Schlammschlacht um die Stones


Zwei Konzertzwerge zogen den Mega-Deal um die Tour der „größten Rock-Band der Welt" an Land. Und die Riesen der Branche reagierten säuerlich. Der Krieg der Promoter gipfelte in Vorwürfen und Verleumdungen. ME/Sounds berichtet von der Front.

Als am 28. November das Management der Rolling Stones den deutschen Konzertveranstaltern per Fax mitteilte, wer das Rennen um die ‚Voodoo Lounge‘-Tour gemacht hatte, war die Sensation perfekt: die „größte Rock’n’Roll-Band der Welt“ warf sich in die Arme zweier winziger Konzertbüros mit insgesamt acht Angestellten. Statt der Giganten Mama Concerts mit Stones-Veteran Fritz Rau und Partner Marcel Avram, statt Marek Lieberberg & Ossy Hoppe oder Peter Rieger zogen die beiden Hamburger Zwerge German Tours von Johannes Wessels und Hermjo Klein Veranstaltungen den dicksten Fisch an Land, den das Business zu bieten hat.

Eigentlich hätte jetzt kollektives Aufatmen angesagt sein müssen, denn im Vorfeld der Tour-Vergabe reagierten die Grandseigneurs der deutschen Veranstalterszene beim Thema Rolling Stones noch wenig euphorisch: Angesichts der knallharten Verkaufsstrategie des neuen Stones-Managers Bill Zysblatt und seiner New Yorker Firma RZO sei an Jagger, Richards und Co. „nicht mehr viel zu verdienen“ (Marcel Avram), oder allenfalls „Kleingeld“ (Marek Lieberberg). Doch als der Kelch an ihnen vorübergegangen war, kam es dann doch zu der einen oder anderen Empfindlichkeit der Erfolgsmenschen — nicht zuletzt deshalb, weil permanente Umsatzrekorde der Rock-Opas in den USA einen unerwarteten Run auf die 350.000 Tickets der fünf deutschen Stones-Shows auslösten. Innerhalb kürzester Zeit war das gesamte Kartenkontingent restlos ausverkauft.

