Wenn sich alte Ex-Bands wieder zusammentun, bibbern die Fans: Die angejahrten Herren sollen nur mal nicht das eigene Denkmal vom Sockel stürzen! Bei ihrer Tournee, die vergangenes Jahr nach fast 25 Jahren die Urbesetzung von Gang Of Four zurück auf die Bühnen brachte, zeigte die Band allerdings, daß sie zumindest live noch bestens unter Dampf steht. Doch was folgt, ist wirklich bedenklich: eine CD mit Neuaufnahmen der „Hits“ von Gang Of Four …
Andy Gill sieht zerknittert aus. Seine Stimme braucht eine Selbstgerollte, ehe sie ein hörbares Volumen erreicht. Spät geworden sei es, hustet er. Gerade ist der blonde Gitarrengott daran, einer deutschen Grönemeyer-Entdeckung namens AK-47/11 als Produzentbei der Geburt eines Albums beizustehen. Man habe bis in die Morgenstunden abgemischt. Jetzt ist es zehn Uhr. Und der Mann sitzt schon wieder da, bereit, weiterzumachen im Studio, das sich Gill im Keller seiner supercoolen Stahl- und Steinbude im Zentrum von London eingerichtet hat. Pro- ^ duktion ist seit fast 20 Jahren Gills Brotberuf. Das Debüt der Chili Peppers, Werke von Michael Hutchence und Killing Joke gehen auf seine Kappe. Der Mann müßte eigentlich wissen, wie man aus Musikern das Beste herausholt. Wie verfällt so einer auf die Idee, seine zur Legende gewachsene Ex-Band in Urbesetzung – Sänger Jon King, Bassist Dave Allen, Drummer Hugo Burnham, Gill – nochmal die Hits der ersten zwei Alben einspielen zu lassen, die in Sound und Geist so untrennbar mit 1980 verwachsen zu sein scheinen? „Als wir uns wieder zusammentaten, ging es uns vor allem um die Live-Erfahrung“, sagt Gill. „Daraus entstand das Bedürfnis, ein Dokument davon zu haben, wie wir live wirklich klingen. Aber einen Live-Mitschnitt wollten wir nicht. So kam die Idee auf, die Lieder neu einzuspielen, aber so, daß der Sound stimmte. Wir haben seither nämlich einiges dazugelernt.“
Und siehe da – ein Wunder ist geschehen. „To Hell With Poverty“, „Anthrax„, „At Home He’s A Tourist“ – alles wieder da. Return The Gift-eine CD so heiß, daß die Lava förmlich aus dem Player quillt. „Naja, so lautete halt der Plan „, entgegnet Gill auf das Lob: „Die Alben, Entertainment und solid gold – ich mag den Sound ja. Aber es ist bloß eine mögliche Interpretation des Gang-Of-Four-Sounds. Die Drums zum Beispiel, sie klingen dünn. Das hat seinen Charme. Aber wir wollten das nun endlich mal anders hören, mit schönen, fetten, explosiven Drums.“
Der Plan Qinq auf. Mehr noch: Gerade im frischen Sound zeigen diese Songs, was vielen Bands fehlt, die ihren Kompaß nach Gang Of Four ausgerichtet haben. Wenn Jon King in „At Home He’s A Tourist“ mit einem Bellen „ulcer“ (Geschwür) mit „culture“ reimt, wirkt das – ganz zu schweigen von der Geschichte, die er um den Reim herum erzählt – heute keinesfalls weniger witzig und brisant. „Ein Grund dafür, daß wir heute noch relevant zu sein scheinen „, meint Gill, „ist die Tatsache, daß es uns bei unseren Konzepten nicht nur ums Marketing ging. Es war eine authentische Auseinandersetzung mit der Welt. Dabeihatten wirJon undich, nieeine fixe politische Idee, die wir in unseren Texten umsetzen wollten. Der Arbeitsprozeß war Teil unserer Meinungsbildung. Wir schrieben, um Dinge herauszufinden. Viele neue junge Bands, die sagen, sie seien von uns beeinflußt worden,gefallenmir ausgezeichnet. Franz Ferdinand zum Beispiel. Aber ich kann mich nicht des Gefühls erwehren, daß das alles erst richtig spannend würde, wenn sich die Bands auch textlich etwas mehr abverlangen würden.“ Gang Of Four begegnen einigen dieser jungen Bands jetzt auf Augenhöhe: Return The Gift hegt eine zweite CD bei mit Remixes von Ladytron, The Others, Yeah Yeah Yeahs, The Dandy Warhols u. a. bei. Gill berichtet darüber: „Es gibt so viele Bands, deren Sound eine Reinterpretation von Gang Of Four ist, daß wir uns dachten, es wäre eine interessant, andere Gang Of Four buchstäblich re-interpretieren zu lassen.“ Letzte Frage – sie liegt auf der Hand: Wird es ein Album mit neuem Material geben? Gill: „Wir haben vage darüber geredet. Sehr vage. Wer weiß…“
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