Simon & Garfunkel


Zwischen 1965 und 1970 galten Simon & Garfunkel als Leitfiguren der amerikanischen Songschreiber-Szene. Ihre mit Hits gespickten Alben waren wirtschaftliche Selbstgänger und belagerten weltweit die Charts. Die nach der Trennung erfolgten Solo-Aktivitäten hingegen hatten längst nicht mehr die Durchschlagskraft früherer Unternehmungen. Und plötzlich sind sie wieder da - vereint im Guten - und bescheren zumindest ihrer Plattenfirma und Konzertveranstaltern erneut einen warmen Regen. Aber läßt sich auch der musikalische Mythos unbeschadet in die 80er Jahre transportieren?

Ob es die Reunion des Jahres oder gar des Jahrzehnts ist, steht noch in den Sternen – denn bis jetzt wissen wir in Mitteleuropa lediglich von einem exquisiten Live-Album mit dem Titel THE CONCERT IN CENTRAL PARK. Natürlich sind wir in einigen Wochen klüger: Wenn wir Simon & Garfunkel live bzw. via Fernsehen aus dem Central Park gesehen haben. Aber was geschieht, wenn sich dies bloß als die Reunion eines vergangenen Jahrzehnts erweist?

Okay, manche können sich dann mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien trösten. Oder mit anderen Dingen, die noch wichtiger als Garfunkel und Littbarski zusammengenommen sind. Was aber geschieht mit jenen lonesome people, die Simon & Garfunkel so oft besungen haben? Die wahlweise von Dylan, Leonard Cohen oder eben Paul Simon ihre Lebensweisheiten bezogen haben und nicht müßig werden, von den „Goldenen Sechzigern“ zu predigen. Wie sie wohlwollend Zeitungsberichte lasen: Über Aktionen gegen Axel Springer, Demos für Vietnam und überhaupt…

Erraten! Diese Leute werden die anstehenden Simon & Garfunkel-Konzerte auf Teufel komm raus gut finden und am nächsten Tag in ihrer Chefetage davon schwärmen. Die meisten S & G -Altfans dürften nämlich heute in gesicherten Positionen stecken und die Reunion des Jahres bedeutet für sie nichts als feinsinnige Reminiszenz an damals. So waren wir …

Ein böswilliges Szenario, wie ich gern zugebe. Denn erstens tut es S & G unrecht – und zweitens wurden jene Fans und Freunde des Duos vergessen, die schlichtweg gute Musik mit akademischem Image hören wollen. Hoffentlich der überwiegende Teil all derer, die Simon & Garfunkel umjubeln. Aber Althippies bei Grateful Dead oder immer noch mit Love & Peace-Zeichen grüßende Jugendliche bei Joan Baez-Konzerten haben mich gelehrt, skeptisch zu sein.

„Whatever it is – I’m against it“, stammt meines Wissens von Groucho Marx und scheint mir ein guter Ansatz zu sein, ideologiebeladene Dinge zu untersuchen. Den Sachverhalt oder die Person geistig anrempeln und auf die Reaktionen warten: Kommen Haß, Hilflosigkeit und Wut zurück, dann war die Sache eh nicht viel wert.

Simon & Garfunkel besitzen sicher die Potenz, dem Vorwurf angemessen zu begegnen, sie würden mit ihrem Comeback lediglich nostalgische Sehnsüchte wecken. Oder sie brauchten halt Geld, um ihre jeweilige Scheidung sowie Simons kommerziellen Flop ONE TRICK PONY bereinigen zu können. Oder sie hätten, haarscharf kalkulierend, den Zeitpunkt abgewartet, an dem sie sich ohne große Mühe dem nach neuen/alten Vorbildern gierenden Publikum als eben solche präsentieren konnten. Oder alles zusammen.

Zwar dokumentiert THE CONCERT IN CENTRAL PARK ausschließlich Material aus den Sechzigern und Siebzigern (vom bei S & G unsäglichen „Maybelline“ mal abgesehen); zwar erweckten die angeblich 500 000 Zuschauer im New Yorker Central park fatale Erinnerungen an Woodstock; aber nachdem die Chose abgegrast ist, werden S & G gewiß ein Studioalbum mit neuen Songs veröffentlichen, das musikalisch vielleicht zu weich, doch überzeugend klingt und möglicherweise einige Statements enthält, die man sich wenigstens mal durch den Kopf gehen lassen kann.

