Salem


Aufruhr im Hexenhaus: Salem aus Michigan ignorieren alle Gesetze kontemporärer Pop- und Rockmusik und laden stattdessen in ein Stahlbad aus Bedrohlichkeit und Befremden ein.

Einen Skandal gab es schon. Nun, eigentlich war es eher ein Skandälchen. Ein Kollege der amerikanischen Checker-Plattform Pitchforkmedia bezeichnete die Musik von Salem als „Rapegaze“ (der Name bezieht sich auf den Gesichtsausdruck der Bandmitglieder auf Fotos – eine fiese Art des Schlafzimmerblicks). Die Blogs tobten, der Autor musste betonen, dass er natürlich total gegen Vergewaltigung sei. Ein Vorgang, der bezeichnend ist, weil er die Ratlosigkeit aufzeigt, mit der man Salem und einer Handvoll artverwandter Bands (bester Name: oOoOO) begegnet. Die üblichen Rezeptionsmuster lassen sich kaum anwenden, ein „klingt wie“ funktioniert nicht. „Witch House“ hat sich als Genrebegriff durchgesetzt – vorerst. House nicht nur aus Wortspielgründen, sondern weil es durchaus um die Rhythmik geht: Die Beats von Salem nehmen allerdings nicht nur elektronische Musik, sondern vor allem auch Hip-Hop als Bezugspunkt. Dazu kommt ein Drumherum, das von Chormusik und dem Pop der Cocteau Twins über Sprachfetzen bis zu kaputten Synthies, Maschinengewehrsalven und schwerfälligen Raps reicht und eine Grundstimmung generiert, die manchmal wehtut. Musik wie ein schlimmer Unfall. Black Metal, nur eben ohne Metal. Grindcore, nur ohne Core.

Dass das Cover des Debütalbums King Night sich einer dementsprechenden Ästhetik bedient, passt gut; dass es gleich mehrere Gruppen gleichen Namens gibt, die mehrheitlich harte Rockmusik machen, ebenfalls. „Yes I Smoke Crack“ hieß die EP, mit der Salem vor knapp drei Jahren vom Soloprojekt John Hollands zu einem Trio mit den Freunden Heather Marlatt und Jack Donoghue wurden. Es folgten drei weitere Kleinformate, bevor im vergangenen Spätsommer King Night erschien. Seitdem sehen sich Salem einer breiteren Öffentlichkeit ausgesetzt. Was die mit ihnen macht, bleibt abzuwarten. Ihre Unlust, live aufzutreten, überwanden sie zuletzt immer öfter. Interviews klingen routinierter als früher.

Aber wo kommt sie nun her, die destruktive Energie? Warum klingen Salem so krass? Und dreht man nicht durch, wenn man einen Song wie „Asia“ aufnimmt? Jack Holland sagt dazu: „Verrückt kann man auch als Börsenmakler werden.“ Stimmt natürlich. Nur würden dann keine neuen Genrebegriffe erfunden.

Albumkritik ME 12/10

* In einem Interview mit dem „Butt Magazine“ plauderte John Holland über sein Heranwachsen. Themengebiete: Drogen (Hollands Mittel der Wahl: Speedballs, eine Kombi aus Kokain und Heroin), Prostitution (in Chicago eine gute Einnahmequelle, auf dem Land nicht so) und seine Verbindung zu Bandmitglied Jack Donoghue (kein Pärchen, aber fast).

* Holland und Donoghue lernten sich in einer Filiale von American Apparel kennen, in der Holland arbeitete.

* Zu Hollands Vorbildern gehören Mariah Carey und Bruce Springsteen.