Rüpel & Co
Beastie Boys, Run DMC, Slayer — die Hallenfirma Dcf Jam isl das Mekka der bösen Buben geworden Sie saufen, raufen und huren um die Wette. Sie lieben Skandale und kultivieren das Image des Kotzbroekens. Def Jam, die Wiege des Heavy Melal Rap, setzt auf Popstars als Proleten. ME/ Sounds besuchte die New Yorker Plallenfirma, die mit Wein, Weib & Krawall Millionen macht.
Das Def Jam-Buro ist in New York, genauer gesagt: in der Bowery zu Hause — einem Stadtteil, der seine Blütezeit längst überschritten hat. Hier liegt das legendäre CBGBs, die Brutstätte des amerikanischen Punk, in dem Blondie. die Ramones und Television ihren Einstand gaben. Hier liegen Trinker auf der Straße, in der Hand die verheerende Hausmarke mit dem verheißungsvollen Namen „Donnervogel“ (Thundcrbird).
Die Bowery ist New Yorker Pop-Geschichte und Gegenwart zugleich. Das wird mir deutlich, als ich an einem Zeitungsstand auf Joey Ramone treffe, der auf mich zugetaumelt kommt und etwas wie „Yd gi/v situ wun som cvffee“ aus seinem wächsernen Gesicht drückt. Etwas beeindruckt durch die Gegenwart seiner kruden Kumpane, beschließe ich.
unsere flüchtige Bekanntschaft ntcht weiter zu vertiefen und drücke mich weiter in Richtung Elisabeth Street, wo Def Jam seine Zelte aufgeschlagen hat.
Obwohl mich die asiatische Punketten – Empfangsdame trotz fester Verabredung noch einmal um den Block schicken will, weil es „hier doch gar nichts zu sehen gäbe“, schaue ich mich in Ruhe etwas um. Der erste Eindruck ist der eines hektischen Generalhaupt-Quartiers. Eine überlebensgroße Darstellung von Run DMC an der einen und einen Schlachtplan mit den Tourdaten der Welttournee von Beastie Boys an der andren Wand nehmen sich aus wie ein Welteroberungsplan — am soundsovielten Paris, dann Amsterdam, schließlich Berlin.
Mittlerweile ist Def Jam mehr als nur die Bezeichnung für ein Platten-Label; der Name schließt auch einen
Musikverlag und eine Konzertagentur mit ein: „Def Jam Pictures“ kümmert sich um die filmische Auswertung der hauseigenen Acts. Kein Zweifel, hier wird die Pizza verteilt, solange sie heiß ist.
Sollte man die Attitüde Rick Rubins, der seines Zeichens Initiator. Mitbesitzer und Produzent des Mini-Imperiums ist, mit einem Bild beschreiben — nichts würde sich besser anbieten als jene Fotographie, die das Jugendzimmer des mittlerweile 24jährigen im Hause seiner Eltern schmückt: Eine langstielige Blondine in Reithosen legt ihr Bein über den Kotflügel eines Rolls Royce, trinkt aus einem Cognacschwenker und bietet als Trinkspruch ein sachliches „Armut stinkt“ dar.
Rubins Vater Mickey. der früher einen Möbelladen sein eigen nannte und mittlerweile Großhändler für Babyschuhe ist, erinnert sich an seinen Sprößling: „Er lieh sich von mir Geld, um sein Label in die Gänge zu bekommen; viel war’s nicht, aber er hat’s mir trotzdem nie zurückgezahlt. Er ist ein fantastischer Organisator, wie AI Capone. Schon als kleiner Junge kaufte er Muscheln, bemalte sie und verkaufte sie weiter.“
Daß er als 12jähriger noch zwischen seinen Eltern schlief, weil er Angst vor dem grünen Mann hatte, mag ja noch durchgehen; daß er dieses nach Aussagen seiner Mutter immer noch tut, “ wenn er ohne Mädchen nach Hause kommt“, mutet schon etwas befremdlicher an.
Rick Rubins Karriere begann nicht als Produzent, sondern als Gitarrist; schon in der Highschool übte er zu den ersten Ramones-Alben und konnte nach sechs Monaten „gut“ genug spielen, um seine erste Band zu gründen: The Pricks (Die Schwänze).
Rubin hatte einige Grundgedanken der Promotion schon als 16jähriger durchschaut und erkannte, daß es das beste für seine Pricks sei. an angesägten Plätzen, sogenannten „hot spots“. zu spielen, möglichst Schlägereien vom Zaune zu brechen und vor allem Hausverbot zu bekommen, um sich einen möglichst schlechten Ruf zu schaffen.
Für alle seine späteren Acts wird er wieder auf dieses Schema zurückgreifen — ein Schema, das vor Slayer und den Beastie Boys schon zahllosen anderen Acts (unter ihnen die Who, die Stones und zuletzt die Pistols) zu weltweiter Presse und kostenloser Promotion verholfen hatte.