Nachdem Hermjo Klein, der sein Handwerk 1968 bis 1988 für Fritz Rau ausübte, im Höhenrausch der frischen Zusage in einem Focus-Interview die Riege der deutschen Konzertveranstalter im allgemeinen und Marek Lieberberg im besonderen als arroganten Haufen abgewatscht hatte, lief Lieberberg im Gegenzug in den Branchenblättern ‚Musikwoche‘ und ‚Musikmarkt‘ zu Hochform auf: „Obwohl in allen anderen europäischen Ländern bewährte Veranstalter den Zuschlag erhielten, entschieden sich die Inhaber der Weltrechte in Deutschland für Arrangeure, die bisher eher durch rasante geschäftliche Berg- und Talfahrten sowie durch Firmenwechsel und -neugründungen aufgefallen waren“. Lieberberg, Veranstalter von Mega-Stars wie Guns ‚N Roses und U2, weiter: „Während jeder halbwegs nach wirtschaftlichen Grundsätzen kalkulierende Promoter bei den völlig überzogenen Forderungen der Stones-Vermarkter passen müßte, gefiel sich die Garde der Gescheiterten in der Pose des Pokerspielers, der auf Bluff setzt, weil er nichts zu verlieren hat oder einen dummen August als Investor in der Hinterhand hat“. Damit konfrontiert, schüttete Kontrahent Klein gleich tanklastzugweise Öl ins Feuer: Marek Lieberberg sei ein „arroganter Idiot“ und frustriert, „weil er die Stones noch nie gekriegt hat.“ Außerdem überziehe Lieberberg Vorverkaufsstellen mit Boykottdrohungen, falls sie Stones-Tickets anbieten würden. Lieberberg freilich verwahrte sich gegen diese Anschuldigungen und konterte mit ganz präzisen Vorwürfen: „Hier sind zwei finanziell schwache Gruppen am Werk, die den Deal auf Teufelkommraus mit heißer Nadel gestrickt haben —- unser Angebot lag 35 bis 40 Prozent niedriger“ Der ehemalige Konzertpromoter Werner Kuhls, bei dem sowohl Wessels als auch Klein schon in Lohn und Brot standen, schlug in die gleiche Kerbe. Kuhls „gratulierte“ dem Veranstalter der Welttournee, Michael Cohl, zur Wahl seiner Geschäftspartner: „Herzlichen Glückwunsch zu Eurer exzellenten Entscheidung für zwei erfahrene Promoter, die ohne jeden Zweifel aus den Tourdaten der Stones eine unvergeßliche Erfahrung machen werden. Um aus der deutschen Tour einen Erfolg zu machen, konzentriert Hermjo Klein seine finanziellen Ressourcen derartig auf das Projekt, daß er nicht ‚mal mehr in der Lage ist, seine Büromiete und andere Rechnungen zu bezahlen. Johannes Wessels auf der anderen Seite hat ein so außergewöhnliches Talent, (…) daß er bisher schon mit zwei verschiedenen Firmen baden gegangen ist“. Zusammen mit ihren örtlichen Veranstaltern, die alle gleichermaßen die hohe Kunst des Konzerteveranstaltens beherrschten, „wird dieses Team sicherlich für einen völlig reibungslosen Ablauf der kommenden Veranstaltungen sorgen“. Ein zynischer Kommentar, der nicht unwesentlich von Kuhls laufenden Prozeß mit seinen Ex-Partnern geprägt sein dürfte. Andere Beteiligte äußerten sich weitaus zurückhaltender. Ganz emotionslos reagierte etwa Fritz Rau, der seit Jahren alle Stones-Konzerte in Deutschland veranstaltete und somit als einziger wohl einen triftigen Grund gehabt hätte, sich grollend aus dem Fenster zu lehnen: „Jeder will ja die Stones machen und wir hatten den Zuschlag längst Schwarz auf Weiß. Dann kam in allerletzter Sekunde Hermjo Klein mit einem sensationellen Angebot – da haben wir dankend abgelehnt. Für uns ein ganz normaler Geschäftsvorgang“. Auch der Kölner Großveranstalter Peter Rieger, dessen Konzertbüro bis zuletzt mitgeboten hatte, sieht die Angelegenheit gelassen: „Ob ich die Stones mache oder nicht, ist für mich keine existentielle Frage. Aus heutiger Sicht haben German Tours und Hermjo Klein alles richtig gemacht. Zum damaligen Zeitpunkt aber war ihr Angebot ein irrsinniges Risiko“. Johannes Wessels und Hermjo Klein lassen dagegen keine Gelegenheit aus zu betonen, „daß wir keine Unsummen bezahlt haben und auch noch etwas verdienen“. Der Deal sei vor allem deshalb zustande gekommen, weil das Stones-Management bei anderer Gelegenheit sehr gute Erfahrungen mit German Tours gemacht habe.

Was ist also dran an den Vorwürfen und Gerüchten, die sich seit der Bekanntgabe des deutschen Veranstalters hartnäckig halten? Müssen die Fans Angst haben, bei einer eventuellen Tour-Absage ihr Geld nicht wiederzusehen? Warum war der Vorverkauf so schnell zu Ende, daß viele Freaks gar keine Chance hatten, überhaupt eine Karte zu ergattern? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat sich ME/Sounds zunächst einmal bemüht, Licht in die Finanzierung des Millionenspektakels zu bringen. Bevor die Verhandlungen über zwei mögliche Zusatzkonzerte Ende August abgeschlossen waren, standen fünf Shows mit zusammen etwas mehr als 350.000 Zuschauern zur Debatte (bei Redaktionsschluß wurde über drei weitere Shows in Mannheim, Leipzig und dem Schüttorfer Festival verhandelt). Ohne die zusätzliche Vorverkaufsgebühr von 10 Mark bzw. 11,50 (jeweils 5 Mark an die Vorverkaufsstelle und den zentralen Ticketvertrieb in Münster; 1,50 für die örtlichen Verkehrsbetriebe) bleiben den Veranstaltern 65 Mark pro Ticket — das bedeutet, der Deal hat ein Finanzvolumen von insgesamt rund 23 Millionen Mark. Und die Kosten? Vor Ort muß jeweils für Stadionmiete (10 bis 12,5 Prozent des Brutto-Umsatzes), Stagehands (circa 5000 Mannstunden), bis zu 300 Leute Security-Personal, Catering, Aufbaukräne, Stadionnahbereichsreinigung etc. geblutet werden. Macht zusammen 7 Millionen Mark. Daß das Stones-Management für die Shows locker 90 Prozent von den restlichen 15 bis 16 Millionen einstreicht, ist kein Geheimnis. Hermjo Klein und German Tours-Chef Johannes Wessels drücken sich zwar um die genauen Zahlen, bestätigen aber eine Garantiesumme zwischen 13 und 14 Millionen Mark. Der satte Betrag war bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Ende November fällig, als noch niemand seine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte, daß die die Stones als Herrscher des Rock-Olymps ihr Gefolge noch einmal derart heftig mobilisieren würden. „Wir haben eben auf ‚Ausverkauft‘ kalkuliert. Wäre das nicht aufgegangen, würden wir jetzt ganz schön in der Scheiße sitzen“, meint Johannes Wessels. Um genau zu sein wären allein in Köln 5000 Tickets weniger verkauft worden, hätten die Veranstalter ziemlich satt drauflegen müßen.