Denn dafür besaßen S & G schon immer ein Gespür. Besser gesagt: Paul Simon, denn der war stets Komponist und Texter der allermeisten Songs des Duos. Dies befanden schon zahlreiche Studenten, wenn S & G in ihrer Anfangszeit auf irgendeinem Campus in den USA auftraten. Stets fand das Duo hier seine treueste Klientel auf schoolyard dances und Examensfeten. Zwar offenbarten Tom & Jerry, wie sich die beiden damals nannten, noch selten solch tiefgründige Song-Inhalte wie zehn Jahre später und kopierten vor allem die Everly Brothers hinsichtlich Image, Gesang und Instrumentierung. Was allerdings hätte man um 1957 herum auch anderes tun können? Immerhin traten Tom alias Art Garfunkel und Jerry alias Paul Simon in der TV-Sendung ‚American Bandstand‘ auf und erzielten mit „Hey Schoolgirl“ sogar einen passablen Hit.

Simon, am 13. Oktober 1941 als Sohn eines Radio-Musikers im New Yorker Stadtteil Queens geboren, studierte zu jener Zeit Jura; auch Garfunkel, geboren am 5. November 1941 in Queens, Vater Vertreter für Verpackungsmaterial, war prädestiniert für den University-Flair des Duos: Er studierte Bautechnik, Mathematik, Kunstgeschichte und Pädagogik und erwarb einen Doktorhut. (1971 gar Dozent für Geometrie). Immerhin blieben die beiden ehrlich: Während Jagger und Konsorten Anfang der Sechziger so taten, als entstammten sie der Arbeiterklasse, kehrten S & G stets hervor, was sie waren – nämlich nachdenkliche Intellektuelle inklusive entsprechender optischer Merkmale. Simons professoral übergeworfener Schal auf Fotos Mitte der 60er schien gelegentlich ein bißchen gewollt… Mangels größerer Erfolge trennten sich Tom & Jerry und Simon agierte in diversen Bands wie Tico And The Triumphs, The Mystics und The Passions. Kurzzeitig komponierte er unter dem Pseudonym Paul Kane und soll auch mit Carole King gearbeitet haben.

Für die Firma CBS trafen sich Artie und Paul 1964 wieder und produzierten WEDNESDAY MORNING 3 A.M., laut CoverText, „exciting new sounds in the folk tradition“ einschließlich passenden Fotos: Unser Duo wehmütig und verloren in der U-Bahn-Station. Einer der hier enthaltenen Songs huldigte einem Vorbild des Duos (Bob Dylan’s „The Times They Are A-Changing“), ein anderer besagte: .Die Worte der Propheten sind an U-Bahn-Wände und Mietskasernen geschrieben und geflüstert in den Klang der Stille“. Normalerweise finden solche Verse, weil unverständlich und daher gern als weise angesehen, ihr Publikum, doch WEDNESDAY MORNING 3 A.M. blieb in allen Regalen stehen – was sich erst 1968 ein wenig änderte.

Der agile Simon widmete sich unterdes eigenen Projekten und reiste nach London. Hier spielte er solo THE PAUL SIMON SONG BOOK ein, das etliche spätere S & G-Klassiker beinhaltete (allerdings in akustischer Form) und tourte ein wenig innerhalb des englischen Folk-Club-Kreises. Man gewann den Eindruck, dieser Mann habe eventuell „something to say“.

In der Tat, wie der hochangesehene Musikkritiker Ralph J. Geason vermerkte, hatte sich in den zurückliegenden Jahren eine ganze Riege „new generations songwriters“ aufgemacht, „beauty and truth and meaning“ in Pop-Songs zu verpacken und den oft elitären Zirkeln der Folk-Fans zu entfliehen. Gleason nannte in einem Atemzug Bob Dylan, Phil Ochs, John Sebastian (Lovin‘ Spoonful), Marty Balin (Jefferson Airplane), Dino Valenti (Quicksilver Messenger Service), Tim Hardin, AI Kooper, Smokey Robinson, Mick Jagger, John Lennon und Paul McCartney sowie John Phillips von den Mamas & Papas – und natürlich Paul Simon (einzig Dino Valenti strafte Gleason Lügen!) Bedeutsam an den genannten Musik-Poeten war nicht zuletzt ihre Jugend – angesichts von Zeiten, in denen Jungsein bzw. relative Jugendlichkeit allmählich Mode wurde. Womit sonst als Jugendlichkeit hatte John F. Kennedy den Präsidentschaftswahlkampf gegen Richard Nixon gewonnen? Und überhaupt schlug das gesellschaftliche Pendel nach den arg konservativen US-Fünfzigern nun gemäßigt zur anderen Seite aus: Kritik, zumal intellektuelle und nur bedingt bohrende, ließ sich gut an. Allerdings muß man Früh-Dylan und Früh-Simon auch zugute halten, daß es trotz Kuba-Krise und ähnlichem nur wenig gab, das massive Gegenreaktionen herausforderte (wie später etwa der Vietnam-Krieg). Und das Rassenproblem in den USA, das just 1964 seine zumindest offizielle Lösung erhielt, brannte auch keinem der erwähnten Songwriter unter den Nägeln.