Um das Jahr 1981 herum beginnt Rubin sich für die auflebende schwarze Rap-Szene zu interessieren. Er ist fasziniert von der Schnelligkeit, mit der schwarze Produktionen entstehen, immens verkaufen und wieder in die Vergessenheit abtauchen. Ist erstaunt über die Popularität dieser Platten, die sich — ohne Airplay von weißen Radiostationen, geschweige denn von MTV millionenmal verkaufen.
Musikalischer Rassismus ist in den Vereinigten Staaten omnipräsent. das Eindringen schwarzer Künstler in weißgehaltene Medienbereiche wird wenn irgend möglich verhindert und glückte selbst Michael Jackson erst nach seiner Kooperation mit Eddie Van Haien.
Rubin trimmt die Beastie Boys zum Bürgerschreck
1983 arbeitet Rick Rubin mit dem New Yorker Underground-DJ Jazzy Jay an einem Rap namens „It’s Yours“, für den die beiden ein Label suchen und mit Arthur Baker auch finden. Außerdem steigt Rick bei der Punkband Beastie Boys als scratchender Discjockey ein. Zunächst nur als Joke geplant, wird er bald zum festen Bestandteil des Programms. Wenig später ist aus der Punkband eine Rapband mit Punk-Einflüssen geworden. Rubins Gitarrenlehrer Steve Freeman erinnert sich: „Er machte sie zu seinem Alter Ego; sie fluchten nicht und sie nahmen keine Drogen, bevor sie Rick trafen. Er weiß! sehr genau, wie man mit Leuten umspringen muß, um sie zu verändern.“
„It’s Yours“ wird 1984 ein lokaler Hit — und kurze Zeit später trifft Rubin in der New Yorker Disco „Danceteria“ auf Rüssel Simmons, Bruder eines Run DMC-Mitglieds und seines Zeichens Chef eines kleinen Platten-Labels. Der schwarze und der weiße Mann verstehen sich auf Anhieb: „It’s Yours‘ war ein üblicher Slip Hop“, erinnert sich Simmons, „aber es hatte einen Chorus, ein Arrangement, von dem nie jemand geglaubt hätte, daß man es in diese Art Musik hätte integrieren können. Rick verstand mehr von der Musik als die, die sie machten. “ Aus dem Munde eines Schwarzen ist das ein Ritterschlag für einen Weißen.
Simmons hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einige schwarze Acts produziert und suchte eigentlich nach einem Deal mit einer großen Plattenfirma. Rubin aber ließ nicht locker und köderte Simmons mit einem Demotape von LL Cool und der Versprechung: „Ich mache die Arbeit —und du kriegst 50 Prozent.“ „I Need A Beat“ erhält im Def Jam-Katalog die Nummer d.j. 001 und verkauft auf Anhieb 120000 Exemplare. Das Duo sieht sich auf dem richtigen Pfad. Ende ’84 trifft Rubin zum ersten Male auf Run DMC, die gerade ihren Produzenten an Cameo verloren haben. Darrv McDaniels
erinnert sich an seine erste Begegnung mit Rick Rubin, der zu dieser Zeit übrigens immer noch DJ bei den Beastie Boys ist: „Sein Name war damals noch DJ Double R und für einen Weißen war er verdammt hip; er hatte jede Platte und das gleiche Feeling wie wir. „
Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist weidlich bekannt. Es gebührt Rick Rubin die zweifelhafte Ehre, die von den Eltern dieser Erde am meisten gehaßten Abarten populärer Musik auf seinem Label und in seinen Bands vereint zu haben: Punk. Metal und Rap, allesamt aggressiv-obszöne Stilprägungen, die vor allem textlich auf diverse Bevölkerungsschichten mehr als schockierend wirken. Kein Wunder, daß diese Fusion schweres Kreuzfeuer von der „moral majority“ in den USA einstecken muß. Doch das Gekeife treibt nur die Verkaufszahlen in die Höhe; die Dinge stehen gut für Rick Rubin.
Gewalttätigkeiten gehören zum Konzept
Die Idee, Run DMC mit Aerosmith zu paaren, erweist sich als ausgemachter Glücksfall. Ihr Album Raising Hell erreicht als erstes Rap-Album Platin und die“.Billboard“ Top Ten. Die anschließende Tour ist ausverkauft.
Auftritte von Run DMC werden zum Synonym für Gewalt und sogar Totschlag in den Vereinigten Staaten. Die Band lehnt jede Verantwortung ab. doch Labelchef Rubin kalkuliert körperliche Gewalt offensichtlich ein — wie seine weitere Labelpolitik zeigen soll. Der bisher einzige Metal-Act auf Def Jam ist die brutal agierende Trash-Satanisten-Band Slayer. Während ihr Band-Info sie auch als solche ankündigt, beschließt Rick Rubin, sein Handeln nicht mehr hinterfragen zu lassen und sagt alle Interviews für die Zukunft ab.
