Smashing Pumpkins


Grabrede auf den Rock'n'Roll

„Rock ist tot“ meint Billy Corgan. Jetzt sucht er den Sound der Zukunft.

Eine Tote beim Konzert, ein Tourmusiker setzt sich den goldenen Schuß, undjunkie Jimmy Chamberlin muß die Band verlassen. Allen Erfolgen zum Trotz war 1996 für die Smashing Pumpkins ein schwarzes Jahr. Und nun auch noch das: Band-Boss Billy Corgan stimmt den großen Grabgesang auf die Rockmusik an.

New York, 12. Juli 1996: Im Regency Hotel stirbt Jonathan Melvoin, 34 und Tour-Keyboarder der Smashing Pumpkins, an einer Überdosis Heroin. Der tödliche Stoff heißt Red Rum, eine Bezeichnung, die – von hinten nach vorn gelesen – das englische Wort ‚Murder‘ ergibt. Mord an sich selbst hätte mittels dieser Droge um ein Haar auch Pumpkins-Drummer Jimmy Chamberlin begangen. Zusammen mit Melvoin hatte Chamberlin sich die Droge gespritzt, den lebensgefährlichen Anschlag auf die eigene Gesundheit jedoch letztlich überlebt. Fatale Folgen hatte der schreckliche Schuß trotzdem. Fünf Tage nach Melvoins Tod in New York erhielt Jimmy Chamberlin von den drei restlichen Pumpkins die Kündigung. Darin hieß es: „Seit neun Jahren haben wir uns mit Jimmy’s heimtückischer Krankheit, der Drogenund Alkoholabhängigkeit, und seinem vergeblichen Kampf dagegen, herumgeschlagen. Dieser Zustand hat beinahe alles zerstört, was wir sind und wofür wir stehen. Wir haben uns entschlossen, ohne Jimmy weiterzumachen und wünschen ihm das Beste, was wir anzubieten haben.“ Gute Wünsche hatten die Smashing Pumpkins zwei Monate zuvor auch nach Irland begleitet. Trotzdem endete ihr umjubelter Gig in Dublin im Fiasko. Die 17jährige Bernadette O’Brien nämlich bezahlte die zügellose Euphorie der Konzertbesucher mit dem Leben. Mitten im Moshpit wurde die junge Frau von der aufgewühlten Menge buchstäblich erdrückt. Ein schwarzes Jahr also für die Smashing Pumpkins, keine Frage. Aber eben auch das Jahr, in dem die Band aus Chicago endgültig in die erste Liga des Rock vorrückte. Ihr Album ‚Mellon Collie And The Infinite Sadness‘ ging millionenfach über die Ladentische, ihre Konzerte fanden in ausverkauften Hallen statt, MTV-Amerika dekorierte die Pumpkins mit sieben (!) Awards, und der europäische Ableger des US-Clip-Kanals kürte die Band aus Amerikas Mittlerem Westen zum ‚Rock Act des Jahres‘. Trotz herber Schicksalsschläge gute Gründe zur Zufriedenheit? Wohl kaum. Zu tief sitzt bei den Smashing Pumpkins auch heute noch die Bestürzung über den Tod von lonathan Melvoin, zu tief der Frust über den unumgänglichen, jedoch nie wirklich gewollten Rauswurf von Jimmy Chamberlin, zu tief die Wut über eine bestimmte Reaktion auf die Entscheidung der Band, sich von ihrem langjährigen Drummer zu trennen.

Chris Robinson, Sänger der Black Crowes und bekennender Anhänger von Amsterdamer Dope, hatte die Pumpkins wegen des Rauswurfs von Jimmy Chamberlin heftig attackiert. In einem Interview ließ Robinson verlauten, daß der Drummer gar nicht wegen seines Drogenkonsums gefeuert worden sei: „Er war ein finanzielles Risiko.“ Und direkt an die Adresse der Pumpkins: „Ihr seid die kommerziellste Band, die mir je untergekommen ist.“ Derlei Behauptungen treffen Pumpkins-Kopf Billy Corgan (29) auch Monate nach der Trennung von Chamberlin noch im Mark. Wie sehr ihn Robinson in Rage versetzt, verdeutlicht Corgans Reaktion in Richtung Black Crowes: „Es ist offensichtlich, daß Chris Robinsmashing pumpkins son ein wenig verbittert ist, weil er keine Platten mehr verkauft. Keiner erinnert sich mehr daran, daß die Black Crowes mal eine Menge Platten unter die Leute bringen konnten und dafür eine Menge verkaufsfördernder Dinge unternahmen. Die Bitterkeit von Chris Robinson könnte ihren Ursprung in der Tatsache haben, daß es für die Black Crowes kaum noch Bands gibt, die sie imitieren könnten. Wenn Robinson will, kann er mich ja mal anrufen. Ich zeige ihm dann Wege auf, die seine Band in eine neue Richtung führen.“

