Selig, Rausch und Instant Karma suchen Sand in Texas
Wo bitte geht’s zur Wüste? Selig, Instant Karma und Rausch sind in Texas, genauer in Austin, Hauptstadt von Texas, dem New Orleans der Rockmusik. Zum zehnten ‚South By Southwest‘-Musikfestival, einem der größeren Events in den Staaten. Mehr als 600 Bands treten innerhalb von vier Tagen auf. Rock total. In Texas ist eben alles eine Nummer größer – wie der Nachbau des Capitols, der Sitz der texanischen Regierung, der genau einen Meter höher ist als das Original in Washington. Austin legt immer einen drauf. Wo der Durchschnittseuropäer ein, zwei Clubs in einer Straße erwartet, gibt’s in der 6th Street gleich dreißig. Einer davon heißt ‚Maggie Mae’s‘, und hier werden Selig, Rausch und Instant Karma demnächst ihren US-Auftritt haben. Heute aber sucht der VIVA-Produzent verzweifelt nach der Wüste, um für den Kölner Musiksender ein Road Movie mit den Bands aus der BRD zu drehen. Pech, Baby. Nix mit Kaktus, Staub und Cowboys in Big A, Texas! Austin ist Studentenstadt, grün und kultiviert, mit hübschen Kanälen, wo die Touries in weißen Booten die Koppe einziehen müßen, wenn die Kähne unter den niedrigen Brücken durchtauchen. HighTech statt Barbeque. Von wegen Roadmovie! Im gemieteten Pick-Up suchen Rausch und Co. unter den Augen der Kölner TV-Kameras den Wüstenstaub, der die neugekauften Cowboystiefel belecken und die heimatliche Neo-Romantik mittels Cowboyhüten im Gegenlicht auffangen soll. Stattdessen finden die Bundesdeutschen genügend Hamburgerläden, um britischen Wahnsinns-Rindviechern den Angstschweiß zwischen die Hörner zu treiben. Yo, No Roadmovie Here, Boy!, außerdem geht die Sonne langsam unter und die Bands müssen zum Soundcheck ins besagte ‚Maggie Mae’s‘.
Donnerstag 20.00 Uhr, ‚Maggie Mae’s‘. Zwei belgische Bier-Rockbands versuchen vergeblich, die texanischen Zuschauer auf Vordermann zu bringen. Doch die sind nur auf die ‚Boys from Germany‘ gespannt. Belgien ist in diesen Teilen des Landes nur dann ein Begriff, wenn’s Dienstag ist. Deutsche Onkel, Tanten, Großväter oder Lovers hat aber fast jeder in Austin. Heimspiel also für Selig, Rausch & Co.?
Sollte man meinen, wenn nicht gerade Iggy Pop vor begeistertem Publikum auf der Straße spielen würde. Tausende stehen auf Baikonen, Dächern, Autos, Nebenleuten, Zahnspangen, um Vatter Pop zu sehen. Die Jungs von Rausch werden leicht nervös, die Straßen-Mucke ist im Club besser zu hören, als die eigenen Monitore, aber Iggy hat ein Einsehen. Rechtzeitig zu Rauschs Auftritt macht er Schluß, und Rausch schieben alle Regler hoch.
Die Texaner haben sich vom Belgier-Schock erholt und sind vom Beginn des deutschen Abends begeistert. Zwar nur eine halbe Stunde lang, denn um Mitternacht schlägt die Stunde von Instant Karma und Rausch muß von der Bühne, aber ’ne halbe Stunde sind auch 30 Minuten. Instant Karma – endlich an der Reihe! – machen eine neue Erfahrung. Sagt Gordon: „Endlich versteht auch das Publikum mal, was man sagt!“ Naja, das muß ja nichts Gutes sein, aber immerhin beweisen IK Mut, wenn sie mit leicht germanischem Akzent die Boys zum Rocken bringen wollen.
1.00 Uhr, Selig betreten die Bühne. Interessant wird’s schon werden, deutsche Texte im tiefsten Texas. Es ist wichtig!, das verstehen auch die Amis irgendwie, selbst wenn die meisten vor Ort glauben, es drehe sich um einen Song über Perücken-Fetischisten. Sprachbarrieren hin oder her, die Hamburger schlagen ein wie eine Bombe! Zugabe, Zugabe, Zugabe. Austin scheint auf die Jungs from Hamburg gewartet zu haben und die Band – sichtlich selbst begeistert vom fanatischen Publikum – glaubt letztendlich an ihre Chancen auf dem amerikanischen Markt. Noch ’ne Zugabe, und die war eine zuviel. Woher sollten die Teutonen denn wissen, daß in Texas nach 2 Uhr Nachts kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden darf. Und genau um Zwei legen Jan und seine Freunde die Instrumente weg. Sehr dumm gelaufen.
Gewalt-Frust, denn nach dem gelungenen Gig sollte ja entsprechend gefeiert werden. Schlagartig wird es leer in ‚Maggie Mae’s‘ und in der 6th Street. Vielleicht gar nicht so schlecht, denn morgen früh will VIVA weiter nach der Wüste suchen.
Freitag 13.00 Uhr: Die Band hat verschlafen, und das ist gut, denn Federal Express brachte ein Päckchen aus der BRD: das Video zu Seligs neuer Single ‚Bruderlos‘, und das beschert der Band ein Erfolgserlebnis nach dem anderen. Life is good.
Nur mit dem Wüsten-Trip will’s nichts werden. Die exotischste Location ist eine Texaco-Tankstelle, ein paar Dutzend heiße Meilen außerhalb Austins. Die bringt die kreativ ausgehungerten VIVA-Leute fast zum Weinen. „That’s THE feeling!“ schwäbelt ein Kabelträger, und der Produzent schwitzt und strahlt. Yup, dat isset!
Jan teilt das Glück der Kölner nicht so ganz, an der Tanke gibt’s das Bier nur mit einer Tüte um die Dose und recht so, denn Mann, wer will dat Blech schon sehen, zu dünne schmeckt das Ami-Gebräu. „Hey Leo, stell das Bier weg, das ist nicht politisch korrekt“, ruft Jan zur Ordnung. Schließlich ist es in den USA verboten, auf offener Straße Alkohol zu trinken. Leo scheint nicht allzu traurig darüber zu sein. Ein gewisses Heimweh schleicht sich ein.
Irgendwann wird die TV-Crew doch fündig, ein Örtchen namens ‚Gruene‘ (tja, der deutsche Einfluß). Ein Kaff aus Westernzeiten, wiederaufgebaut und renoviert als Touristenattraktion und voll derselben. Alle stehen im Saloon, der genauso aussieht wie sich ein Disney-Friseur eine Cowboy-Kneipe vorstellt. Aber von Wüste, Einsamkeit, Lagerfeuer keine Spur. Shit – Texas ist auch nicht mehr das, was es mal war. Woll!