Sailor
Kaum eine andere britische Band sahnte in diesem Jahr auf dem deutschen Plattenmarkt so ab wie Sailor. Und bislang waren die vier Musiker Georg Kajanus, Phil Pickett, Grant Serpell und Henry Marsh Lieblingskinder sowohl des Publikums wie auch der meisten Rockkritiker - eines der vielen Phänomene, denen man bei Sailor auf Schritt und Tritt begegnet.
Mitverantwortlich für den großen Erfolg der Gruppe ist sicherlich die Tatsache, daß sie enorm „camp“ wirkt, daß sie es also durch eine absichtliche und gewitzte Überbetonung althergebrachter Stilformen geschafft hat, eben diese Formen wieder zu aktualisieren. Georg Kajanus, der die Seemansmasche ausarbeitete und die Band zwischen Segelschulschiff „Gorch Fock“, Krabbencocktail und „pimps and prostitutes“ (Strichjungen und Nutten) ansiedelte, mußte indes schwer kämpfen, um sein durchschlagendes Konzept an den Mann zubringen: Mit seiner Plattenfirma stritt er in zähen Verhandlungen, ehe er grünes Licht bekam. Heute, nach guten LP-Verkäufen vor allem auf dem deutschen Markt und den drei Riesenhits „A Glass Of Champagne“, „Girls, Girls, Girls“ und „Stile to Heels“, steht die Firma einmütig hinter Sailor: Erfolg schafft Anhänger und Freunde.
Man muß sich allerdings fragen, wieso Gruppen wie Sailor eigentlich mehr als nur ein paar tausend Platten verkaufen. Denn ähnlich wie auch die Rollers oder Sweet lockten Sailor während ihrer jüngsten Deutschlandtournee zum Beispiel nur etwa zwölfhundert Zuschauer in die Düsseldorfer Philipshalle; wo also blieben die Plattenverkäufer? Zufallsgäste wiederum hatten sich auch nicht versammelt: Die 1200 Mann hinter der Band, sangen die Texte zum Teil mit, egal ob sie nun acht Jahre jung oder fünfzig Jahre alt waren – Ungereimtes, wohin man blickt. Georg Kajanus versteht diese Sache selbst nicht, meint aber, diese Bandbreite der Publikumswirksamkeit sei erfreulich und beabsichtigt. Von Zielgruppen, wie sie doch von jeder Art Wirtschaftsunternehmen ( und was anderes ist eine Popgruppe?) anvisiert werden, mag er nichts hören:“Wir verstehen uns einzig als Unterhalter, und wenn wir so viele verschiedene Leute ansprechen, ist das einfach fantastisch.“
Unterhalter
In der Tat sind Sailor die perfektesten Entertainer, die wohlweislich zwischen Show und Privatleben einen dicken Strich ziehen; wie der Gitarrist von Kiss auch noch horrorbemalt ins Bett zu gehen, ist bei Sailor nicht drin. Dem leicht vernichten Image der offiziellen Sailor-Jungs steht das stinknormale, britischseriöse Gehabe abseits der Bühne gegenüber: Grant Serpell fragt die Promo-Dame Dominica nicht nach Groupies oder Drogen, erklärt ihr in Oxford- Englisch, daß die Band und die Plattenfirma einen Vertrag eingegangen seien, den es halt nach besten Kräften beiderseits zu erfüllen gelte. Wie wahr!
Die Ausgebufften
Vielleicht hängt die ganze Sache mit der Reife und der Ausgebufftheit der Bandmitglieder zusammen. Georg (30), Henry (28), Grant (34) und Phil (30) gehören zu einer Altersklasse, der man Ende der sechziger Jahre nicht über den Weg traute; trotzdem wurden sie – unter anderem – Teeny-Stars. Ein weiterer Hauptgrund dafür: Sailor produziert laut Georg „contrived music“, ausgearbeitete, durchkonzeptionierte Musik ohne Improvisation, aus festen Bestandteilen zusammengesetzt.“ Und Georg als wichtigster Ideenlieferant ist intelligent genug zu wissen, was publikumswirksam ist und was nicht. Ich bin fast sicher, daß er schon bei der Produktion von / „Girls, Girls, Girls“ die ‚ neue Single „Stiletto Heels“ gleich mitkomponiert hat, weil der adäquate Nachzieher eines Hits meist ebenso erfolgreich wird. Weiteres Indiz für die durchdachte Masche der Band könnte die berufliche Herkunft der Matrosen sein: Georg war vormals Designer (!), Grant Techniker, Phil Schauspieler, Henry Musiklehrer.