Sicher ist, daß Corgan, der kreative Kahlkopf, dazu durchaus in der Lage wäre. Auch wenn seine von Zynismus geprägte Antwort auf die Anwürfe Robinsons eher aus den seelischen Verletzungen resultiert, die der Black Crowes-Sänger ihm und seiner Band im Zuge der Trennung von Billy Chamberlin zugefügt hatte. „Ich glaube, daß außerhalb der Band niemand unsere Trennung von Jimmy wirklich beurteilen kann“, meint Corgan. „Chris Robinson zum Beispiel ist nicht drei oder vier jähre lang mit Jimmy im Schlepptau in einem Bus unterwegs gewesen. Chris Robinson ist nicht an 500 verschiedenen Orten aufgewacht und hat darauf gewartet, daß Jimmy endlich auftaucht. Und Chris Robinson hat Jimmy auch nicht aus der verfluchten Gosse ziehen müssen.“

In seiner Wut über die öffentlichen Äußerungen des Black Crowes-Sängers ist Corgan kaum noch zu bremsen: „Wie wird Chris Robinson sich wohl fühlen, wenn Jimmy eines Tages tot aufgefunden wird? Wie will jemand mit Robinsons Einstellung Jimmy wirklich helfen können?“ Die Antwort liegt auf der i Hand: überhaupt nicht. Sehr viel positiver ist da schon der Ansatz, mit dem Chamberlin sich selbst ein Leben nach den Pumpkins aufbauen möchte. Zusammen mit Kelley Deal undl Grabrede Jimmy Flemion von den Frogs sowie mit Sebastian Bach von Skid Row als Sänger gründete Chamberlin inzwischen eine „alternative Supergroup“. Einen Namen haben die vier auch schon: The Last Hard Men.

Wie sich das Quartett entwickelt, bleibt abzuwarten. Sicher ist dagegen, daß es den Smashing Pumpkins bei allen Vorbehalten gegen Jimmy Chamberlin nicht leichtgefallen ist, sich von ihrem Drummer zu trennen. Jimmy zählt zweifelsfrei zu den besten Schlagzeugern seiner Generation, ein Mann, den man nicht einfach durch ein Fingerschnippen ersetzen kann“, gibt Corgan zu bedenken. „Wenn man sich dann von einem solchen Musiker trennen muß, und das auch noch mitten in einer Multi-Millionen-Dollar-Tour, ist das in finanzieller Hinsicht wohl kaum der beste Schachzug. Es ist also kompletter Blödsinn zu behaupten, wir hätten uns ausschließlich wegen finanzieller Gründe von Jimmy getrennt. Im Gegenteil: Unter geschäftlichen Gesichtspunkten war die Trennung schlecht für die Smashing Pumpkins. Aber sie war gut für unser Seelenleben.“ Was immer Chris Robinson mit Blick auf den unrühmlichen Abgang Chamberlins auch behaupten mag, nach Meinung von Billy Corgan kann er damit „zu Hölle fahren“. Genau dort, in der Hölle nämlich, möchte Corgan seinen alD’Arcy, Billy Corgan und James lha (v.l.) zu Gast bei MTV ten Kumpel Chamberlin – allem Trouble zum Trotz – keinesfalls schmoren sehen. Und das aus gutem Grund: Jimmy und ich standen uns ziemlich nah“, räumt Corgan ein, „jedenfalls dachte ich, daß es so wäre. Aber als dann diese ganze Scheiße aufkam, bemerkte ich, daß wir doch nicht so gute Freunde waren, wie es anfangs schien. Ich hatte eben nur einen Teil von ihm gekannt. Aber da gab es hoch diese andere Seite seiner Persönlichkeit, von der nur bestimmte Leute wußten.“

