Salto am Rialto: Don Udo auf Casanovas Spuren in Venedig
Showdown in Venedig. Udo Casanova Lindenberg zieht die Bilanz seines Lotterlebens, philosophiert über Sex im Alter und enthüllt ein süßes Geheimnis: die Frau hinter der Maske
Samstagmorgen, 10 Uhr, Lufthansa-Flug LH 1522 nach Venedig ist startklar, und ich fühle mich verarscht. Kein Udo weit und breit. Der einzige Popmusiker an Bord der Boeing ist Spider Murphy Gang-Gitarrist Gerhard Gmell alias Barney Murphy. Vielleicht startet Barney/Gerhard in Venedig sein Comeback, und die Jungs in der Redaktion haben sich nicht getraut, mir den wahren Grund meines Ausflugs zu verraten… Entwarnung: Barney fliegt privat, und die Dame neben ihm ist seine frischgebackene Gemahlin (so frisch, daß sie noch den Brautstrauß in der Hand hält). Flitterwochen in Venedig! Wer sich bei Ebbe unter der Rialtobrücke küßt, wird auf ewig zusammenbleiben! Oder war’s bei Sonnenaufgang unter der Seufzerbrücke? Egal, hemmungslos romantisch muß es sein, und Ehepaar Murphy gibt sich das volle Programm. Und Udo? Wo steckt Udo? Die Dame von der Plattenfirma weiß es: „Im Bett“. Aber er kommt nach. Später. Heute abend. Während zwei und vierbeinige Italiener mit langen Nasen durch unser Gepäck schnüffeln, erzählt sie mir noch etwas: Udo (zwinker) kommt nicht allein (blinzel) – Udo (zwinker) kommt mit seiner „Sekretärin“ (blinzel, zwinker, blinzel). Die, mit der er schon in den Klatschspalten sämtlicher Boulevardzeitungen zu bewundern war: süße 18, Miss Austria, aus Wien. „Dolce Vita -je oller, je doller schöne junge Frauen und Champagner jede Nacht ja, so’n älterer Herr ist schon sehr gefragt…“, singt Udo gleich in der ersten Nummer („Dirty Old Man“) seines Albums CASANOVA. So gibt er sich auch in Venedig, bloß daß ihm eine schöne junge Frau genügt. Sabine Grundner heißt sie, ist marzipanblaß geschminkt, ziemlich groß, sehr still und sehr höflich. Wiener Schule. Zu Hause hat sie einen niedlichen Yorkshire-Terrier. Udo steht offenbar auf den „Sekretärinnen“-Schmäh: „Nun, Teuerste, wie finden Sie das Betriebsklima?“, interviewt er seine Angebetete, die ihm mit einem ,okay-okay, der Doktor kommt gleich‘-Lächeln antwortet. Aber Udo will’s wissen, fragt zweimal, dreimal, viermal nach, also sagt sie’s ihm: „Kein Kommentar.“ Udo kuckt, schluckt und kontert innerhalb von anderthalb Sekunden:
„Ach, Sie sind doch noch in der Probezeit…“ Verliebte reden mitunter Blech, das gehört nunmal dazu. CASANOVA heißt sein Album nicht bloß, weil es „überwiegend um Beziehungen, Sex und Liebe geht, und das ja wohl auch Casanovas Haupt-Beschäftigung war: zu gucken ob es irgendwas zu Vögeln gibt. Ansonsten weiß ich über ihn nicht besonders viel, außer daß er mindestens fünf Schlitze im Ohr hatte. ,CasaNova‘ (und darum wird es so geschrieben) heißt für mich eher ,neues Haus‘ – neues Sound-Haus, wenn du so willst.“
Neu, weil Udo diesmal zum Aufnehmen nach London gegangen ist und weil auf CASANOVA kein einziges Mitglied des Panikorchesters zu hören ist, sondern neben den Münchner Ströer-Brüdern und Nina Hagen hauptsächlich die Mannen um Produzent Zeus B. Held. Wie Udo ist Held ein echter Deutschrock-Veteran (war u. a. von 73 bis 78 Keyboarder bei Birth Control). Er hat sich allerdings schon vor Jahren auf die Insel abgesetzt und produziert(e) Bands wie Men Without Hats, Dead Or Alive, Fashion, Transvision Vamp.
„Zeus hat so einen Kreis von Geheimräten oder Delegierten: Seine Musiker-Kumpels kommen ins Studio, hören sich die Demos an und gehen erstmal wieder nach Hause, um ein paar Tage damit zu arbeiten. Denen sagt man nicht, wie sie was zu spielen haben – die bringen ihre eigenen Vorstellungen mit, und meistens ist das auch sofort total gut, und wir haben’s gleich aufgenommen“, erinnert sich Udo sichtlich zufrieden an die Studio-Arbeit.
