Festivalbericht

So war das 25. Orange Blossom Special: What’s Love Got To Do With It


Wie man über Jahre ein Festival hegt und pflegt und mit viel Liebe am Leben erhält, beweist das OBS.

Das Orange Blossom Special, kurz OBS, feierte seinen 25. Geburtstag – mit fantastischen Gigs von Whispering Sons, Wrest, Saitün, Thumper, Tiny Wolves, Philine Sonny, Die Nerven und The Haunted Youth. Daniel Koch war für uns vor Ort.

Wenn man als Musikjournalist:in über ein Festival berichten darf, ist man immer auf der Suche nach DIESEM EINEN MOMENT (wie Stuckrad-Barre schreiben würde). Diese eine Szene, die man als Essenz eines ganzen Wochenendes verkaufen kann. Die Schleife am bunten Blumenstrauß von schönen Erinnerungen, die in einem Nebel aus Daydrinking-Schwipps und leichtem Sonnenstich erblüht sind, während man hier seinen Kater plus Festivalblues runterschreibt. So mache ich das zumindest immer. Wohlwissend, dass ein gelungenes Festival eben nicht in eine kompakte Nachlese passt. Schon gar nicht, wenn man wie ich eine persönliche Verbindung zu der Veranstaltung hat und nun nach einigen (zu vielen) Jahren Pause endlich wieder auf dem Orange Blossom Special in Beverungen zu Besuch ist – noch dazu mit einer tollen Festivalclique aus alten Freund:innen und sympathischen Neuzugängen, mit denen man die Zelte aufgeschlagen hat.

Dieser eine Moment: „What’s Love Got To Do With It“

Aber gut. „Watt mutt dat mutt“, wie mein Vater sagen würde. Hier kommt DIESER EINE MOMENT. Es ist Sonntagmittag, ungefähr halb eins. Die Nerven sind der traditionelle Secret Act – was naheliegend ist, weil sie beim Label der Gastgeber:innen gesignt sind: Glitterhouse Records, auf deren Firmen-Terrasse die Bands spielen und in deren Firmen-Garten das Publikum steht. Ich habe drei Stunden geschlafen, bin morgens um halb fünf im idyllischen Morgennebel über der Weser von der täglichen Aftershowparty im „Stadtkrug“ in Beverungen nach Hause geschlendert, war trotzdem morgens um neun im „Erlebnisbad Batze“, um halbwegs klarzukommen und lausche nun diesem Trio, das deutsche Gitarrenmusik wieder spannend, politisch und unberechenbar gemacht hat. Es ist der früheste Gig, den Die Nerven jemals gespielt haben. Überhaupt sei es das erste Mal, dass Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn zu dieser Zeit Musik machen. Sagt zumindest Max Rieger, dem man alles oder gar nichts glauben sollte, wenn er auf der Bühne steht und das Ritual „Rockkonzert“ immer wieder ironisch bricht.

Nach einem lauten, wuchtigen Gig, der vor allem aus Songs des aktuellen Albums „DIE NERVEN“ besteht, gibt Drummer Kevin Kuhn noch eine allerletzte Zugabe, während seine Bandkollegen grinsend danebenstehen. Kevin, in angemessener Trauerkleidung (Batikshirt, Sportshorts in Hot-Pants-Länge), greift sich eine Gitarre und singt schräg und respektvoll zugleich „What’s Love Got To Do With It“, jener 80er-Superhit der gerade verstorbenen Tina Turner. Das Publikum – fast vollständig zum Secret Act erschienen – liebt’s und singt lautstark den Refrain mit. Die Zeile geht mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf. Vermutlich, weil es schon der dritte und letzte Festivaltag ist und ich ja noch DIESEN EINEN MOMENT für diesen Text brauche. Und dann beschließe ich: Genau der ist es! Nicht, weil die Cover-Version besser ist als die Nerven-Songs – das nun gar nicht – nein, einfach nur, weil die Zeile im Chorus eine wichtige Frage beantwortet: Was macht ein Festival besonders? Die vor allem beim OBS (das Top-Checker:innen wie „Opps“ aussprechen) überall sichtbare: LIEBE.