Paul Simons Songs befaßten sich weiter vorwiegend mit der Vereinsamung des Individuums, mit der Unfähigkeit zur Kommunikation und mit den Folgen einer vermassten Industriegesellschaft. Daneben schrieb er oft subtile Liebeslieder. Wenn allerdings der Akademiker mit ihm durchging, klangen seine Kompositionen wie eine Ansammlung mehr oder minder eindrucksvoller Namen zwischen Tolstoi und Robert McNamara. Allerdings: Fast immer konnte er artikulieren, was die Campus-Jugend und ihr Umfeld ansprach und interessierte.

Bevor Simon jedoch diesen Status erreichte, galt er als bloß einer von manchen. Wies im Showbusiness reichlich oft vorkommt, verhalf auch ihm der Zufall binnen weniger Wochen zum Durchbruch. Daß er die einmal erreichte Spitze auch halten konnte, war dann Ergebnis und Beweis seines immensen Talents. Nun denn: Während Simon durch englische Clubs tourte und Garfunkel gerade im Semester steckte, hatte der Produzent Tom Wilson die Arbeit an Bob Dylan’s BRINGING IT ALL BACK HOME (alias SUBTERRANEAN HOMESICK BLUES), Dylan’s erstem elektrifizierten Album, sowie an der Single „Like A Rolling Stone“ beendet. Folkrock galt als der neueste Schrei, wie gleichzeitige Hits a la „Eve Of Destruction“ von Barry McGuire, „Mr. Tambourine Man“ von den Byrds oder der Pop-Verschnitt „I Got You, Babe“ von Sonny & Cher

zeigten. Also nahm sich Wilson nochmals des innerhalb eines Jahres „unmodern“ gewordenen Albums WEDNESDAY MORNING 3 A.M. an, ließ zum Song mit den Worten der Propheten, die an U-Bahn-Wänden dahindämmerten, Schlagzeug, Baß und E-Gitarre zusätzlich aufnehmen und entschärfte damit musikalisch den esoterischen Text, hob jedoch die geglückte Melodie noch hervor. Zu Weihnachten 1965 stand „The Sounds Of Silence“ an der Spitze der US-Hitlisten … Simon flog in die Staaten zurück, rief Garfunkel an und zwei Monate später begab sich das Duo auf Konzertreise.

In Windeseile nahm das Duo eine LP nach „Sounds-Of-Silence“ -Muster auf, natürlich SOUNDS OF SILENCE betitelt, und galt binnen weniger Monate als eine der Hoffnungen der „new generation’s musicians“, Abteilung worldwide. Die vom ebenfalls für Bob Dylan tätigen Bob Johnston produzierte Platte offenbarte Licht und Schatten: Billig-Rock in „Blessed“, erneut flacher Tiefsinn in „I Am A Rock“, ein unnötiges Gitarrensolo in „Angie“; doch auch Exquisites in „Kathy’s Song“, „A Most Peculiar Man“ und „Richard Cory – gewählte Ausdrucksweise, aber ohne unerträgliche Symbolik. Daß „I Am A Rock“ (Hollies) und „Richard Cory“ (Van Morrison & Them) bald bessere Versionen erlebten, störte wenig. Glänzend dagegen, wie übrigens auf allen (!) Paul Simon-Platten: Die Wiedergabequalität. Was mir mangels geeigneter Anlage 1966 jedoch noch nicht auffiel (Dual-Musiktruhe plus Grundig TK 41 Mono!).

Paul und Artie jedenfalls wurden in der Folgezeit den in sie gesetzten Erwartungen wahrlich gerecht. Da Simon über einen großen Fundus bereits komponierter Songs verfügte, fiel die Produktion von PARSLEY, SAGE, ROSEMARY AND THYME (PETERSILIE, SALBEI, ROSMARIN UND THYMIAN – für unsere Hobby-Köche!) nicht schwer: In der Mehrzahl enthielt das Album Songs des PAUL SIMON SONG-BOOK, wenngleich angerockt und -gereichert. Und abermals Licht und Dunkelheit. „Scarborough Fair/Canticle“, der Hit „Homeward Bound“, der unvergleichliche „59th Street Bridge Song (Feelin‘ Groovy)“ – außergewöhnliche Melodien, samtig und ungeheuer gut gesungen. Andererseits aber auch „7 O’Clock News/Silent Night“, wo Paul & Artie betulich „Stille Nacht“

sangen, während ein Nachrichtensprecher die. neuesten Katastrophen vom Tage vorlas. Zeitkritik auf unterstem Niveau, wo selbst unsere Nicole mit „Ein bißchen Frieden“ mithalten kann.

