Romeo Void – Schach den Schablonen
Mit der Optik fängt es schon an: Debora lyall, kreativer Knotenpunkt des kalifornischen Quintetts, will so gar nicht den gängigen Schönheits-Idealen entsprechen. Doch ein genormtes Covergirl wäre im Rahmen von Romeo Void ohnehin fehl am Platz. Denn im Land des "Meat & Potato-Rocks" wirken auch die ehemaligen Kunststudenten fast wie ein Fremdkörper. Sollte vielleicht Europa ihre musikalische Hochburg werden? Anläßlich ihrer ersten Tournee versuchten wir, diese Frage vor Ort zu klären.
San Francisco, ein unauffälliges Appartement in jenem „Mission Destrict“, der vor nun fast schon 20 Jahren als Start- und Landebahn hochfliegender Acidheads diente; heute ein angenehmes, wenn auch wenig exotisches Wohnviertel.
Paul, ihr überraschend schmächtiger Freund, öffnet die Tür. Ein pausbäckiger Rauschgoldengel weht mir entgegen. Debora Iyall, vollschlanke Halbindianerin, ist ein Ausbund an Energie und natürlichem Charme, lacht schallend, schlägt sich prustend auf die Schenkel und scheut sich auch nicht, ihre wogenden Fleischmassen zu wenig damenhaften Formationen zu gruppieren.
Beim Hineingehen der schnelle, obligatorische Blick auf die Plattensammlung: Pretenders, Lydia Lunch, Billie Holiday, Young Marble Giants, Tina Turner, Aretha Franklin, The Bangles, X, Joan Armatrading.
„Ich Hebe nun mal Sängerinnen“, sagt sie und fühlt sich ertappt. „Eine Gruppe steht und fällt für mich mit dem Gesang.“
Sie war – und ist – Feministin, stellt sich später heraus. 1972, so erinnert sie sich dunkel, marschierte sie mit einer Frauengruppe durch die Frankfurter Innenstadt; ansonsten sind ihre Erinnerungen an Europa vage.
Dabei sollte Europa, so werfe ich ein, für Romeo Void doch eigentlich ein dankbareres Publikum bieten als die Top 40orientierten USA…
„Nicht wahr“, nicht sie begeistert, „die Vermutung habe ich schon lange. Unsere Musik ist vergleichsweise eklektisch, kein Rock ’n‘ Roll zum Hausgebrauch. In America people like their rock’n’roll very straight – Bruce Springsteen, John Cougar Meilencamp, du weißt schon. Man mag hier nichts Ausgefallenes; die Talking Heads sind da wohl momentan die einzige Ausnahme.“
Ähnlich wie die Talking Heads rekrutiert sich Romeo Void hauptsächlich aus ehemaligen Kunststudenten. „Peter und ich haben uns an der Uni getroffen, Frank war Bildhauer und unser Saxophonist Benjamin, der erst 1980 zur Gruppe stieß, arbeitete in einem Delikatessen-Cafe.
Dennoch: Das Image einer ,Art-School-Band‘, wie es Devo oder die B 52 ’s haben, trifft auf uns wohl nicht zu. Vielleicht wirken wir – im Vergleich zum amerikanischen Mainstream-Rock – intellektuell und abgehoben, aber ätherische Kunststudenten sind wir ganz sicher auch nicht. Wir leben, wir schwitzen, wir zeigen Emotionen. „
Der legendäre, inzwischen verstorbene Kritiker Lester Bangs war es, der 1979 das lokale Label „415 Records“ auf die Gruppe aufmerksam machte. Von einer Gruppe allerdings konnte damals noch gar nicht die Rede sein: „Wir spielten alle in verschiedenen Bands; wir trafen uns gelegentlich, schrieben einige Songs und traten dann auch sporadisch auf. Romeo Void war nie ein geplantes Projekt, sondern anfangs nur ein Hobby, fast schon Beschäftigungstherapie. Es gab keinerlei Ambitionen – die Gruppe fiel geradezu vom Himmel! Wir haben nie ein Demo gemacht, nie Kontakte gepflegt, nie PR-Fotos gemacht nichts, was hoffnungsvolle Newcomer gewöhnlich machen. Sie haben uns geradezu ins Studio prügeln müssen!