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Keine Angst, ich mach jetzt hier nicht den angekifften Hippie, der dieses große Wort inflationär in die Welt grinst. Ich meine das todernst. Das nun schon 25 Jahre bestehende Festival in Beverungen ist eine Herzensangelegenheit von Anfang bis Ende, bei der man die Liebe zum Detail in allen Ecken und Enden sieht. Beim liebevollen, sich selbst ironisch verkultendem Merch; beim Line-up, das Crowdpleaser mit Freund:innen des Hauses, lange aktiven Musiker:innen und handverlesenen OBS-Newbies mischt; bei der mit dem Ort verwachsenden Gastronomie; bei der Kommunikation zwischen Festival und Publikum; bei den Ansagen der Bands – und bei der Crew, die fair bezahlt wird, dabei trotzdem ackert und sich selbst feiert, wie man es sonst eher bei engagierten Freiwilligen erlebt. Da wundert es gar nicht, dass sich einige von ihnen die Umrisse der Glitterhouse-Villa auf den Knöchel tätowieren lassen. Die Summe dieser einzelnen Teile ist dann eben das, was traditionell über Pfingsten im Garten des Hauses unter dem Namen „Orange Blossom Special“ passiert – in diesem Jahr mit den schönsten Geburtstagsgrüßen vom ollen Petrus: drei Tage Kaiserwetter.

Entstanden aus einer Schnapsidee

Kurz zur Geschichte des OBS, die immer wieder in den Ansagen von Rembert Stiewe zur Sprache kommt, der zu den sichtbarsten Charactern der Festivalmacher:innen gehört und mit seinem Kollegen jede Band auf der Hauptbühne persönlich ankündigt. Das von Rembert mitgegründete Label Glitterhouse Records (und der zugehöre Mailorder-Service) sorgte in den 90ern dafür, dass man in Deutschland die Platten von Sub Pop bekam, machte Americana salonfähig und hatte in den letzten Jahren ein paar der spannendsten deutschsprachigen Gitarrenbands im Artist Roster: Die bereits erwähnten Die Nerven zum Beispiel, und zuletzt kam bei ihnen das fantastische dritte Album von Steiner & Madlaina. Durch diese Label-Arbeit stoppten in Beverungen immer wieder internationale Bands. Im Sommer 1996 zum Beispiel die Amerikaner der Go To Blazes. Da wurde dann im Garten getrunken, gegrillt – und irgendwann musiziert: Die Band holte ihre akustischen Instrumente aus dem Tourbus und spielte ein paar Stunden. „Lass uns das einfach öfter mal machen“, sagte darauf Glitterhouse Co-Gründer Rembert Stiewe zu seinem Kollegen Reinhard Holstein. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee, aus der das Orange Blossom Special entstand – und bis heute bestehen sollte.

Wer nun aber denkt, dass OBS sei aufgrund dieser Geschichte nur ein Festival für die Musikfans mittleren Alters, wird vor Ort eines Besseren belehrt. Zwar schaut man von der Bühne auf einige grau melierte Geheimratsecken und der Festivalbutton „So langsam kriegt man Rücken“ war ruckzuck ausverkauft, aber auf dem Campingplatz sieht man jüngere Cliquen ebenso wie Familien mit Kids, die hier den Nachwuchs anfixen. Und man spürt im Line-up, dass man im Hause OBS immer auch versucht, jüngere Acts zu präsentieren. Das gelingt besonders gut bei den belgischen Samstagsheadlinern The Haunted Youth um Joachim Liebens, der mit hörbarer Verehrung für MGMT ein sehr zeitgemäßes und manchmal herrlich noisiges New-Wave-meets-Shoegaze-Update liefert und mit „Teen Rebel“ einen amtlichen Hit dabei hat.

Oder bei Thumper aus Schottland: Sie mischen den Sonntagnachmittag auf, preschen mit zwei Schlagzeugern und drei Gitarristen los, springen ins Publikum, überzeugen mit eigenen Nummern wie „The Loser“ und ihrer lärmenden Interpretation von Natasha Bedingfields „Unwritten“, das bei ihnen zu einer waschechten Emo-Nummer wird und für den wildesten Moshpit des Festivals sorgt. Das üppige Instrumenten-Besteck und der manisch-euphorische Drive der Band überstrahlen dabei ein wenig das Songwriting, aber ich will hier mal nicht meckern.

Auch der Festivalopener Get Jealous am Freitag ist durchaus als Statement zu verstehen: Das Trio macht Pop-Punk wieder salonfähig, gibt dem Genre einen queeren Spin und ist auf einem verdammt guten Weg. Hier möchte ich noch einen liebevollen, nachträglichen Nackenschlag verteilen an den älteren Typen, der neben mir stand und als erstes Statement ausgerechnet „Och, ne Mädchenband“ parat hatte. Zwei Songs später wippt der Kopf dann trotzdem mit – ganz ohne Nackenschlag. Auch Philine Sonny passt mit ihrem grungigen Indie-Rock sehr gut auf das OBS und hat hoffentlich ein paar Fans mehr eingesammelt.

