Shabazz Palaces
Nachvollzieh- oder gar tanzbar ist das nicht, was sich beim Blick in die HipHop-Kristallkugel offenbart. Die Augen im Londoner Madame JoJo’s strahlen trotzdem.
Es sind eine Menge Amerikaner im Publikum. Die meisten scheinen aus dem Raum Seattle zu sein („Dude, you’re from Greenwood? Sweet!“), und die, die es nicht sind, sind mindestens genauso „stoked“, also hingerissen, Amerikas derzeit beste Rap-Gruppe in dieser Sardinenkiste von Club erleben zu dürfen. Ein junger Mann erklärt seiner Begleiterin, warum das heute Abend ein Big Deal sei: „Sub Pop is this, like, legendary rock label from my hometown, and Shabazz are the first rap guys ever to sign with them!“ „Sick. That’s sick.“
Mittelstandshomies rücken ihre Baseballcaps zurecht, während weiter hinten die segelschuhtragenden Hipster zum Chill-House von Support LA2019 die Arme schwenken. Jedwedes Tänzeln stellt sich ruckartig ein sobald die ersten schmerzverzerrten Beats von „An Echo From The Hosts That Profess Infinitum“ aus Ishmael Butlers Sampler fliehen. Was folgt, ist so kinnladenverrenkend, verwirrend, futuristisch, sexy, kompliziert, hypnotisch und unnahbar, dass man sich alle fünf Minuten fragen muss, ob das gerade überhaupt noch geht – oder ob das die Zukunft des Rap ist. Butler trägt eine pimpige Sonnenbrille zur pinkfarbenen Plastikjacke, gibt aber statt des eiergreifenden MCs den Propheten mit einer seltsam dünnen Stimme – die sicherheitshalber öfter durch Verzerrer und Pitchshifter gejagt wird.
„Youlogy“ wird live zu einem erdrückend funkigem Industrial-Stück mit einstudierten Tanzschritten von Butler und seinem Percussionisten, bei „Yeah Youh“ stöhnt der Bass wie ein sterbender Außerirdischer, während das Jazz-Sample im Hintergrund vor sich hin raschelt. Dass die Kids nicht etwa gelangweilt bei Twitter rumdrücken, sondern wo es irgendwie geht mitrappen und den unergründlichen Rhythmen zu folgen versuchen, muss man ihnen hoch anrechnen. Denn Shabazz Palaces ist nicht der juvenile, reizvolle Gangsta Rap von OFWGKTA oder der eingängige Bombast/Ballast-Pop von Kanye West. Shabazz Palaces ist Jimi Hendrix, Miles Davis, Sly Stone, A Tribe Called Quest – und insgesamt etwas, das man so noch nie gehört hat.
Matthias Scherer