Der Knoten platzte eigentlich erst, als wir unser erstes größeres Konzert mit Gang Of Four und Wall Of Voodoo gaben. Nicht einer buhte uns aus! Wir waren beeindruckt und stellten fest, daß vielleicht doch mehr in der Gruppe steckt, als wir ursprünglich angenommen hatten. Einen Monat später waren wir dann im Studio.“
IT’S A CONDITION, das Resultat dieser Aufnahmen, strafte soviel Bescheidenheit Lügen. Obwohl dem Album aufgrund begrenzter Vertriebsmöglichkeiten der kommerzielle Erfolg versagt blieb, traf es – vor allem in Europa – auf offene Ohren. Ein Paar Ohren (in seinem Fall gar Segelflieger-Ohren) gehörten Cars-Mastermind Ric Ocasek, der die Gruppe seitdem aufmerksam verfolgt und zwei Jahre später volontierte, um die grandiose Maxi „Never Say Never“ zu produzieren.
„Unsere Musik klang von Anfang an .anders‘ – keine Gitarren-Orgien, keine bombastischen Akkordwechsel. Sie ist mehr um den Baß herum aufgebaut als um die Gitarre. Und ich wollte von vorneherein Raum und Luft haben für meinen Gesang. Ich glaube, wir haben mehr den Ansatz eines Bildhauers; die Musik soll plastisch sein, phantasievoll. Und: Sie soll ein möglichst weites emotionales Terrain abstecken.“
Es scheint, als könne – innerhalb der USA – nur San Francisco den Nährboden liefern für eine Gruppe, die so sehr aus dem Raster der Rock-Vermarktung herausfällt wie Romeo Void. Täuscht der Eindruck?
„Nein, San Francisco hat uns sicher geholfen, weil es hier nicht den Druck wie in New York oder LA gibt, eine Gruppe professionell .aufzubauen‘. Die Residents kommen von hier, Tuxedo Moon, die Dead Kennedys…
Unserer Musik fehlt auch die typisch männliche Aggressivität, die man wohl haben muß, um sich in New York oder LA durchzusetzen.“
Was uns noch einmal zum Thema Feminismus bringt. Feminismus, der sich in den Texten der 30jährigen Frau nicht in Form militanter Parolen äußert, wohl aber in geschärfter (weiblicher) Sensibilität. „Ich versuche Songs zu schreiben, die nicht so glatt, so leicht konsumierbar sind. Ich ziehe es auch vor, selbst beim Schreiben dieses Unwohlsein, diese Fremdheit zu verspüren.
Das sind nicht immer nur negative Erfahrungen, die man am eigenen Leibe gemacht hat, sondern Beobachtungen meiner Umwelt; Momentaufnahmen, die deutlich machen, daß mit unserer Kultur etwas nicht stimmt.
Trotzdem habe ich mir meinen Optimismus bewahrt. Wäre ich nihilistisch, könnte ich nie über Dinge schreiben, die mich tagtäglich berühren. Liebe ist ja auch nicht unbedingt nur eine Sache zwischen zwei Menschen; Liebe ist dein Verhältnis zu der Welt, in der du lebst.
Das soll übrigens auch im Namen Romeo Void zum Ausdruck kommen: Ich kann ’s nicht so recht definieren, aber , Romeo‘ steht wohl für Romanze, für Hingabe – ist aber auch eine Anspielung auf die schwule Singles-Szene hierin San Francisco; auf die unzähligen Lokale, in denen es sich nur darum dreht, einen Mann zu finden… Du weißt“, sagt sie lachend, „daß man in San Francisco immer einen Mann sucht – egal ob du nun eine Frau oder ein Mann bist. Es muß schon ein Mann sein.“
Und wie paßt da die „große Leere“ (void) zum Romeo?