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Die Neuentdeckungen sind das Beste

In Sachen deutschsprachiger Musik gibt’s ebenfalls zahlreiche Highlights zu vermelden. Thees Uhlmann gibt verlässlich den aufgekratzten Menschenfänger, erfreut alte Fans mit dem Tomte-Song „Die Schönheit der Chance“ und findet den perfekten Abschluss mit „Ein Satellit sendet leise“ – ein Song über tiefe Freundschaft, die oft eben nämlich auch eine andere Form von Liebe ist. Herrenmagazin beehren das OBS mit einer sehr dezent kommunizierten Reunion und erinnern mich mit Songs wie „Früher war ich meistens traurig“ und „Keine Angst“ daran, wie wichtig sie für meine Indie-Musiksozialisation waren. Kratzen leiden ein wenig unter dem schönen Wetter, das nicht wirklich das passende Setting für ihren hypnotischen, poetischen, nächtlichen Kraut-Sound sind.

Hotel Rimini sind am Sonntag schöngeistig und ironisch zugleich und überzeugen auch ohne ihren erkrankten Drummer. Husten wiederum sind ein schöner Ausklang für den Freitag und ich merke wieder, wie sehr ich einige Zeilen von Gisbert zu Knyphausen liebe. Während ich unter dem sich rot färbenden Himmel stehe und kopfnickend auf die Bühne schaue, leg ich mich schon mal fest: Die letzten Zeilen von „Da sein“, das Gisbert heute leider ohne Sophie Hunger als Duettpartnerin singen muss, könnten irgendwann mal auf meinem Grabstein stehen: „Es gibt keine Worte, tut mir leid / Für alles hinter dem Rand / Für alles davor hab ich zwei für dich: / Tausend Dank.“

Am Ende sind es dennoch die Neuentdeckungen, die mich selig nach Hause schicken. Das OBS schafft es immer wieder, selbst vermeintliche Top-Checker-Journos, die seit 15 Jahren über Musik schreiben, noch zu überraschen. Mit der schottischen Band Wrest zum Beispiel, die ich null auf dem Schirm hatte, obwohl ich das als Frightened-Rabbit-Ultra eigentlich müsste. Ich weiß zwar, dass ich simpel gestrickt bin und mich die Mischung aus Frühe-Coldplay-Pathos plus schottischem Stimmklang immer kriegt. Wer das Wort „had“ mit 13 „t“s spricht und „up“ mit 24 „p“s wird immer mein Herz gewinnen, aber Stewart Douglas und seine Kollegen haben dabei auch noch tolle Songs wie „Human“ und „Kingdom“ am Start.

Das Highlight des Festivals ist dann vielleicht der Gig der belgischen Whispering Songs. Post-Punk im Stile der Savages, aber abgründiger, unberechenbarer – was vor allem an Sängerin Fenne Kuppens liegt. Sie hat nicht nur eine faszinierende Grabesstimme, sondern würde selbst gegen Nick Cave einen Staring Contest gewinnen. Den Schweizern von Saitün, die psychedelischen Rock mit Folkelementen aus dem Mittleren Osten mischen, kann man ebenso schwer widerstehen, wie dem Wahlberliner AfroDiziac und seinem wilden Aufs-Maul-Rock’n’Roll, der ebenso weit gereist klingt, wie sich seine Biografie liest: in Halifax auf der kanadischen Halbinsel Nova Scotia als Sohn brasilianischer Einwanderer geboren, in New York mit Punk und Rock’n’Roll angefixt, lange in Stockholm gelebt, nun Wahlberliner. Er spielt auf der kleinen Bühne, zwei kurze Sets am Samstag, bei denen er jeweils nur wenige Minuten braucht, um die Crowd auf Betriebstemperatur zu bringen.

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Ich könnte noch so viel schreiben, aber die MUSIKEXPRESS-Chefredakteurin wird schon – zu Recht – bei diesem halben Roman meckern (und ihn dann hoffentlich widerwillig durchwinken). Vielleicht muss ich noch erwähnen, dass das OBS auch eines der seltenen Beispiele ist, wo ein Festival kinderfreundlich ist, ohne dabei den Nicht-Eltern die Stimmung zu versauen. Und ich wurde gebeten, vom Publikum und vom Team auszurichten, dass der traditionelle Serienwitz, der an den drei Abenden dargeboten wird, zwar flach sein darf, aber bitte nicht soooooo flach wie der diesjährige. Ansonsten verbleibt mir nur ein leicht verkarteter, sonnenverbrannter Knicks vor allen, die an diesem Festival und an meiner persönlichen Festival Experience beteiligt waren. What’s Love Got To Do With It? Alles natürlich.

Lena Willems