So war der Freitag beim Le Guess Who? Festival
Der zweite Abend des niederländischen Entdecker-Festivals stand im Zeichen des Geräuschs.
Es beginnt mit einem Kirchengang: Mario Batković, Akkordeon-Spieler aus Bosnien, sitzt allein vor dem Altar der Janskerk in Utrecht und entlockt seinem Instrument eine Stunde lang Klänge, die man einem Akkordeon kaum zugetraut hatte: Batković benutzt nutzt sein Instrument als Percussion-Werkzeug, driftet immer wieder in Richtung Noise und Ambient ab, nur um aus dem Nichts wieder eine zarte, verzweifelte Melodie zu zaubern. Dass es nicht mehr braucht als das oft verschmähte Akkordeon, um solche Klangreisen zu erzählen, ist die erst schöne Überraschung des Abends. Gerade im Kirchengewölbe breitet sich die Atmosphäre besonders gut aus.
Die Janskerk ist einer von vielen Orten in Utrecht, an denen die Konzerte des Le Guess Who? stattfinden. Zentrum des Geschehens ist allerdings der Musiktempel Tivoli Vredenburg, in dem gleich fünf Bühnen bespielt werden: ein großer, gläserner Kasten, der von außen aussieht wie ein Einkaufszentrum und von innen dank etlicher Rolltreppen auch.
In einem der kleineren Säle lädt Komponist Jherek Bischoff zu einer Runde Neo-Klassik ein – mit einem Streicherquartett, das er erst am selben Tag in Utrecht kennengelernt habe, wie er sagt. Die mangelnde Erfahrung fällt nicht auf, Bischoffs Musiker sind sogar so gut, dass er – Amerikaner – darüber witzelt, eventuell hier zu bleiben, wo doch die Streicher in den Niederlanden so gut sind. Das Wahlergebnis hat auch drei Tage danach noch keiner so recht verarbeitet.
Bischoff schmückt die Arbeit der Streicher mal mit etwas Gitarrengeschrammel aus, mal klimpert er am Klavier oder füttert die Musik mit Störgeräuschen aus dem Sampler. Gerade die unheimlichen, fast Scott-Walker-artigen Stücke wie „The Wolf“ gehen sehr gut auf. Was Bischoff allerdings zum Verhängnis wird, ist sein Drang zum Reden: Zu fast jedem Song hat Bischoff eine Anekdote parat, die genauso lang ist wie der Song selbst: Über veganes Mac&Cheese, dreitausend Jahre alte Löffel aus Ägypten, seine Arbeit mit dem Kronos Quartet, und so fort. Als ihn ein Zuhörer auffordert, weiterzuspielen, entgegen Bischoff mit einem trotzigen „But I love talking“.
Keine Herren der großen Worte sind Beak>, die Zweitband von Portishead-Musiker Geoff Barrow. Da der Große Saal des Tivoli am Freitag bereits belegt ist und nicht fürs Festival genutzt werden kann, spielen Beak> eine Stufe kleiner, im Ronda. Dass es das erste Konzert der Tour ist, merkt man den etwas holprigen Einstiegen in die Songs manchmal an. Doch wenn Barrow seinen Klaus-Dinger-Rhythmus einmal gefunden hat, ist die Band nicht mehr zu stoppen. Beak> spielen eine sehr lo-fi-lastige Art von Krautrock, der zwar Spaß macht, aber live letztlich ein wenig an derselben Monotonie leidet, die schon die beiden Beak>-Alben ein wenig langweilig gemacht hat. Das dritte ist übrigens gerade in Arbeit.
Nach den düsteren Klängen Bristols steht jetzt ein etwas weiterer Ausflug an: Les Filles de Illighadad stammen aus einem kleinen Dorf aus dem Niger und sind eine von vielen westafrikanischen Bands, die dieses Jahr beim Festival auftreten. Die beiden Tuareg-Frauen spielen erst ihr zweites Konzert in Europa – das erste haben sie am Vorabend ebenfalls im Rahmen des Festivals gegeben. Das Duo aus Fatou Seidi Ghali und Alamnou Akrouni wird von einer Percussionistin und einem weiteren Gitarristen unterstützt, doch ihr roher, für westliche Ohren gewöhnungsbedürftiger Stil wirkt noch etwas unfertig. Die ersten Stücke des Sets verzichten sogar komplett auf den Einsatz von Gitarren, bestehen nur aus Trommeln und Gesang.
Als Alternative bieten sich die beiden Esten Maarja Nuut und Hendrik Kaljujärv an, die im Theater Kikko unweit des Tivoli eine sehr organische Ambient-Musik auf die Bühne zaubern. Nuut spielt Geige und singt, ihr Partner Kaljujärv nimmt eine ähnliche Rolle ein wie Jherek Bischoff bei seinem Streicherquartett und streut elektronische Elemente ein. Der Höhepunkt kommt kurz vor Schluss: Nuut erzählt eine estnische Horrorgeschichte über drei Schwestern, die zum Beerenpflücken in den Wald gehen und die jüngste töten – dank der bedrohlichen Untermalung ein wunderbares Hörspiel.
Doch so geschmackssicher ist die Auswahl im Kikko nicht immer: Nach Nuut und Kaljujärv tritt Pedal-Steel-Spielerin Heather Leigh auf, die ihrem Instrument ein sehr anstrengendes Dröhnen und ihrer Stimme ein verzweifeltes Geheul entlockt, eine Mischung, die leider im Chaos mündet. Weiter gedröhnt wird derweil im Tivoli bei Tim Hecker, dessen Performance – falls denn da eine ist – komplett im Dunkeln stattfindet. Der einzige Unterschied zu Heckers hervorragenden Alben ist die menschenunfreundliche Lautstärke; ihre hypnotische Wirkung entfaltet die Musik auch, wenn man sie daheim hört und das Licht ausmacht.
Wer nach Tim Hecker immer noch nicht die Ohren voll hat, unterzieht sich der Noise-Techno-Schocktherapie von Container. Wer den Abend lieber in Ruhe ausklingen lassen will, dem bleibt noch ein schönes Konzert der neuseeländischen Band A Dead Forest Index, die im Line-Up-Booklet mit Scott Walker verglichen wird. Als sich ihre Musik dann doch als normaler Folkpop entpuppt, ist man nach diesem Tag eher erleichtert als enttäuscht.