So spielt Måneskin-Sänger Damiano David mit den Geschlechtergrenzen
Stehen Måneskin für männliche Unmännlichkeit oder unmännliche Männlichkeit? Und wozu? Eine Kolumne von Julia Lorenz.
Der Eurovision Song Contest ist mitnichten ein Schnullischlager-Happening, sondern – je nachdem, wen man fragt – die Met-Gala der europäischen Unterhaltungsmusik oder ein hochpolitisches Event. Manchmal aber auch schlicht verwirrend, zum Beispiel, wenn man sich den ESC-bedingten Hype um Måneskin anschaut, die zuletzt mit ihrem Song „Zitti e bouni“ („Still und brav“) gewonnen hatte. Zeitgemäß oder originell ist am Alternative Rock der Italiener nämlich streng genommen nicht viel. Ihre spektakelige Musik hätte auch im Autoradio laufen können, als man 2003 mit den Eltern im Volvo an den Gardasee gefahren ist, irgendwann zwischen Mel C und Limp Bizkit.
Trotzdem schafften es Måneskin im Sommer auf Platz 1 der Singlecharts, gelten obendrein als cool und progressiv – was man vermutlich zu einem gewissen Teil ihrem beohrringten, kajalumflorten Sänger Damiano David zuschreiben darf. Auf Twitter firmierte er, vor allem (!) in feministischen Kreisen, kurzzeitig unter dem etwas dumpfen Namen „Sexmann“.
Was den so sexy macht? Gute Frage. Damianos Fans sind, so liest man, fasziniert von seiner Androgynität, seiner männlichen Unmännlichkeit (oder unmännlichen Männlichkeit?), von seinem „Spiel mit Geschlechtergrenzen“, ganz so, als sei genau dieser flamboyante Böser-Buben-Look nicht seit den 70ern fester Bestandteil im Rollenrepertoire des (Glam-)Rock.
Auf dem Cover zur aktuellen Single „Mammamia“ fasst sich gar ein Typ in die Lümmelhose. Wozu also die Aufregung? Vielleicht freut man sich am Ende des Tages in einer kompliziert gewordenen Welt ja schlicht über einen schönen Rocker, der sich nach dem Rockkonzert ein rockiges Näschen Schnee reinrockt (wie nach dem ESC berichtet und von Damiano dementiert). Vielleicht aber verkörpern Måneskin die genderfluide Rock-Utopie doch besser als die Bowies und Bolans der Musikgeschichte: Immerhin haben sie mit Victoria De Angelis eine coole Bassistin an Bord. Auch wenn selbst die, so viel Ehrlichkeit muss sein, die Musik ihrer Band nicht entpimmeln kann.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2021.