglich ‚Could You Walk On The Water?‘ heißen soll – eine Blasphemie, die der besorgten Plattenfirma Decca dann aber doch zu weit geht. Im Zeitraffer werden aus den Stones tatsächlich jene Märchengestalten, die die sensationsgeile Tagespresse braucht man schmückt sich mit schönen Frauen, läßt sich von Dope und LSD inspirieren, hängt in den Londoner In-Clubs mit den Beatles, reichen Kunst-Snobs oder irgendwelchen Earls of sowieso ab und läßt sich im Bentley zu seinen Gerichtsterminen chauffieren. Kurz: Man lebt das glamouröse Leben eines Pop-Superstars im Jahre 1967. Doch das sehen honorige Amts- und Würdenträger natürlich gar nicht gern, weshalb das Establishment auch prompt zurückschlägt. Jagger, Richards und Jones werden mehrfach des Besitzes lächerlich kleiner Mengen Marihuana angeklagt, von der „Vorbildrolle gegenüber der Jugend“ ist die Rede. Ein Stein bleibt dabei fast auf der Strecke: Brian Jones, gezeichnet von exzessivem Drogengenuß und schwindender Autorität innerhalb der Band, wird aufgrund des immensen Drucks seitens der Öffentlichkeit immer paranoider. „Brian nahm jede Droge, die man ihm gab“, erinnert sich Schrift
Good times…
steller Brion Gysin, „du konntest ihm eine Handvoll Pillen anbieten, Uppers, Downers, Trips und sonstnochwas – er schluckte sie alle.“ Dazu gesellen sich verheerende Trinkgewohnheiten, eine fast krankhafte Unsicherheit und eine Überdosis Liebeskummer: Keith Richards spannt ihm während eines gemeinsamen Urlaubs in Marokko seine Freundin Anita Pallenberg aus. Das deutsche Fotomodell, das Jones 1965 während des Münchner Oktoberfests kennengelernt hat, ist seiner Eskapaden offenbar schon länger müde. „Jedenfalls war das der letzte Nagel in jenen Sarg, in dem unsere Freundschaft begraben wurde“, resümiert Richards in einem Anflug von Poesie.
Doch nicht nur Jones hat einen massiven Durchhänger, die gesamten Stones treiben nach endlosen Tourneen und zehrenden Drogenexzessen im kreativen Niemandsland. Das Hippie-Album ‚Their Satanic Majesties‘, angereichert mit geschmäcklerischem Glöckchengebimmel und elektronischen Effekten, wirkt verglichen mit dem zeitgenössischen ‚Sgt.Pepper‘ reichlich unausgegoren. Die Rettung heißt ‚)umpin‘ Jack Flash‘, jene Bluesrock-Single, die einerseits alte Tugenden der Stones reanimiert, andererseits Sound und Image der nächsten Jahre vorwegnimmt. Das Album ‚Beggar’s Banquet‘ schlägt in die gleiche Kerbe, die Stones scheinen auf dem Weg der Gesundung und wollen erstmals seit zwei Jahren wieder auf Tour gehen. Doch der Mann, der den Rolling Stones einst ihren Namen verpaßte, der ihrem Sound mit exotischen Instrumenten wie Sitar, Dulcimer und Marimbaphon so wichtige Impulse gegeben hat und von seinen Bandkollegen wegen seiner übertriebenen Haarpflege stets ironisch „Mr. Shampoo“ tituliert wurde, ist seelisch und körperlich am Ende: Brian Jones wird im Juni 1969 in „beiderseitigem Einverständnis“ vor die Tür gesetzt und
…bad times plant, mit John Lennon und Jimi Hendrix eine „Supergroup“ zu gründen. Einen Monat später ist der 27jährige tot. Keith Richards lakonisch: „Es wird eben nicht jeder siebzig Jahre alt.“
Mick Taylor (21), der beim Brian )ones-Memorialkonzert im Londoner Hyde Park debütiert, läutet eine neue Ära ein, die Stones der frühen Siebziger sind härter und virtuoser denn je. Doch für Schlagzeilen sorgen Entwicklungen, die mit der Musik rein gar nichts zu tun haben: Teilzeit-Filmstar Mick lagger (‚Ned Kelly‘, ‚Performance‘) avanciert endgültig zum Lieblingskind der Klatschspalten, die Trennung von seiner langjährigen Gespielin Marianne Faithfull wird genüßlich kolportiert, und als er schließlich in St.Tropez Michael Caines Ex-Freundin Bianca Rosa Perez Moreno de Macias ehelicht, kennt die Boulevardpresse kein Halten mehr: Die „Heirat im Hippie-Chaos“ wird durch Biancas barbusiges Kleid drastisch aufgewertet, und ein schmollender Michael Caine prophezeit die recht baldige Scheidung der Frischvermählten.