Auch das tat Simon & Garfunkel keinen Abbruch. Innerhalb ihrer Plattenfirma CBS waren sie längst etabliert? als der damalige CBS-Direktor Clive Davis aufgrund des Monterey Pop Festivals das hauseigene Repertoire deutlich auf Rock umstellte und den Umsatz gewaltig steigern konnte. Daneben sprachen S&G nicht bloß Rockfans in emotionsgeladenen Stunden an, sondern auch ein Publikum, das sonst mit dieser Langhaarigen-Musik wenig im Sinn hatte. „Rock für Leute, die keinen Bock mögen “ (Zitat Rocklexikon), wie die Zeitschrift „Esquire“ einschätzte.

Daran waren S&G jedoch selber schuld. Ließ man Paul Simon ungehindert gewähren, so entstand daraus entweder genial Gutes oder abgrundtief Kitschiges, wobei letzteres gelegentlich von Art Garfunkel’s Gesang aufgefangen werden konnte (was sich in den siebziger Jahren genau umkehrte). In Rock-Kreisen durfte man durchaus zugeben S&G zu mögen, so lange man deutliche Abscheu vor den allzu weichen BeeGees, gewisses Verständnis für die pathetischen Texte der Moody Blues und eine eigentliche Liebe für die Kinks eingestand. Selbst als Yardbirds-Liebhaber hegte ich Respekt für dieses Duo.

Einen großen Dienst für alle Beteiligten erwiesen Simon & Garfunkel mit ihrem 1968er-Album BOOKENDS, ihrem unweigerlich besten. Und dem ersten für das Paul Simon ausschließlich neues Songmaterial verwendete. BOOKENDS führte teilweise den brillanten Faden weiter, der mit „Kathy’s Song“ vom Debütalbum geknüpft worden war. BOOKENDS zeigte Paul Simon noch am ehesten persönlich, denn bis dato (und auch danach) hatte Simon nie wie ein Songwriter gewirkt, der seine private Sphäre äußerte, sondern lediglich wie ein kühl resümierender Betrachter. BOOKENDS tönte musikalisch relativ fortschrittlich, mit teils akrobatischen, doch nie überladenen Arrangements und mit Texten, die nicht krampfhaft auf Assoziation aus waren.

„Save The Life Of My Child“ (mit „Sounds Of Silence“-Zitat), „Overs“, „Fakin‘ It“, „Punky’s Dilemma“ und das überwältigende „America“ zählen meines Erachtens zum besten S & G-Material – zart, aber nicht zerbrechlich; subtil, aber nicht akademisierend. Daneben gab’s die Hits „Mrs. Robinson“ und „A Hazy Shade Of Winter“ sowie das verspielte „At The Zoo“ – also ungewöhnlich viele Volltreffer für ein Simon-&-Garfunkel-Album.

BOOKENDS verkaufte sich, trotz gewisser Neuerungen, mehrere Millionen mal, was unter anderem einem Verkaufstrick des bereits erwähnten Clive Davis zu verdanken war. Nachdem nämlich zeitgleich mit BOOKENDS der Soundtrack zum soften und unterhaltsamen Film „The Graduate – Die Reifeprüfung“ (mit Dustin Hoffman, Anne Bancroft), von S & G aus alten und neuen Songs zusammengesetzt und bei CBS erschienen, veröffentlicht worden war, befürchtete man allseits eine gegenseitige Neutralisierung der beiden Platten. Das Publikum wurde vielleicht nur eine der beiden Platten oder, wegen der Qual der Wahl, unter Umständen keine von beiden kaufen. Doch Davis behielt recht: Wer Dustin Hoffman im Film zu den Klängen von „Mr. Robinson“ über die San Francisco-Oakland-Bay-Bridge rasen sah, der wollte zunächst den Soundtrack, hernach sogar jene Jungs im Plattenschrank stehen haben, die „Mrs.

Robinson“ gesungen und vielleicht noch mehr auf der Pfanne hatten.