In London hat er auch Nachhilfestunden in schwarzer Musik genommen: bei Tony Gad (Baß) und Drummie Zeb (Schlagzeug) von der Reggae-Band Aswad („… total gut, so richtig easy Jamaica…“) und bei zwei sehr jungen Herren, dem Rapper Sheriff und dem Scratcher Cesare. Mit letzteren will Udo dieses Jahr auch live auftreten, sie haben ihn schwer beeindruckt, außerdem „liegen in Rap und Scratch noch große Möglichkeiten: Da muß man mal ’n bißchen Strawinsky reinballern!“
In Venedig ballert Udo Schampus, echten französischen, schön „brut“ soll er sein. Er feiert sich und seine Sabine, seine Sabine und sich – trotzdem gelingt es ME/Sounds, Morgenmuffel Lindenberg zwecks guten Fotografier-Lichts schon vor zwölf, sogar schon vor zehn Uhr früh ans Tageslicht zu locken.
Nach einem vorwiegend flüssigen Frühstück braucht der Meister unbedingt noch seine Lieblings-Sonnenbrille und verschwindet wieder ins 700-Mark-Zimmer. Sabine verdreht ansatzweise die Augen und lehnt sich leise seufzend zurück: „Wahrscheinlich nimmt er jetzt das Zimmer auseinander; in Zürich mußte auch ein Fenster dran glauben.“ Hier muß nur der Veuve Cliquot aus der Mini-Bar dran glauben, und das „Morgenteuer“ (Udos Gegenteil von Abenteuer) kann beginnen.
Die Tauben auf dem Markusplatz findet er gar nicht witzig, sondern „Hitchcock-“ oder „Ramstein-mäßig“, und mit Maiskörnern will er sich keinesfalls bestreuen lassen, dazu sind ihm die Federviecher zu gierig. Prima findet Udo dagegen die Idee, auch seine Holde abzulichten – „ein bißchen wie in .Wenn die Gondeln Trauer tragen‘, so als wäre ich hinter ihr her und käme langsam immer näher…“ Sabine spielt geduldig mit und mault nur, wenn sie ihren langen Mantel ausziehen und sich im kurzen Weißen in die Kälte stellen soll. Dann nimmt Udo sie in den Arm, streicht ihr väterlich über die Löckchen, nagt an ihrer Wange, knabbert am Ohr und fragt zärtlich: „Willst du Profi sein oder Amateur?“ „Amateur!“
Aber dann stellt sie sich doch in Positur und versucht so auszusehen als ob sie nicht friert. Udo wacht darüber, daß ihr niemand zu nahe tritt. „Hey, die gaffen wie die Affen!“, ruft er Sabine von einer Kanalbrücke zur nächsten zu und deutet auf ein Grüppchen Touristen. „Nimm mal ’ne Mark von denen!“
Udo gefällt sich ungemein in der Rolle des „Dirty Old Man“ – noch mehr gefällt ihm, daß Sabine seine Tochter sein könnte. Er fühlt sich gern ein bißchen „dreckig“, und eine seiner Lieblingsbezeichnungen für Udo Lindenberg ist „Ratte“, auch in den Verbindungen „alte Ratte“ und „Kanalratte“. Nachzulesen ist das in seinem Buch „El Panico“ (erscheint im Februar bei Goldmann). Dort erfahren wir auch Grundsätzliches zum Thema Sex und Karriere:
„…der clevere Popstar macht auf die Dauer immer ein bißchen auf bisexuell, damit auch seine männlichen Fans nicht aller Hoffnungen beraubt werden. Auch muß er seine Honneurs an reifere Frauen, ältere Damen und Omis ablassen, denn sie bilden mutterkomplexmäßig einen kaufkräftigen und zuverlässigen Kreis für seine weitere Prosperität. Was imagemäßig aber noch wichtiger ist: Der in die Jahre kommende Popstar (Udo ist 42) darf sich natürlich in der Öffentlichkeit nur noch mit ganz jungen Mädchen umgeben, so zwischen 17 und 21, damit sein Image möglichst jugendfrisch bleibt. Alte Frauen ab 25 darf er nur in ihrer Wohnung besuchen und mit Frauen über 30 darf er sich nur unter allerhöchster Geheimhaltungsstufe treffen, am besten gar nicht. Wenn der Popstar mit einem jungen Mädchen unterhalb der Sittlichkeitsgrenze zusammen ist, dann sollten das möglichst viele Journalisten mitkriegen und verbreiten, denn das steigert die Hoffnung der kiemkindlichen Plattenkäufer, und die ‚wollen ja irgendwann demnächst auch alle mit dabeisein …“