Aber wie konnten die beiden Mini-Firmen die enorme Summe zusammenbringen? „Meine Hälfte der Garantiesumme habe ich durch mittelfristige Bankkredite finanziert“, erklärt Hermjo Klein.

Während Johannes Wessels einen privaten Finanzier an der Hand hatte: „Der Investor ist ein Freund von mir. Ein ehemaliger Fabrikant, der das Geld hat und als stiller Gesellschafter am Gewinn beteiligt ist“. ME/Sounds hat den finanzkräftigen Hintermann der Stones-Tour aufgespürt, der aus seinen Motiven kein Hehl macht: Gunnar Weeke, Kapitalanleger aus Ostwestfalen, verwehrt sich gegen den Vorwurf, der „dumme August“ zu sein. Ihn lockte weniger eine naive Vorliebe für die Stones als vielmehr die „Aussicht auf einen relativ hohen, kurzfristigen Gewinn“ — trotz des erhöhten Risikos. „Ob sich das renditemäßig lohnt, werde ich erst nach der

Tour wissen. Mein Kapital habe ich längst zurück, das ist die Hauptsache“.

Welche Rolle spielt beim Spiel der Millionen die Autofirma VW? Volkswagen ! zieht als offizieller Sponsor der Stones-Tour durch Europa und Südamerika — wie schon bei den letzten Mega-Tourneen von Genesis und Pink Floyd — alle Register, um von den großen alten Herren des Rock’n’Roll die ewige Jugend für einen Sommer zu pachten. Die Stones kassieren allein 3 Millionen Mark dafür, daß VW ihren Namen verwenden darf. Zusätzlich verpflichtet sich der Konzern, europaweit ein vertraglich festgelegtes Werbevolumen für die Gruppe zu investieren — bei Genesis waren es 20 Millionen, der Marktwert von Jagger und Co. dürfte weitaus höher liegen. „Die Band profitiert dabei von unseren Promotionaktivitäten in ganz Europa und der Produktwerbung mit den Stones-Sondermodellen. Das kurbelt die Platten- und Ticketverkäufe an“, erläutert Jennifer Hurshell, Leiterin der VW-Abteilung PR und Sponsoring. Trotz des Engagements im Sponsoring sollte für die Automobilbauer ein Wunschtraum nicht in Erfüllung gehen: Von einem Zusatzkonzert am Firmensitz Wolfsburg wollten die Rolling Stones partout nichts wissen… Dafür bekam der Sponsor neben einer Image-Frischzellenkur durch die musizierenden Junggreise und den Verkauf von VW-Sondermodellen (85.000 „Pink Floyd“-Golf wurden bislang abgesetzt) natürlich ein Vorkaufsrecht für einen Teil der Tickets eingeräumt — in Hannover ging knapp ein Drittel der Karten an die Wolfsburger Autobauer, bei den restlichen Konzerten jeweils gute 10 Prozent. An den Gerüchten, daß viele Stones-Fans in den Auspuff geschaut hätten, weil die Volkswagen AG 80 Prozent der Karten eingeheimst hätte, ist also nichts dran.