Der europäische Geldadel entdeckt sein Herz für proletarische Rock’n’Roller, die proletarischen Rock’n’Roller entdecken ihr Herz für das südfranzösische Steuerexil. Und daß Charlies Ehefrau Shirley in Nizza einem übereifrigen Zöllner die Handtasche auf die Mütze knallt, empfindet man in Jet-Set-Kreisen als echt shocking. Da plagen Keith Richards schon viel handfestere Probleme: So langsam gehen ihm die Einstichlöcher aus, sein Freund Gram Parsons stirbt an einer Überdosis Heroin, und zu allem Überfluß brennt auch noch sein Landhaus ab. Drogen- und Waffenbesitz bringen ihn zwar fast in den Knast, doch Keith kann von seinem Hobby aus gesundheitlichen Gründen nicht lassen: „Wenn ich keine Drogen nehme, werde ich krank.“ Die Qualität der Stones-Aufnahmen
leidet zunächst weder unter Micks Promi-Eskapaden, noch unter Keiths spritzigem Freizeitvergnügen, die Alben ‚Sticky Fingers‘ und ‚Exile On Main Street‘ gelten auch nach über zwanzig Jahren als Klassiker.
Doch langsam geht’s bergab: Mick Taylor, mittlerweile selbst drogenabhängig, findet sich in der ehrenwerten Jet-Set- und Junkie-Gesellschaft nicht zurecht, mäßige Alben und der Erfolg der Single-Schnulze ‚Angie‘ nagen an der Glaubwürdigkeit der Band. Die ehemaligen ‚Street Fighting Men‘ als Schickeria-Hengste und balladenweiche Hausfrauenfreunde? Die Hüter des heiligen Rock’n’Roll-Grals wittern Verrat, Jagger droht mit baldigem Rücktritt: „Wenn ich 33 bin, ist Schluß. Dann kommt die Zeit, in der ein Mann etwas anderes tun muß. Ich würde es nicht aushalten, wie Elvis in Las Vegas vor alten Damen zu singen. Es wäre mies.“ Mick Taylor sieht seine Zeit bereits Ende 1974 gekommen, die Stones suchen eilig einen Ersatzmann: Rory Gallagher, Jeff Beck, Steve Marriott, Peter Frampton, Leslie West, Harvey Mandel und Wilco Johnson stehen zur Debatte, doch den Zuschlag erhält schließlich Keith Richards‘ Ebenbild Ron Wood von den Faces. Bill Wyman: „Er ist kein so guter Musiker wie Mick Taylor, aber lustiger, mit mehr Persönlichkeit.“
Die Stones mausern sich endgültig zum Großunternehmen, auf Tour geht man nur noch mit einem Troß Begleitmusiker, die Bühnenaufbauten sind aufwendiger denn je – wie der aufblasbare Plastikschwanz im Herkules-Format, auf dem Mick Jagger während der 75er-Tour reitet. „Wie konnte es dazu kommen“, quengelt denn auch ein tief entrüsteter Reporter im amerikanischen ‚National Star‘, „daß dieses picklige Stück Dreck ein Held der Jugend werden konnte? Unsere Kinder zahlen 10 Dollar, um diesen Ausländer, diesen blassen Engländer zu sehen. Und was sehen sie? Sie werden mit Schmutz und Obszönitäten bombardiert!“ Mick Jaggers angebliche Affäre mit der kanadischen Präsidentengattin Margaret Trudeau und die Tatsache, daß Keith Richards zwischen 1975 und 1977 vier Mal wegen Drogenbesitzes angeklagt wird, ist dem guten Ruf natürlich förderlich. Selbst vor Gericht gibt sich der hohlwangige Todeskandidat erfrischend respektlos. Als er im Oktober 1977 mit zweistündiger Verspätung bei seiner Gerichtsverhandlung erscheint, hat er eine wirklich überzeugende Ausrede parat: „Ich mußte warten, bis meine Hose aus dem Wäschetrockner kam.“ Der Richter kontert trocken: „Kaum zu glauben, daß ein Mann ihres Formats nur eine Hose besitzt.“ Auch „der Neue“ fügt sich standesgemäß ins Gruppengeschehen ein: In der Karibik wird Ron Wood 1980 mit lustigen 260 Gramm Kokain festgenommen.