Wie dem auch sei: Nach dem Rauswurf von Billy Chamberlin galt es für die Samshing Pumpkins, einen neuen Schlagzeuger zu finden. Die drei restlichen Bandmitglieder – neben Billy Corgan der zweite Gitarrist James lha und Bassistin D’Arcy Wretzky-Brown – entschieden sich für Filter-Drummer Matt Walker (und wurden zudem auf der Fortsetzung ihrer Tournee von Frogs-Keyboarder Dennis Fleming als Ersatz für Jonathan Melvoin unterstützt). Darf man nun, nach dem Abgang Chamberlins, zumindest Matt Walker als festen Pumkins-Bestandteil betrachten? „Zunächst haben wir ihn ausschließlich als Tour-Drummer engagiert“, bemerkt Corgan. „Ich mag ihn, er ist ein großartiger Schlagzeuger. Aber ob er auch wirklich ein fester Teil unserer Welt werden will, ist eine andere Sache. Außerdem müssen wir uns auf den Rock’n’Roll „Die meiste Rockmusik ist komplett überflüssig.“ (Billy Corgan) , ob wir unsere Band tatsächlich wieder um ein viertes Mitglied ergänzen wollen. Vielleicht sollten wir ja lieber mit unterschiedlichen Leuten arbeiten. Im Moment ist noch alles offen. Wir haben nicht das Gefühl, uns auf irgendwen festlegen zu müssen.“ Bloß, irgendwie muß es doch weitergehen. „Das wird es auch“, ist Billy Corgan sich sicher. „Wenn es keine Zukunft für die Smashing Pumpkins gäbe, warum zum Teufel sollten wir dann Konzerte geben. Meine Handgelenke tun weh, ich habe Rückenschmerzen, und überhaupt fühle ich jeden einzelnen Knochen in mir. Trotzdem werde ich weiter an neuen Stücken arbeiten.“ Nur, wie werden sie klingen, die neuen Songs? Immerhin ist schon seit längerem bekannt, daß Billy Corgan die Meinung vertritt, die Rockmusik sei tot. In ähnlicher Weise hatte Jimmy Chamberlin sich kurz vor seinem erzwungenen Ausstieg bei den Smashing Pumpkins geäußerst: „Das Album ‚Mellon Collie‘ war unser letztes Statement als Rockband. Wir sind alle über 30 und wollen nicht so enden wie viele andere Bands in unserem Alter, die krampfhaft so tun, als würden sie auch heute noch rocken. So was finde ich albern.“

Wie also wollen die Samshing Pumpkins künftig klingen? Eine erste Antwort darauf findet sich in der festen Überzeugung Corgans, die Zukunft seiner Band liege in der elektronischen Musik. Die bisherigen Alben der Pumpkins im Ohr, bemüht Corgan einen bildlichen Vergleich: „Wir haben dieses Auto gebaut und dafür gesorgt, daß es so schnell es konnte und so weit es konnte unterwegs war. Und jetzt steigen wir in einen anderen Wagen.

That s it. Für Corgan vielleicht. Bloß, wo fährt dieser neue Wagen hin? Welche Richtung schlägt er ein? „Im Moment kann ich dazu nur folgendes sagen“, erklärt der Pumpkins-Kopf, „ich habe etwas Musik für diesen neuen Film, ‚Ransom‘, geschrieben. Und falls irgendwer wissen möchte, was sich in meinem Kopf an musikalischen Dingen abspielt, dann ist der Soundtrack von ‚Ransom‘ mit seinen Instrumental-Tracks das ideale Fenster.“

Keine Rockmusik mehr also, Billy? Alles aus und vorbei? Corgan reagiert gereizt: „Ich sage es jetzt zum milliontenmal: I fucking love to play rock music. Was ich nicht mag, ist Rock zu spielen, der mich selbst und alle anderen zu Tränen langweilt. Wir haben kein Interesse daran, im Rahmen einer Wiedervereinigung anläßlich des 15jährigen Bandbestehens immer noch ‚Siva‘ zu spielen. Dieses Zeug ist tot. Rock’n’Roll aber muß immer mit dem Jetzt, mit dem Heute zu tun haben. So denken wir nun mal. Wir sind eben verdammt brutale Leute.“ Wenn es um Corgans Bewertung des Rock’n’Roll-Genres an sich geht – die bisherigen Arbeiten der Pumpkins eingeschlossen, mag man ihm da durchaus beipflichten:

Grab? „Nein, das wohl nicht“, gibt er zurück. „Aber ich glaube, daß du (gemeint ist Billys Gesprächspartner/Red.) diesen Tanz wohl aufführen wirst und zwar zu unserer Musik.“ Und was, bitte schön, ist mit den Klängen anderer großer Bands? Alles nur altbackener Bullshit? Corgan winkt ab: „Auf gar keinen Fall. Bands wie U2 oder R.E.M besitzen für mich geradezu Modellcharakter. Trotz ihrer immensen Popularität scheuen sie sich nicht, ihre Musik zu verändern. Und das tun sie, weil sie ganz genau wissen, daß sich auch die restliche Welt dauernd wandelt.“ Keine Frage also: Billy Corgan sucht eine neue musikalische Herausforderung. Davon könnten letztlich auch die anderen Bandmitglieder profitieren. „Neun lange Jahre war es der Job von D’Arcy, zu jedem unserer Songs die Basisnoten einzuspielen“, erzählt Corgan rückblickend. „Jetzt jedoch hat die Band einen Punkt erreicht, an dem wir die Rollen von James, D’Arcy und Matt, falls er denn bei uns bleibt, neu definieren können. Im Falle von D’Arcy fände ich es zum Beispiel äußerst interessant, ihr ein Tape ohne vorgegebene Basslinie in die Hand zu drücken und zu sagen ‚Spiel, zum Teufel, was immer du spielen möchtest‘. Falls ich das Ergebnis nicht mögen sollte, dann mag ich es eben nicht. Was dann aber immer noch besser ist, als D’Arcy schon wieder zu bitten, noch mal den verdammten alten Kram zu spielen.“ Auf jeden „Die meiste Rockmusik ist komplett, ja sogar extrem überflüssig.“ Für Billy Corgan mehr als Grund genug, endlich neue Wege zu gehen: „Wir werden das Territorium der Zukunft betreten und sehen, wo wir auskommen. Diejenigen, die unser nächstes Album hören, werden vielleicht sagen, ‚das hört sich ja trotzdem noch nach den fucking Pumpkins an‘. Aber anstatt großer Rockhymnen gibt es dann dreiminütiges Pulsieren. Wie auch immer I don’t fucking know. Fest steht jedenfalls, daß wir über dieses ganze Rockding einfach hinaus sind.“

„Die Rockmusik“, macht Corgan munter weiter, „lag schon ungefähr fünfmal im Sterben. Aber heute ist sie tot wie noch nie.“ Und nun? Tanzt Billy Corgan vielleicht auf ihrem Fall, da ist Billy Corgan sich sicher, wird die von ihm angepeilte Arbeitsweise interessante Ergebnisse zeitigen: „Unsere künftige Musik wird anders klingen als die bisherige. Dafür garantiere ich.“ Wer denn auch sonst? Denn wo’s tatsächlich langgeht bei den Smashing Pumpkins, hat Corgan in der Vergangenheit meist allein bestimmt. „Als ich Billy kennenlernte“, erinnert sich Bassistin D’Arcy, „sagte er, ‚Wenn wir zusammen arbeiten wollen, mußt du zuerst diese Songs lernen‘. Daraufhin gab er mir ein Tape mit 40 oder 50 Stücken. Seinen Stücken. Und jede Woche kamen zehn neue dazu. Aber die Musik gefiel mir. Billy hatte immer irgendwelche Formeln im Kopf was gut oder schlecht, richtig oder falsch war. Ich fand das reichlich absurd. Heute aber verstehe ich Billys Einstellung von damals viel besser, während er versucht, aus seinem Denkmuster auszubrechen. Billy hat sich auf eine sehr positive Art verändert und weiterentwickelt. Er hat wirklich unglaubliche Dinge erreicht nicht nur als Musiker, sondern auch als Mensch. Ich jedenfalls bin stolz auf ihn.“ Ob alle Smashing Pumpkins auch gleichmaßen stolz auf die nächste Platte sein werden, wird man frühestens 1998 erfahren. Vorher wird es nämlich kein neues Album geben. Denn nach einem Jahr voller Höhen und Tiefen legt der Chicagoer Clan um Billy Corgan 1997 erst mal eine längere Pause ein. (pe/why) GISH (Virgin, 1901) SIAMESE DREAM (Virgin, 1903; PSCES ISCAR OT A Collection ofB-Sides and Previously Unreleased , Songs (Virgin ’94) MELLON COLLIE AND THE INFINITE SADNESS(V/ra. 95) THEAEROPLANE FLIES HIGH The Ultimate Singles Collection. FünfEPs im CD-Format. Nur als US-Import. (Virgin ’96) 1