Trotzdem gab es gehörige Ungereimtheiten im Vorverkauf. Volker Janzen, Geschäftsführer des größten deutschen Karten-Versandes ‚Tickets per Post‘, klagt: „In 10 Jahren habe ich noch keinen derart amateurhaft durchgeführten Vorverkauf erlebt. Wir haben für alle 5 ursprünglich geplanten Konzerte zusammen nur 10.000 Karten bekommen. Das Ticket Center und die Vorverkaufsstellen hatten verständlicherweise großes Interesse, die Karten selbst zu verkaufen, aber dann muß man auch genügend Mitarbeiter und Telefonleitungen bereitstellen, um die Sache bewältigen zu können.“ Ob diese Schwierigkeiten daraus resultieren, daß der Besitzer von ‚Tickets per Post‘ Marek Lieberberg heißt? Andere Vorverkaufsstellen hatten jedenfalls keinen Grund zur Klage. Clemens Basting, Vorsitzender eines Verbandes überwiegend hessischer Karten-Vorverkaufsstellen, meint zum Beispiel: „Bei uns allen stand im Vertrag, daß die erste Hälfte der Karten nach 4, der Rest nach 8 Tagen bezahlt werden mußten. Das ist auch gut, denn sonst wären die Karten in manchen Läden wieder monatelang gebunkert worden, während man sie anderswo dringend gebraucht hätte“. Daß trotzdem mit den Stones-Tickets dubiose Deals veranstaltet wurden, zeigt das Beispiel eines findigen Dachauer Händlers. Er nutzte das Ticket-Computersystem „Start“, über das man weltweit Karten anbieten und ausdrucken lassen kann und verkaufte Optionsscheine für 1100 Hockenheim-Karten zu Phantasiepreisen bis zu 95 Mark — ein „offizieller Schwarzmarkt“, an dem es rein rechtlich allerdings nichts zu mäkeln gibt.

Ticket Center-Chef Jürgen Hoffmann, von Johannes Wessels mit der bundesweiten Kartenauslieferung betraut, kann die ganze Aufregung nicht verstehen: „Unsere Vorverkaufsvereinbarungen sind nicht anders als bei allen anderen großen Konzertbüros. Daß viele Fans leer ausgegangen sind, ist zwar traurig, aber unvermeidlich. Die wenigen Termine haben für die Nachfrage einfach nicht ausgereicht. Allein in Köln wären drei Shows machbar gewesen – wer da keine Lust hatte, bei Sonderverkäufen ‚mal eine Stunde Schlange zu stehen, muti sich hinterher nicht wundern“.

Ob hier von „frustrierten Konkurrenten“ gezielt der Vorverkauf boykottiert wurde, oder ob die Veranstalter mit ihren knallharten Bedingungen verhindern wollten, daß etwa Lieberbergs ‚Tickets per Post‘ oder Matthias Hoffmanns Mannheimer Kartenhaus über die WK-Gebühr Geld mit den Tickets machen, ist nicht nachvollziehbar. Eines aber ist sicher. Wären die Tickets kurz vor den Konzerten zu tausenden von unfreundlich gesonnenen Vorverkaufsstellen retourniert worden, hätten Wessels und Klein ein gewaltiges finanzielles Desaster erlebt.

Bleibt die Frage nach dem „Warum?“ Reich geworden ist bei einer Stones-Tournee wohl noch niemand – außer der Band selber, und außer Michael Cohl, der an globalen Vermarktungsrechten der letzten Stones-Konzerte über Merchandising satte 160 Millionen Dollar verdient haben soll. Tatsächlich ist der ’95er Deal mit der deutschen Stones-Tour verdammt eng geschnürt und bietet kaum noch Verdienstmöglichkeiten. Die 2 bis 3 Millionen Mark, die neben der Garantiesumme für die Stones und den Organisationskosten übrig bleiben, verteilen sich auf beide Veranstalterfirmen und den stillen Teilhaber Weeke -— aber erst nachdem die örtlichen Veranstalter für ihre Dienste entlohnt wurden. Hermjo Klein erläutert, warum er das finanzielle Risiko trotzdem eingegangen ist: „Es geht natürlich auch ums Prestige, ist doch logisch. Die Stones sind der Adelsschlag für jeden Promoter. Wenn alles optimal abläuft, werden die internationalen Veranstalter aufmerken: ‚Hoppla, da gibt es ja noch andere Veranstalter'“. Daß die bisherigen Platzhirsche nicht mit Standing Ovations reagieren, wenn ein neuer Stamm in ihren Jagdgründen wildert, ist einsichtig — vor allem aber wenn man bedenkt, daß die Bundesrepublik ohnehin als internationales Dorado in Sachen Konzertgagen gilt. „Irgendjemand wird am Schluß draufzahlen“, ist die einhellige Meinung der Kritiker dieser ungewöhnlichen geschäftlichen Transaktionen. Daß es nicht die Zuschauer sind, dafür wird die Branche sorgen müssen. Schon aus eigenem Interesse. Sonst bleiben die Fans beim nächsten Mal zuhause.