Ronnie James Dio
Wie sag‘ ich’s den Zuschauern? Am besten immer noch direkt ins Gesicht, ungeschminkt, mit Pepp. einer fetzigen Performance und möglichst schnittigen Songs! Davon scheinen Ron Keel und seine amerikanischen Hardrock-Youngster, der Opening Act, allerdings noch nicht allzuviel gehört zu haben. Zumindest nicht an diesem Abend. Sänger Ron, das hagere Hemd, gibt sich zwar redlich Mühe, wandert unaufhörlich über die Bretter, shake hands hier, einige aufmunternde Worte ans Publikum dort, ballt — wenn’s denn sein muß — auch mal die Fäuste ums Mikro und stemmt sich dabei in Songs wie „Raised On Rock“, „Tears Of Fire“ oder „The Right To Rock“. Doch das allein genügt nicht. Seine Mitstreiter nämlich, die Gitarreros Marc Ferrari und Bryan Jay sowie Bassist Kenny Chaisson bieten außer Formationstänzen a la Status Quo (zwei links, zwei rechts, das Schwanensee-Ballett läßt grüßen) nur die übliche Saitenreiterei. Fazit: Ein Anheizer, dem das nötige Feuer fehlt.
Schweiß jedenfalls fließt erst, als Dynamo Dio zu einem mehr als 90minütigen Ritt durch die sagenumwobene Welt des Mittelalters bittet. Langsam gleiten die bunten Laserstrahlen über die imposante Bühnenkulisse, eine beschauliche Schloßruine mit einem gar garstigen Drachen als großem Widersacher, dazu düstere Klänge aus dem Off. Gevatter Frankenstein öffnet wieder einmal sein Horror-Kabinett und rüttelt so an den verborgenen Ängsten der Heavy Metal-Fans. Nach wenigen Minuten können wir bereits aufatmen, das Spuk-Spektakel ist vorbei. Die Schloßbrücke senkt sich und gibt Ronnie, den neuen Axeman Craig Goldy wie auch Bassist Jimmy Bain endlich frei.
Gleich der erste Song macht deutlich, wen der Sänger mit „The King Of Rock ’n‘ Roll“ eigentlich meint. So agil, spritzig und spontan, wie er seine Aufgabe als Frontmann, Entertainer und Kopf der Band bewältigt, ist ihm die Hardrock-Krone allemal sicher. Er singt mit Soul, shouted aus vollem Hals, aber stets mit Gefühl, drängt, drückt auf die Tube und hat die Arena dabei fest im Griff. Ein Mann mit seinen Qualitäten muß eben nicht um Sympathien buhlen, er genießt sie einfach —- und zwar vom ersten Laut an. Immer wieder skandieren die 5000 in der ausverkauften Halle seinen Namen wie aus einer einzigen Kehle. Egal ob zu Songs wie „Rock ’n‘ Roll Children“, „Hungry For Heaven“ oder auch seiner Black Sabbath-Komposition „Heaven And Hell“ und Rainbow-Klassikern wie „Man On The Silver Mountain“ und „Long Live Rock’n’Roll“.
Nur ein Wermutstropfen trübt den glänzenden Gesamteindruck: Die Solo-Versuche seiner Backing-Band. Vinnie Appices Drum-Eskapaden sind schlichtweg einfallslos, ebenso das Tastengebolze von Keyboarder Claude Schnell. Noch schlimmer ergeht es Mister Goldy. Was er auf den Saiten seines Instruments anstellt, läuft gemeinhin unter der Bezeichnung „Die Gitarre — das unbekannte Wesen“. Er hämmert jedenfalls so drauflos, als wolle er den Schatten seines Vorgängers Vivian Campbell mit aller Macht vertreiben. Wenn man in Zukunft auf solche unnötigen Experimente verzichten könnte, wäre der Show damit sicherlich gedient. Denn nach wie vor gilt: Dio ist die Band, die anderen dagegen lediglich ein passabler Background.