Für noch mehr Wirbel sorgt lediglich Jaggers Scheidungsprozeß, Bianca de luxe fordert 12.5 Millionen Dollar Abfindung und eine monatliche Rente von 13.400 Dollar – letzterer entspricht damals übrigens fast drei deutschen Märkern. Keith kommt billiger davon: Anita Pallenberg, Mutter zwei seiner Kinder und nach Papas Einschätzung eine „stupid bitch“, sucht 1980 kostenlos das Weite. Und was bleibt als ‚Emotional Rescue‘? Männerfreundschaft! Und die besingt man lieber mit ‚Waiting On A Friend‘, anstatt Charlies konsequenten Rat zu befolgen: „Mick und Keith sollten endlich heiraten.“
Doch auch ohne kirchlichen Segen kommt’s zum Ehekrach. Jagger, etablierter Geschäftsmann mit einem in den Achtzigern durchaus zeitgemäßen Faible für’s Geldzählen, geht nicht nur mit Solowerken fremd, sondern verhökert auch noch das Familiensilber: Daß er mit Stones-Songs im Programm auf Solo-Tour geht, läßt Keith öffentlich über Scheidung nachdenken. Pressewirksame Haßtiraden zirkulieren („Jagger’s Soloalbum ist ein Stück Scheiße“), bis schließlich auch der mittlerweile drogenfreie Richards seinen Partner mit einem solistischen Seitensprung betrügt. Das Ende der Stones?
Aber nicht doch! Die Traumschiff-erprobte Urlaubsinsel Barbados gibt 1988 die passende Kulisse für eine seifenopemmäßige Wiedervereinigung ab. Man ist sich nicht mehr böse, liebt sich mehr denn je und kann ohne den anderen sowieso nicht. Ohne ihn allerdings schon: Bill Wyman, der 1962 als William Perks zur Band stößt und mittlerweile stolz verkündet, er habe mehr Frauen flachgelegt als jeder andere Stone (und darüber auch noch Buch geführt), fühlt sich mit seinem Restaurant ‚Sticky Fingers‘ eher der Gastronomie zugetan. Und einem minderjährigen Mädchen namens Mandy Smith, mit dem er kurzzeitig sogar verheiratet ist.
Da waren’s nur noch vier, denn Ersatzmann Darryl Jones, seit 1994 auf der Gehaltsliste, gehört nicht zu den Stammspielern. Und wie geht’s weiter? Wagen wir einen Blick in die Kristallkugel: Alle paar Jahre erscheint ein neues Album, Mick ziert den Titel des ‚Manager‘-Magazins, Keith wird doch noch so alt, wie er schon seit Ewigkeiten aussieht, und Charlie hält bei Pressekonferenzen auch weiterhin die Klappe. Einem Publikum zwischen 15 und 75 wird in ausverkauften Stadien der Rock’n’Roll erklärt werden. Und ihre Wasserwerfer kann die Hamburger Polizei getrost zu Hause lassen.