Demzufolge konnte, nach Eroberung eines breiteren Publikums, das Album BRIDGE OVER TROUBLED WATER seine Wirkung kaum verfehlen. BRIDGE enthält alles, was ein gutes, kommerzielles Album ausmacht: Verschiedene, wenngleich eingeebnete Stile; Ohrwurm-Melodien inklusive prächtiger Arrangements und verkaufsträchtiger Instrumentierung (teils Geigen zuhauf); genügend Qualität in gesanglicher und spieltechnischer Hinsicht, und zwar derartig vorgeführt, daß das breite Publikum diese Qualität auch erkennen kann; dazu Texte, die diverse Gruppen der Käuferschar ansprechen. Für Pathos-Freunde war gleich der Eröffnungssong gedacht: Zum ebenso argen wie gekonnt gehandhabten Musik-Bombast sangen Simon & Garfunkel scheinbar überzeugend: ,Wenn die Zeiten rauher werden und du keine Freunde findest, bin ich bei dir und werde dir wie eine Brücke über Wildwasser sein“.

Solche Liebeslyrik, adäquat dargebracht, hat noch selten ihr Publikum verfehlt. Der Titelsong hatte demnach maßgeblichen Anteil am Erfolg von BRIDGE OVER TROUBLED WATER, dem nach THE SOUND OF MUSIC (einem Soundtrack) zu damaliger Zeit zweitbest verkauften Album seit je. Hits wie „Cecilia“ oder „El Condor Pasa“ unterstützten dies bloß. Schon vorher zu Hitehren gelangte Songs wie „The Boxer“ vervollständigten die Sache, ein Oldie namens „Bye Bye Love“ von den Everly Brothers (aha!) rundete alles ab. Daneben beinhaltete BRIDGE auch wirklich starke Songs, durchaus in alter S & G-Tradition, etwa das beschauliche „So Long Frank Lloyd Wright“ oder „The Only Living Boy In New York“. Ein phänomenales Album – und ich hasse es. Aber ich bin nicht der erste, der solches sagt…

Was uns nun momentan als die großartige Wiedervereinigung der Glorreichen zwei angepriesen wird, ist bei näherem Hinsehen halb so wild. Größer als die Freude des Wiedersehens gestaltete sich 1970 der Schock über die Nachricht der Trennung von Simon und Garfunkel. Man versuchte sich solo und trachtete herauszufinden, ob zwei Einzelne in der Summe mehr als ein Doppel darstellen könnten. Für Art Garfunkel verliefen die Siebziger mäßig erfolgreich. Sein Album ANGEL CLARE erhielt durchweg freundliche Kritiken; seine Mitwirkung in Filmen wie „Catch 22“ oder „Carnal Knowledge“ fand Wohlwollen; doch mit der Zeit offenbarten seine Alben zunehmende Leichtgewichtigkeit und unangenehme Süße.

Paul Simon hat solches vermieden. Möglicherweise klangen seine besten S&G-Songs schöner und wohlgefälliger als seine Solo-Alben. Aber letztere tönten spritziger, erdiger und reifer. Hits der Marke „Slip Slidin‘ Away“, „Kodachrome“, „Me And Julio Down By the Schoolyard“, „Mother And Child Reunion“ (eine Reggae-Adaption vor der Reggae-Welle), „Loves Me Like A Rock“ oder „50 Ways To Leave Your Lover“ besaßen, neben überwältigender studiotechnischer Brillanz, jenes Quentchen mehr Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft, die den S & G-Hits gelegentlich fehlte. Diese Songs und speziell das Album STILL CRAZY AFTER ALL THESE YEARS wirkten echter und langlebiger – trotz der Aura, die die S & G-Aufnahmen umflorte.

Außerdem sollte man nachdrücklich erwähnen, daß die Reunion von Simon & Garfunkel soooo neu denn nun doch nicht ist. 1972 hatte sich das Duo für Wahlkampfveranstaltungen des Präsidentschaftskandidaten Mc-Govern zusammengefunden; 1975 erschien als Single wie auch auf dem jeweils aktuellen Solo-Album der beiden Duo-Hälften der Hit „My Little Town“, mit relativ viel Saft und Kraft; und daß Artie in unerwarteten Momenten auf der Bühne erschien, wenn Paul gerade eine Solo-Konzert abhielt, ist ebenfalls aus den vergangenen Jahren bekannt.

Bleibt also zu hoffen, daß Künstler wie Publikum die Sache realistisch sehen: Ein phänomenal singendes Duo bringt exquisite Musik, die großenteils die Jahre erfolgreich überdauert hat. Nicht weniger – und hoffentlich nicht mehr!

Wolfgang Bauduin