Sarah Kuttner – Die Kolumne
Ich falle mit der Tur ins Haus: Diese Kolumne wurde mit der heißesten Nadel gespritzt, die Pete Doherty nie unter die schwarzgeränderten Fingernägel gekommen ist. Ich habe tatsächlich den Abgabetermin verschwitzt; nun scharrt Kontaktmann Albert Koch mit den Hufen. Ich könnte die TV-Diven-Karte ausspielen, schwer beschäftigt tun, was von einem anstrengenden Gastauftritt in Hugo Egon Balders Galashow „Die unzuverlässigsten Halbprominenten“ faseln. Aber erstens sind wir nicht so, zweitens bin ich bei Feiern und Konzerten zu oft mit idiotischem Gesichtsausdruck vor Albert Koch rumgesprungen, als daß er mir die Diva auch nur halbwegs abnehmen könnte. Eigentlich bin ich ein zuverlässiger Mensch und kultiviere diesen Zug in einem Maß, das man als anstrengend empfinden könnte. Wenn irgendwo was pünktlich losgeht, kann man sicher sein, daß ich da bin. Verspätetes Eintrudeln mag geheimnisvoll/vielbeschäftigt wirken, ich kriegs aber einfach nicht hin. Und jetzt bin ich tatsächlich das Coldplay-Album unter den ME-Kolumnisten: ziemlich spät dran, inhaltlich eher mittel. Hm. Meinem Ziel, noch in diesem Jahr zur ME-Top-Kolumnistin zu werden, bin ich so nicht nähergekommen. Wieder werde ich bei der Siegerehrung ins harte Brot der Demut beißen müssen.
Viele denken, als Kolumnistin habe man unterhaltungsjournalistisch gesehen alles erreicht. Stimmt aber nur, solange man sich im Rahmen der Abgabefrist befindet und (noch wichtiger!) eine Idee hat. Schreibt man uninspiriert einer verstrichenen Deadline hinterher, wird das zur harten Arbeit. Außerdem muß man als Kolumnist ständig was erleben, regelrechtes Lebenstrekking betreiben. Sich Extremsituationen aussetzen; öffentlich noch mal Bryan und Ryan Adams verwechseln, so was. Muß man aber auch erst mal bringen. Ich möchte mangels aufpeitschender Erleb und -kenntnisse den Platz für die Top 5 meiner Lieblingsfotos aus dem Augustheft nutzen. Platz 5: Depeche Mode, Seite 8. Wer noch nicht wußte, wie langweilig es auf Pressekonferenzen von Fourtysomething-Superstarbands zugeht, bekommt hier einen Eindruck. Depeche Mode sehen aus, als hätte ein Journalist gefragt, ob sie nach all den Jahren noch Freunde seien. Platz 4: Fiona Apple. Seite 19. Im Artikel geht es darum, warum ihr 2003 fertiggestelltes neues Album bis heute nicht erschienen ist. Auf dem Foto wirkt Fiona allerdings wie eine Frau, die im Selbstversuch zwei Wochen Nachmittagsfernsehen geguckt hat und nun vor reißerischen Nachmittagsfernsehjournalisten erschöpft Bericht erstattet. Platz 3: Björk, Seite 11. Super! Björk kann alles anziehen. Mir wurde das Outfit zum Tragen in meiner Sendung angeboten; allerdings ist mir wegen meiner Körpergröße ständig die Kapuze übers Gesicht gefallen, ich hab’s dann Sven Schuhmacher gegeben. Platz 2: Seite 43, oben. Conor Oberst in einer Kneipe am Tresen. Sieht genau so aus, wie man es sich vorstellt, wenn Conor Oberst in einer Kneipe am Tresen sitzt. Platz 1: Seite 88, eine Fotoserie vom Southside-Festival. Vor allem Bernard Sumner. Serj Tankian, Liam Gallagher und J. Mascis erwecken den Eindruck, es sei in Rockstarkreisen enorm angesagt, uncool und möglichst bestußt auszusehen. Toll!
Einen Wunsch hätte ich noch: Nachdem ich im August die Ehre halte, auf einer Doppelseite mit den tollen Art Brut zu sein, würde ich mir für September wünschen, eine Doppelseite mit The Magic Numbers zu teilen. Ihr würdet eine glückliche Frau sehr alt machen. Geht das? Auch wenn ich zu spät dran bin? I(Leider nein – der Red.)