Rolling Stones
Die „Schlammschlacht um die Stones" war zum „Krieg der Veranstalter" geworden. Doch nun ist die Tour des Jahres vorüber, Mick & Keith & Co lieferten zehn glanzvolle Konzerte bei uns ab. Zeit für eine Generalabrechnung.
Irgendjemand wird am Schluß draufzahlen“, orakelte ME/S im April, als einige deutsche Veranstalter-Riesen noch unter Zuckungen litten ob der Entscheidung der Rolling Stones, bei ihrer 95er-Tour lieber mit einem bis zu diesem Zeitpunkt fast unbekannten Branchenzwerg zusammenzuarbeiten. Die Folge: Groß und Klein ritten via Medien heftige Verbalattacken und überschütteten sich gegenseitig mit Wortschlamm von „arroganter Typ“ bis „Garde der Gescheiterten.“ Über eine halbe Million Fans sahen seither die zehn fantastischen Shows der Rolling Stones in Deutschland, und eines zumindest steht nun fest: es waren nicht die Fans, die draufzahlen mußten.
Und wohl auch nicht die drei Protagonisten der „Schlammschlacht“, lohannes Wessels und Jo Rambock (German Tours) sowie Projekt-Partner Hermjo Klein können sich heute gelassen in ihren edlen Bürosesseln zurücklehnen, ein Lächeln macht sich breit, so entspannt, wie nur Sieger lächeln. „Bei den Großveranstaltern jagt während einer Tour oft ein Tobsuchtsanfall den nächsten“, erklärt Jo Rambock (37) den kleinen aber feinen Unterschied. „Bei uns war alles entspannt, es gab kaum ein lautes Wort auf der Tournee. Alle, vom Techniker bis zu den Leuten in der direkten Blase rings um die Band, sagten, daß es die entspanntesten Shows waren, die die Band jemals in Deutschland gespielt hat.“
NACH DER ERFOLGREICHEN TOURNEE HAT SICH AUF DEM MARKT EIN NEUER MITSPIELER ETABLIERT
Die Entscheidung des Stones-Managements, bei dieser Tour nicht mit den scheinbar unumgänglichen Veranstaltungsriesen (Marcel Avrams MAMA Concerts, Marek Lieberberg, Peter Rieger) zu kooperieren, hat zumindest nicht zu dem Desaster geführt, das im Vorfeld prophezeit wurde. Hermjo Klein (47), der im Auftrag von Fritz Rau die 82er StonesTour mitorganisiert hatte, meint, daß Mick Jagger ganz bewußt die Entscheidung traf, die bisherigen Marktführer zu umgehen und einen krassen Außenseiter ins Boot zu nehmen: „Jagger ist ein Visionär. Das war ganz klar seine Absicht.“ Der Ober-Stone kümmert sich intensiver als viele seiner Kollegen ums Geschäft. Vom Plattendeal bis hin zur Endabrechnung der Konzerte – nichts geschieht ohne sein Wissen. Und Jagger sah nach den letzten beiden Tourneen, wie stark (vor allem in Europa) die großen Tournee-Agenturen geworden sind. So stark jedenfalls, daß sie nicht mehr sämtliche, zum Teil schwer überzogenen Forderungen des Stones-Management stillschweigend schlucken mußten. Micks Konsequenz: In fast allen Ländern, in denen die Stones Station machten, wurden kleinere Veranstalter bevorzugt. Jaggers Idee für Deutschland war es, wie Hermjo Klein vermutet, „einen jungen, heißen Veranstalter, der die Stones schon einmal gemacht hat, mit einer anderen, mittelgroßen Firma zusammenzubringen und dadurch mit einem Unternehmen zusammenzuarbeiten, das mit den ganz Großen der Branche konkurrenzfähig ist.“ Hinzu kommt: Greenhorns waren alle drei nicht. Wessels ist seit 15 Jahren im Veranstalter-Geschäft, Partner Rambock seit zehn Jahren und Hermjo Klein organisierte gar vor 30 Jahren sein erstes Konzert. Johannes Wessels, Inhaber der nun „mittelgroßen Firma“, meint deshalb kurz und bündig: „Die wollten ganz einfach Bissigkeit mit Erfahrung paaren.“
