Sheffsache
Tschüss, Timeline! Für das sechste Studioalbum seiner Band Okkervil River ließ sich Will Sheff vor allem eines: Zeit.
Früher war das so: Die Platte war fertig und Will Sheff kamen die noch besseren Ideen. Oder er schob das Album daheim in den Player und merkte: Da fehlt was. Dann ärgerte er sich. Deshalb entschieden sich die Prog-Folk-Rocker aus Austin, Texas, diesmal dafür, immer wieder ins Studio zu gehen. Diverse Aufnahmeblöcke. Bis es tatsächlich fertig ist. Dazu übernahm Sheff, der inzwischen nach Brooklyn umgezogen ist, die Produktion selbst. „Ich produzierte in den letzten Jahren ein bisschen für andere Künstler, nahm mit Bird Of Youth auf, einer Band aus Brooklyn, und mit Roky Erickson von den 13th Floor Elevators. Dafür kaufte ich Equipment, mit dem ich jetzt auch unsere Sachen aufnehmen konnte.“
Fünf Tage hier, acht Tage dort. Verschiedene Philosophien, verschiedene Besetzungen. Und am Ende ein Mastering-Prozess, der noch mal vieles über den Haufen warf. „Es mag nach einer Binsenweisheit klingen, aber das hat Spaß gemacht! Oft genug macht Aufnehmen eben keinen Spaß, weil es plötzlich ein Nine-To-Five-Job ist, wo dich jemand anbellt, dass du diese eine Stelle noch mal einsingen sollst oder härter arbeiten musst. Und ganz ehrlich: Sobald jemand das Wort, Arbeit‘ verwendet, wenn es um Kunst geht, läuft irgendetwas falsch. Kunst muss spielerisch sein.“ Will Sheff, und das gehört für ihn zu diesem Spiel dazu, hält stets seine Ohren überall hinein: „Ich habe diesmal echt komische Sachen gehört. Düstersten Afro-Psychedelic, türkischen Rock’n’Roll und Field Recordings aus den 30er-Jahren. Halt die Art von Musik, die man wirklich nicht auf den Plattenteller legen kann, wenn die Freundin dabei ist, weil die dann denken würde:, Jetzt ist er völlig durchgeknallt.'“ Seinen Bandkollegen dagegen mailte er die Lieder aus allen Herren Ländern, verbunden mit einem freundlichen, aber bestimmten „Lernt das bitte! Vielleicht könnt ihr es irgendwann gebrauchen.“
Ja, Sheff ist ein Nerd. Einer, der über Ginger Bakers Besuche in Nigeria erzählt und davon, wie Ike & Tina Turners „River Deep, Mountain High“ die Moral von Phil Spector brach. Und so kommt er, weil er gar nicht mehr aufhören kann, auf das Tina-Turner-Biopic „What’s Love Got To Do With It“: „Wissen Sie, was ich mir wünsche? Einen Musikfilm, in dem einfach nichts passiert. In dem eine Band nicht erfolgreich wird. In dem der Sänger nebenher Teller spült.“ Im Okkervil-Kosmos übrigens Tagesgeschäft: Während Sheff noch an den Songs von I Am Very Far feilte, arbeitete sein Bassist Pat Pestorius in der Kneipe. Tut er immer noch von Zeit zu Zeit. „Art don’t pay“, sagt er. „Man ist Künstler, weil man Lust darauf hat.“
Albumkritik S. 106