„El Panico“ sind nicht die üblichen Star-Erinnerungen: „Ich wollte keine triefige Autobiografie machen und schon gar nicht meine Memoiren“, wehrt Udo entschieden ab, „sondern lieber einen praktischen Ratgeber:
, Wie werde ich Popstar?‘. Mit verschiedenen Merkblättern, z.B. ,Wie wird man Popstar und wo muß man zu diesem Zweck geboren sein?, Wann muß sich der künftige Popstar aus der Provinz wegtun, um die große Glitzerwett abzuleuchten?‘, ,Der Popstar, die Liebe und die Frauen‘ Oder: ,Der Popstar, das imagefreundliche Jung-Gemüse, die Midlife-Krise und die Legenden-Absicherung‘. Da sind ganz seriöse Parts drin, z.B. ,Der Popstar und die Politik‘ aber dann auch wieder totales Gespinne.“
Jedes Kapitel beginnt mit Weisheiten zum Popstar-Leben im allgemeinen, um dann nach dem Einschnitt „bei mir war es genauso, aber doch wieder etwas anders“ von Udo im besonderen zu berichten. Er hat das Buch zwar nicht geschrieben (das Material haben zum Großteil andere gesammelt und dabei viel Verschüttetes ans Licht gebracht), aber „zu 98% formuliert“. Und er liest gerne daraus vor – Udo und die Frauen: „Gern hab‘ ich die Fraun geküßt und wußte oft nicht, wer nun welche ist. Manchmal haben sie auch geweint, doch hab ich es immer so gut gemeint. Der Popstar ist ein schöner Mann und frauenmäßig sehr gut dran, die Spermien fingen an zu schwärmien, und er ließ die Spermazocken rocken. Zugegebenermaßen: Ich war ein böser junger Mann, als ich zu erstem Ruhm gelang. Von Entbehrung und Verzicht war meine frühe Jugend geprägt, von Verhaltung zu Verhaltung und ständig im Samenstau. Da mußte einiges nachgeholt werden, doch im Nachhinein sage ich: Stets habe ich Wert darauf gelegt, die Frauen, die mir unterkamen, nicht zu Groupies zu degradieren. Stets habe ich versucht, die gemeinsame Ebene des höchsten gegenseitigen Respekts mit meinen Frauen herzustellen …“
Im Klartext heißt das, so erfahren wir ebenfalls in „El Panico“, daß der „sizilianisch ausgebildete Popstar“ zu Hause seine „Star-Madonna“ mit den Kinderchen herumsitzen haben möchte, während er on the road „lustig weitervögelt, immer nach dem Motto: Hier macht’s der Chef noch selbst. Mancher Leserin wird da vor Entrüstung die Haarspange aus dem Dutt rutschen, aber es nützt ja nichts, so ist es eben. Der sizilianisch ausgebildete Superstar ist und bleibt ein Doppelmoralist. Er stellt sich aber keinesfalls vor die Weltöffentlichkeit und sagt, daß jeder andere das auch so machen soll.“
Mit den Jahren bekommt er was Dramatisches, der Udo. Er tritt auch immer häufiger in Theatern auf: Im Frühjahr hat er wieder ein paar Abende vor, „mit Songs aus der HERMINE-Platte, ein paar aus der neuen, ein paar Knall-Songs und ein paar nur mit Klavierbegleitung“. Udo sieht seine Zukunft in der Rolle des „dramatischen Entertainers“, das Wort „Chanson“ spricht er ganz vorsichtig aus, dafür haßt er den Begriff „Rock Opa“ wie die Pest und will „nicht nur das Gummihosen-Rock’n’Roll-Kasperle sein und immer mehr zu meiner eigenen Karikatur werden. Ich mag nicht immer wieder,Rudi Ratlos‘ singen.“
Der „amerikanisch-westfälische Traum“ des Udo Lindenberg aus Gronau ist nämlich noch nicht zu Ende geträumt, nicht umsonst gibt es CASANOVA auch in einer englischen Version (für deren Texte Leute wie Tom Robinson, Ultravox-Gründer John Foxx, Robert Muller und Keith Reid aus dem Procol Harum-Dunstkreis verantwortlich zeichnen).
„Es ist noch einiges zu tun“, nickt Udo. „Ich bin ja immer noch nur ein Provinz-Star, nur im deutschsprachigen Raum. International, die Megawatt-Karriere, die läuft ja noch nicht.“
Er nimmt einen Schluck Schampus.
„Aber das muß bestimmt reifen“, grinst er schließlich. „Reifen wie ein guter Lindenwhiskey.“