Die Wogen, die sich im Vorfeld der Stones-Tour gebildet hatten und in gegenseitigen Beschimpfungen zwischen deutschen Veranstaltern ihren Höhepunkt fanden, haben sich inzwischen geglättet. Hermjo Klein über die damals medienträchtigen Verbalgefechte: „Wir wollten damals eigentlich nur sagen, daß ein Konzert-Promoter sich niemals für wichtiger als seine Künstler halten sollte.“ Wer Erfolg hat, zeigt leichter Gelassenheit. German Tours und Klein hatten einfach die bessere Nase für die ungebrochene Live-Zugkraft der Band. „Die gesamte Branche hat die Rolling Stones falsch eingeschätzt“, erinnert sich Klein. „Zu dem Zeitpunkt, im Herbst letzten Jahres, waren wir die einzigen, die gesagt haben, daß die fünf Konzerte innerhalb einer Woche ausverkauft sein würden.“
Sie sollten Recht behalten: ‚Voodoo Lounge‘ mauserte sich zur bestverkauften Stones-Platte in Deutschland und VW setzte nach dem Tour-Sponsoring (geschätzte 30 Mio. Mark für 50 Konzerte in Europa und Südamerika) weltweit mehr als 100.000 Golf-Sondermodelle Marke ‚Rolling Stones Collection‘ ab und erzielte damit einen Umsatz von mehr als drei Milliarden Mark. Sogar Microsoft-Chef Bill Gates setzt inzwischen auf die Zugkraft der Rock-Dinosaurier: Er kaufte ihnen für acht Millionen Dollar die Rechte an dem Song ‚Start Me Up‘ ab, der nun die Werbekampagne für ‚Windows ’95‘ musikalisch untermalt.
Hinterher, das gilt auch hier, sind wieder alle schlauer. Am Risiko, die geschätzten zwanzig Millionen Mark („Die exakte Höhe bleibt unser Geheimnis“, so Klein) als Garantiesumme an den Stones Welt-Agenten Michael Cohl zu zahlen, trugen die Veranstalter anfangs schwer. „Im Nachhinein sagt jetzt natürlich unsere Bank: ‚Das hätten wir auch gemacht.‘ Aber bis eine Bank so einen Betrag ohne entsprechende materielle Sicherheiten freigibt, vergehen Monate.“
Doch nicht allein diese Millionengarantie, bei der alle anderen Mitbieter passen mußten, haben den Ausschlag für das Zwergen-Trio gegeben: Das Stones-Management RZO und Cohl waren über ihren Europa-Agenten John Giddings (Genesis, Bowie) auf German Tours gestoßen. Giddings kannte Wessels von seiner Arbeit mit Bowie, Iggy Pop und Tin Machine. Klein wiederum hat einen Brief von Bill Zysblatt (RZO-Chef) gerahmt über dem Schreibtisch hängen, in dem der Amerikaner schreibt: „We consider you to be one of the best Promoters for the Rolling Stones in Germany.“
„Alles Quatsch!“, kommentiert Michael van Almsick, Presse-Mann beim Mitbewerber MAMA-Concerts, diese Erklärung. „Marcel Avram hatte zuvor von den Stones die Zusage, diese Tournee zu machen. Man muß wissen, daß die Rolling Stones nicht gerade wahnsinnig viele Platten verkaufen, aber fantastische Ticketverkäufer sind. Die Konzerte sind ihre wichtigste Einnahmequelle. Das Management hat sich eben für die Kalkulation der Konkurrenz entschieden.“ Persönliche Gründe, meint Almsick, könnten andere glaubhafter für sich beanspruchen: „Mick Jagger gratuliert bis heute Fritz Rau jedes Jahr telefonisch zum Geburtstag.“
Einer zumindest kann sich selbst gratulieren: Investor Gunnar Weeke, westfälischer Maschinenfabrikant und langjähriger Wessels-Freund, mauserte sich binnen vier Wochen zum Hans im Glück. Branchen-Fremdling Weeke (Wessels: „Von den Rolling Stones hat er aber schon mal was gehört.“) hatte als privater Kreditgeber sein Geld bereits vier Wochen nach Vorverkaufsbeginn der Tickets wieder zurück und konnte es anderweitig neu anlegen. Die fette Rendite wird ihm bei der Endabrechnung überwiesen.
Bleibt noch die Frage, wer denn nun am Schluß draufzahlen mußte. Nicht die Fans – die bekamen für stolze 75 Mark die besten Stones seit 15 Jahren geboten. Auch nicht die Veranstalter-Branche, die (mit Ausnahme des finanziellen Reinfalles von MAMA mit „Rock Over Germany“) mit Rekord-Umsätzen aus dem Festival-Sommer geht. Nein, der wahre Verlierer heißt Johannes Wessels: „Dummerweise habe ich vergessen, ein Foto von Mick Jagger und mir machen zulassen.“