„Als wir einen Namen suchten, gab ’s solche Bands wie Joy Division; das gefiel uns, so was wollten wir auch haben! Also griff ich mir ein Anais Nin-Buch, schrieb einige Wörter heraus und setzte sie in immer neuen Gruppierungen zusammen. Und als ich dann ,Romeo Void‘ las, machte es klick. Die Wörter sprangen sich geradezu an! Ich glaube, der Name ist ideal für uns…“
Wenn auch nicht unbedingt ideal, um von den mit Konfektions-Rock konditionierten US-Kids mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Zumal es Debora Iyall auch wagte, sich mit der gewichtigen Institution der amerikanischen Radiostation anzulegen: Eine unscheinbare Zeile aus „Never Say Never“ („I might like you better if we slept together“/“Vielleicht fände ich dich netter, wenn wir zusammen geschlafen hätten“) wirbelte in den USA so viel Staub auf, daß die Gruppe seitdem damit leben muß, von den Radiostationen nur sehr stiefmütterlich behandelt zu werden.
„Ich weiß, das ist ein Witz. Der Satz kommt aus der Umgangssprache, könnte von Bukowski stammen. Und diese Sprache liebe ich; das war überhaupt nicht als Provokation gemeint. Unser neuer Drummer Aaron Smith (früher u. a. bei den Temptations und diversen Jazzgruppen) jedenfalls hat nichts dagegen einzuwenden. Und der ist ein wiedergeborener und überzeugter Christ.
Aber du hast recht: Irgendwo rühren solche Konflikte wohl daher, daß wir uns nicht bewußt an den demoskopischen Durchschnitt der amerikanischen Jugend wenden. Im Mittleren Westen etwa, wo sie den ,Meat & Potato-Rock‘ lieben, sind wir übehaupt nicht angesagt. Es sind sicher nicht gerade die konsumorientierten Kids, die zu unseren Konzerten kommen.
Wir wollen aber auch kein großes Spektakel, keine große Show. Und wir werden auch nicht von der Industrie als ,next big thing‘ gehandelt. Aber das empfinde ich fast schon wieder als Kompliment.“
Immerhin war die Industrie (in diesem Fall Columbia/CBS) aufmerksam genug, um das zweite Album BENEFACTOR, die von Ric Ocasek produzierte Maxi und unlängst das jüngste Album INSTINCTS zu veröffentlichen – mittlerweile sogar mit bescheidenem kommerziellen Erfolg.
Und die Chancen auf breitere Anerkennung – auch in Europa – stehen gut. Zumal die Musik von Romeo Void in jüngster Vergangenheit kanalisierter und überschaubarer wurde. “ Wir haben heute mehr Struktur in unserer Musik, weil wir ganz einfach besser mit den Instrumenten umgehen können; wir spielen dadurch entspannter.
Es gibt eine dünne Linie zwischen dem Abenteuer und der Anspannung, die in einer Improvisation steckt – und andererseits dem chaotischen Lärm. Wir haben festgestellt, daß wir mit Improvisationen, mit , wilden Passagen‘ besser zurechtkommen, wenn sie sich innerhalb einer Struktur bewegen. Es ist wirklich eine Qual, sich jeden Abend sagen zu müssen: .Und jetzt muß ich wieder auf Teufel komm raus improvisieren‘!“
Um die Gefahr, daß damit möglicherweise schon die Stagnation am Horizont aufzieht, isi sie sich sehr wohl bewußt. Sie schaltet meinen Cassettenrecorder aus, um inoffiziell mitzuteilen, daß einige Mitglieder von Romeo Void bereits musikalischen Ausgleich bei anderen Gruppen suchen; daß man in absehbarer Zukunft vielleicht gar…
„… aber bis dahin wird noch einige Zeit vergehen. Denn bisher hat Romeo Void sein Potential noch nicht annähernd ausgeschöpft.“