Sarah Kuttner – Die Kolumne


Wenn ihr diese Zeiten lest, ist bei euch mindestens Mitte März, und die Früh-Lingsknospen sprießen verheißungsvoll aus den Gesichtern. Bei mir ist zum Verfassungszeitpunkt Rosenmontag. Ich sitze in meiner Kölner Schreibfinca und laufe permanent Gefahr, von durchs Fenster hereingeschmissenen Bonbons am Kopf getroffen zu werden. Euch geht es innerhalb dieses Zeit/Raum-Konstrukts also gerade deutlich besser. In meiner Schreibgegenwart beschäftigen sich alle mit ermordeten Paradiesvogelschiedsrichtern und verhafteten Betrügermodezaren – zwei Phänomene, zu denen Franz Josef Wagner in der BILD schon alles geschrieben hatte, lange bevor die beiden Fälle in aller Mundewaren. Ich möchte daher alle Tagesaktualität verächtlich in den Wind schlagen und meine Kolumne zu einem Ausritt hinter die Kulissen meiner Sendung nutzen. Da tut sich nämlich einiges. Letztens wurde mir zum Beispiel anläßlich des Besuchs der schwedischen Snob-Rocker Mando Diao wieder mal bewußt, daß man den Hotness-Faktor einer Band gut daran ablesen kann, wieviele Kuttnershow-Mitarbeiter sich während der Probe im Studio aufhalten, ohne etwas zu tun zu haben. Beim Mando-Diao-Soundcheck glich das Studio einer gut gefüllten Mehrzweckhalle, wobei alle akut tätigkeitslosen Show-Mitarbeiter so tun müssen, als gäbe es dringend was zu erledigen: „Ey, hallo??? Ich muß vielleicht ganz dringend checken, daß Sarahs Stuhl nachher auch die richtige Höhe hat!“ Ganz vorne vor der Bühne tummeln sich in der Regel die Damen der Maske. Könnte ja sein, daß einer der Mando-Diao-Typen zu glänzen anfängt oder so, dann muß natürlich sofort nachgemalt werden. Ähnlich verhält es sich in der Redaktion mit dem Job des Gästebetreuers: „Ist es für alle okay, wenn ich überüberübermorgen Gwen Stefani betreue? Ich hab‘ an allen anderen Tagen Schnitt. Ich mach dafür auch nächsten Mittwoch Betreuung für Jürgen von der Lippe.“

Für unbekanntere Gäste stellt die Darbietung in der Show oft den ersten TV-Auftritt dar, was zu charmanten Unsicherheiten führen kann. So bat der bezaubernde Ron Sexmith völlig überfordert meine Redakteurin, ihm aus seinen Klamotten was annähernd Fernsehtaugliches auszusuchen. Die tollen The Good Life (bei deren Soundcheck circa anderthalb Menschen im Studio weilten, die dafür aber umso emsiger) hatten sichtlich Angst, vom Kamera-Kran erschlagen zu werden. Ich kann aber allen besorgten Indie-Artenschützern versichern, daß bei uns noch keiner Lieblingsband ein Leid widerfahren ist. Und sollte ein Künstler nach der Show wirklich mal ramponiert gen Backstagebereich wanken, steht ihm dort ein Psychologenehepaar zur Seite. Bisher haben sich aber alle ganz wohl gefühlt. Vielleicht abgesehen vom SK-Kölsch-Hauptdarsteller Uwe Fellensiek (dessen letztes Indie-Album auf Saddle Creek auch schon 500 Jahre zurückliegt). Herr Fellensiek bekam jedenfalls ungefähr eine Stunde vor Showbeginn einen cholerischen Anfall, weil ihm die Anordnung der Käseschnitten in seiner Garderobe zu unprofessionell erschien, woraufhin er das Gebäude verließ. Apropos Käseschnitten: Die prunkvollsten Backstage-Anforderungen hatten Motörhead. Ich kann mich nicht an alles erinnern, aber die Wunsch liste umfaßte u.a. circa 477 Flaschen Jack Daniels. Rauschgiftkonsum konnte ich sonst noch nicht beobachten (außer bei Ferris MC); auch Handgemenge blieben bislang aus. Demnächst kommen aber die Queens Of The Stone Age, für die werden wir backstage sicher Erdlöcher zum Durchquarzen ausheben dürfen. Vielleicht lade ich dazu noch mal Uwe Fellensiek ein und behaupte, Josh Homme habe gesagt, er habe ne Taxifahrerlederjacke an, und wenn er das anders sehe, solle er doch bitte in Joshs Umkleide vorbeikommen …

Sarah Kuttner-Die Show mittwochs und donnerstags, 21.15 Uhr (Wh. jeweils am Folgetag um 15 Uhr) auf VIVA