Singles


von Albert Koch

Ah, hallo. Schön, dass ihr alte wieder da seid. Here we go again. Mit Biffy Clyro aus Glasgow und der Single „The Ideal Height“ (Beggars/Zomba), deren Titel erst in Zusammenhang mit dem Artwork richtig (Un-)Sinn macht. Punkpoppiger Neo-Grunge,unvorhersehbarer als zum Beispiel die vorhersehbaren Blink-182, aber irgendwie trotzdem kalt lassend, weit – korrigiert mich – auch schon tausendundeinmal gehört.

Broadcast aus Birmingham haben ja seinerzeit – sagt man das heute noch: seinerzeit? den Pop beim Abstraktionsaffinen Warp-Label ins Spiel gebracht. Was niemandem geschadet hat. Mit ihrer 6-Track-EP „Pendulum“ (Warp/Zomba) surfen Broadcast wieder elegant zwischen niedlichem Stereolab-ishem Electronic Listening und freiformalen Ausbrüchen, in denen schon mal hübsch der Jazz unter Electronic-Space-Rock-Bedingungen dekonstruiert werden darf.

Mit Space Rock hat Melanie C nun überhaupt nichts am Hut. Irgendwie will ihre Musik keine Spur mehr Arsch kicken als seit der letzten Begutachtung durch das Fachmagazin Ihres Vertrauens (Musikexpress 4/03). Die neue Single „0n The Horizon“ (Virgin) ist sumpfigste Schlagerunterhaltung mit falschen Bläsern.

Falsche Bläser gibt’s auch auf „A Tribute To Your Taste“ (Emperor Norton Records/EFA) vom Berliner Zweifrau-Duo Electrocute. Aber halt anders falsch, Indie falsch und deshalb eigentlich richtig. Aber nur eigentlich. Nenn es Electroclash, Electrotrash oder Electrocute. Diese Cramps-Post-Punk-Achtziger-Elektro-Fusion mit coolen, freaky Texten kann mit einem im Moment der Niederschrift gefallenen Zitat von Kollege Winkler am besten gewürdigt werden: „So eine Mucke geht mir mittlerweile total am Arsch vorbei.“

Auftritt Hannes Orange. Das Problem mit ihm fängt schon dabei an, dass das Anschreiben, das der Single „Komm mit“ (BMG Ariola) beigelegt ist, an die „Lieben Hannes Orange Believer“ gerichtet ist. Eine vollkommen unbegründete Anschuldigung, die zumindest der Adressat nicht auf sich sitzen lassen will. Denn an Hannes‘ sonnenscheinigen Indie-Pop mit Texten so richtig aus dem Leben gegriffen glaubt keiner, der alle fünf Sinne beisammen und somit auch Ohren zum Hören hat. Diese Texte! Über sich schamlos bewegende „Babys“, Oberschwestern, die geschwängert werden, und wenn Hannes Orange seine ganz eigenen Ansichten über „Amerika“ absondert, bekommt selbst der leidenschaftlichste Kriegsgegner Mitteid mit George W. Bush.

Ja, man muss sich schon was einfallen lassen, wenn man heutzutage in einer Elektronik-Szene auffallen will, in der schon alles gesagt, jeder Schaltkreis, jede Platine bis in den letzten Winkel erforscht ist. Pole alias Stefan Betke hat sich auf der Single „45/45“ (Mute/ Virgin) was einfallen lassen. Auf der Grundlage der Erkenntnisse, die er mit seinen ersten drei Alben (blau-rot-gelb) gewonnen hat, entwirft Pole einen minimatistischen, dubbigen Laptopism, der heftig mit dem HipHop flirtet. Funky Loops drehen munter ihre Runden zu minimalistischen HipHop-Beats ohne Rap. So rein wie ein Frühlingsmorgen.

Mal schneit noch was Französisch-Englisches eingeschoben zwischen dem ganzen deutschen Zeugs: Scratch Massive mit „Seeing Is Believing“ (WEA). Immerhin wurde die Single von Cristian „Super Cotlider“ Vogel produziert. Das ist Elektro ohne Ctash und irgendwie in den vier Remixen (einer sogar von Cosmo Vitelli) mehr punktgenau auf die Zwölf als in der eher harmlosen Originalversion.

Auch wenn der Wahrheitsgehalt folgender These in dieser Redaktion heftigst bestritten werden wird, hier kommt sie trotzdem: Die Linie ist dünn, die mehrheitlich für schlecht befundene Neue Deutsche Nihilisten wie Der Junge mit der Gitarre und Hannes Orange [(iehe links unten) von mehrheitlich für gut befundenen Neuen Deutschen Nihilisten wie Wir sind Helden trennt. Und auch die Single „Müssen nur wollen“ (Labels/Virgin) macht sie nicht dicker. Die Linie. Ja, okay, Nena flippt aus bei Wir sind Helden, ja, okay, Neue Deutsche Welle revisited, ja, okay, die Ideal der nuller Jahre. Aber Wortkombinationen wie „Das Land der begrenzten Unmöglichkeiten “ oder „Ich bind mir zum Schein einen Schatten ans Bein“ will zumindest der Schreiber dieser Zeilen sich nicht anhören müssen.

Ich glaube, es ist Zeit für „Freie Liebe“ (It-Sounds/BMG Ariola) von 2raumwohnung, den Wir sind Helden der Generation, die Ideal noch erlebt haben. Inga Humpe und Tommi Eckart werden von der gesamten Musik hörenden Republik in den siebten Pop-Himmel gehoben, nur weil sie vielleicht nicht ganz so scheiße sind wie der überwiegende Rest (in Zeiten, in denen gecastete Superstars blablabla), weil ihr postmodern gemeinter Elektronik-Pop nicht ganz so retro ist wie man von Musikern erwarten würde, die schon mehr als zwanzig Jahre „im Geschäft“ sind. Aber irgendwie ist „Freie Liebe“ und seine Remixe (u.a. von Rob Rives, Westbam und Gianni Vitiello) genauso belanglos wie – tschuldigung „Deutschland sucht den Superstar“, nur halt anders belanglos, weil aus anderen Beweggründen entstanden.