Die Beastie Boys sind mittlerweile auf dem rechten Weg angelangt und entwickeln selbständig die in ihnen steckenden Veranlagungen zu Granaten-Arschlöchern. Sie werden nicht nur der Alptraum der Eltern Ujähriger Töchter, sondern auch zur Nachtmar von Hotelbesitzern, Konzertveranstaltern und PR-Damen. Immer betrunken und unzuverlässiger als die Polizei randalieren sie wo sie können und ringen ihrer New Yorker Betreuerin mir gegenüber die Worte ab: „Hoffentlich haben diese Leute nie wieder einen Hit und verschwinden in der Gosse, wo sie hergekommen sind. „
Es sieht allerdings nicht so aus. Im Gegenteil. Ihr von Rick Rubin produziertes Debütalbum Licensed Ill, das eigentlich Don’t Be A Faggot („Sei keine Schwuchtel“) heißen sollte, aber unter diesem Namen vom Def Jam-Vertrieb CBS abgelehnt wurde, führt wochenlang die amerikanischen Charts an. Alle Konzerte in den Staaten sind ausverkauft und die drei Mittelklasse-Banausen (sie stammen nicht aus der Gosse, sondern aus relativ wohlhabenden Familien) werden größenwahnsinnig.
Rubin ist weiter auf der Suche nach neuen Bands für sein Label; neben der Arbeit an Filmprojekten mit Run DMC („Tougher Than Leather“) und den Beastie Boys erweitert er seinen musikalischen Rahmen um eine Soul-Variante, die auf den ersten Blick nicht recht zu dem aggressiven Habitus der anderen Gruppen paßt. Tashan und Chuck Stanley sind denn auch die schlechtergehenden Künstler des Labels.
Einen Glückstreffer bescherte ihm allerdings der ehemalige Schwerverbrecher und Straßenräuber Orange Juice Jones, der mit seinem Song „The Rain“ einen Nr. 1 -Hit landet. Es ist eine soft startende Soulnummer, die aber in einer der härtesten „put downs“, also Anschuldigungen mündet, den sich je eine Geliebte auf Schallplatte anhören mußte. Daß er ihre Kreditkarten bereits gesperrt hat, ist noch vergleichsweise harmlos, denn eigentlich hatte er doch vor, jo do a rambo“. Juice sieht sich selbst als Gentleman der alten Schule, der seiner Ex noch Kleenex anbietet, um die Tränen zu trocknen, die er ihr gerade bereitet hat. Aber: „Wenn ich ihre Goldkronen bezahlt hätte und sie würde mich betrügen, ich würde nicht zögern, sie mir mit der Zange wieder zu holen.“ Ein echter Kavalier aus Harlem.
Die neueste Errungenschaft Rick Rubins ist die mit vielerlei Vorschußlorbeeren versehene Band Public Enemy, ein Hardcore-Rapsextett aus Harlem, das sich als Kultur-Terroristen betrachtet und an gewalttätigen Sprüchen und frauenfeindlichen Gesten kaum zu überbieten ist. Ihre Songs heißen „Sophisticated Bitch“ oder „Terminator X Speaks With His Hands“ – und Def Jam kündigt sie als „Schwarze Panther des Rap“ an. Angesichts ihrer musikalischen Mittelmäßigkeit ist allerdings unschwer zu übersehen, welche Marktlücke sie sich wirklich sichern wollen.
Def Jams jüngster Clou: die „Black Panthers of Rap“
Def Jam und Rick Rubin werden in den USA gern mit Phil Spector in den 60ern verglichen. Spector hatte auch als Weißer mit schwarzen Gruppen gearbeitet, mit seinem „Wall Of Sound“ nicht nur einen eigenständigen Sound, sondern auch eine Musikkultur geschaffen, die extrem erfolgreich war und über mehrere Jahre die Charts bevölkerte. Ike &Tina Turner, Crystals und Ronettes waren einige seiner erfolgreichsten Acts.
Rubins Verkaufstrick erinnert auch an die Idee des Elvis-Entdekkers Sam Phillips, der Anfang der 50er sagte: „Wenn ich einen Weißen finden würde, der den Sound und das Feeling der Neger drauf hat, könnte ich eine Milliarde Dollar machen.“
Er fand diesen Mann bekanntlich in Elvis Presley.
Sehen wir einmal von den völlig unterschiedlichen Talenten der Beastie Boys und Elvis Presleys ab, so sind diese Parallelen trotzdem ebenso hilflos übertrieben wie der Versuch. Rick Rubin als Verführer der Jugend zu apostrophieren und ihm die Schuld am Anwachsen der Gewalttätigkeiten bei Konzerten oder gar der wachsenden Kriminalität in den Schwarzenvierteln von Detroit und Pittsburgh zur Last zu legen.
Ein Publikum bekommt immer das, was es verdient — vorausgesetzt es findet sich jemand, der es ihm gibt. Im Augenblick ist das offensichtlich Rick Rubin.