Das Understatement
Genau kalkuliert scheint auch das musikalische Können der Band. Denn da stellt das Quartett gerade noch eine Gruppe von Leichtmatrosen dar, die sich – Konzept über alles – absichtlich einer recht mäßigen Instrumentaltechnik befleißigt. Mein Freund Bruno, der Schlagzeuger, bestätigte nämlich den Eindruck, daß etwa Drummer Grant Serpell, der füher auch mal Jazz-Rock gespielt hat, erheblich mehr kann, als die Sailor-Simplizitäten verlangen. Und auch gelegentliche Gitarrenläufe oder Keyboard-Harmonien von Kajanus oder Marsh bestätigen: Hier arbeiten relativ gute Musiker mit absichtlichem Understatement. Bedenkt man, daß zum Beispiel Georg Kajanus früher bei der Eclection spielte, aus deren Reihen immerhin Trevor Lucas und Gerry Conway später zu Fairport Convention wechselten, erhärtet sich diese These. Georg fand hier auch einen Grund für die große Beliebtheit seiner Gruppe speziell in der BRD: hübsche, leichte Melodien gepaart mit simplem Rhythmus, Radetzky-Marsch und Tony Marshall bisweilen nicht unähnlich, sprechen wohl gerade bei uns viele Leute an.
Doch nun tritt wieder ein Phänomen auf: Dem schmalhüftigen Musikkörper stehen eindeutig gute, mitunter gar geistesblitzartige Texte gegenüber, die sich der Ur-ldee nach auf einer Zeitschrift namens „Red Light Quarter Review“ (!) beziehen und in meist geistvollen Versen von Spelunken, Matrosen, Heim- und Fernweh, teilweise leichten Mädchen und ähnlichen Dingen dieses Genres berichten. Sailors Textzeile „You don’t make love in Panama until you’ve brought a camera“, bezogen auf mittelamerikanische „Straßenhändlerinnen“, ist einfach umwerfend.
Hinzu kommt, und da sind Sailor wirklich Pop in Reinkultur, die konsequente Art, wie die Band sich optisch darstellt. Henry spielt den Pokerspieler im Nadelstreifenanzug, Grant den gutsituierten Zuhälter, Phil läuft als Pirat über die Bühne und Georg schließlich (bis vor kurzem noch mit Anker auf der Wange) den unbedarften Seemann, der von seiner Braut in Blankenese träumt, während er mit Juanita in Bahia Südfrüchte pflöckt Selbst Sailors Bühnendekoration stimmt aufs Detail: Die Palme, unter der Hans Albers und Henry Belafonte plauderten, das sogenannte Nickelodeon ( in Wahrheit eine hochtechnisierte Keyboards-Kombination) von Amsterdams Leidseplein, die schäbige Fassade eines Montmartre-Cafe’s, dazu die Laterne, die offenbar aus Laie Andersens Nachlaß stammt Sailor gaukeln das Blaue vom Himmel herunter, für die Fans ist es echt liebenswerter Schund in charmanter Verpackung, für die anderen die totale Langeweile. Sailor sind die durcharrangierte Kreuzfahrt bei Harnow & Schummel zum Pauschalpreis, den unmöglichen Forellenfang in der Sargasso-See einkalkuliert Das Image Wohin aber führt die Kreuzfahrt? Sailor könnten eine ansprechende Comedy-Rockgruppe werden, wenn da nicht das Seemanns-Image, manifestiert im Gruppennamen, nicht erheblich stören würde. Der Anker von Georg’s Wange ist schon verschwunden, aber auf der neuen LP „Third Step“ arbeitet das Quartett merklich mit weitergehenden Themen. Laut Georg will man sich allmählich und gefühlvoll von den Meeren dieser Welt, weniger von Sekt und Sexualrhetorik, zurückziehen; hin also zu neuen Ufern. Doch da bleibt die berechtigte Frage, ob das eingefahrene Publikum die Band dort auch an Land gehen läßt. Nichts ist für einen kreativen Musiker hinderlicher als ein einmal festgefahrenes Image.