Softcell


Aus heiterem Himmel erschien der DiscoHit "TaintedLove" an der Spitze der deutschen Hitparade. Wer steckt hinter dem englischen Synthi-Duo?

Soft Cell auf Platz 1 der deutschen Single-Charts – angesichts der sonstigen Top-Seiler im deutschen Winter („Polonäse Blankenese“, Ja, wenn wir alle Englein wären“) eine gehörige Überraschung. Grund für diesen geradezu kometenhaften Aufstieg zweier Amateur-Musiker aus der englischen Provinz ins internationale Rampenlicht: „Tainted Luve“, der Discotheken-Knüller dieses Jahres.

Die BBC-Studios im Londoner Stadtteil White City: An der Bar und in den Gängen herrscht hektische Aktivität, Stars und Starlets samt unzähligen Freunden und Begleitern, Kameraleute und verirrte Besucher bevölkern das Termitenbauhafte Gebäude bis in die äußersten Ecken. Auf dem Drehplan steht die Produktion der neuen, wöchentlichen Folge von Top 0f The Pops, der nach wie vor bedeutendsten Fernsehsendung der englischen Pop-Musik.

Nachdem Marc Almond und David Ball mit „Tainted Love“ bereits fünf (!) Auftritte in dieser Sendung absolviert haben, steht heute die TV-Premiere ihrer neuen Single „Bedsitter“ an. Zwischen Proben und Fototerminen nimmt sich Soft-Cell-Sänger Marc die Zeit für ein kurzes Gespräch.

Erzähl doch am besten erstmal wie du mit David zusammengekommen bist.

“ Wir haben uns vor zwei Jahren auf der Kunstschule in Leeds getroffen. Dave experimentierte mit elektronischer Musik, ich beschäftigte mich mit visuellen Dingen, mit Video-Shows und so. Naja, und mir fehlte eben die Musik für meine Shows, und David fehlte für seine musikalischen Ideen der Sänger – und so taten wir uns zusammen. Wir merkten danach schnell, daß unser Musik-Geschmack ziemlich übereinstimmte, Disco, Soul, die Bands aus Manchester und Tamla Motown waren unsere ersten Vorlieben. Wir begannen a/so, gemeinsam Songs zu schreiben und aufzunehmen.“

Auf „Tainted Love“ klingt deine Stimme ungeheuer gut, überzeugend. Hast du vor Soft Cell auch schon gesungen?

„Nein, nur wenig. Ein paar David-Bowie-Songs in der Schulband, sonst nur vereinzelt in den Video-Shows, aber das war sehr experimentell, sehr unkommerziell. Ich hatte immer eine Schwäche für den Underground und ausgefallene Sachen, was das Optische angeht, und meine Stimme paßte sich dem an… Ich sah mich eigentlich auch gar nicht als Sänger.“ Welche Sänger hörst du denn gerne?

Fast alle Soul-Sänger … Scott Walker… Jim Morrison… Frank Sinatra…“ Hast du eine Erklärung dafür, daß z.B. Scott Walkers Gesangsstil heute wieder so populär wird bzw. viele neue Bands ihn als wichtigen Einfluß angeben?

Ja, ich glaube, es ist die ungeheure Emotionalität solcher Stimmen, die die Leute mitreißt. In England nennt man es Torch Singing, allerdings weiß niemand genau, was das beeinhaltet. Aber jeder erkennt es sofort…“ Es hat etwas Privates an sich, als würde der Sänger nur für sich allein singen…

,Genau, das ist auch das Emotionale daran. Und man kann den Text verstehen, was für mich sehr wichtig ist. Vielleicht ist es für die Hörer ein willkommener Gegensatz zum typischen Rock’n’Boll-Gesang, vielleicht gibt es ihnen mehr…

Für mich kann ich sagen, daß ich niemals versuche, dieses Gefühl künstlich herzustellen. Ich singe nie mehr als drei Takes im Studio. Wenn du einen Song dreimal gesungen hast, dann hast du in etwa noch die Balance zwischen Spontaneität und Routine, alles weitere wäre vielleicht perfekter, aber auch viel einstudierter.“ „Tainted Love“ hat der heutigen Fließband-Tanzmusik genau das voraus, was man früher Soul nannte, Engagement und Leidenschaft. Disco heute ist regelmäßig und eindeutig, fast schon ein Klischee. Marc Almond selbst hat lange Zeit in einer Discothek gejobbt, wo die hämmernden Rhythmen unweigerlich einen Eindruck hinterließen, ihm die musikalische Richtung wiesen. Doch er hat auch andere Vorlieben:

Ihr nennt euer Album NON-STOP EROTIC CABARET. Was bedeutet dieser Titel?

„Oh, Cabaret habe ich immer sehr gemocht. Für mich hat unsere Musik auch etwas Kabarettistisches. Nicht gerade, Tainted Love“, aber das Album hat bestimmt einen ironischen Unterton. „Sex Dwarf“ ist zum Beispiel reine Ironie.“ Und was ist mit der Erotik?

„NONSTOP EROTIC CABARET ist sicherlich nicht im Sinne von bump’n‘ grind‘ gemeint, es meint eher die ‚geheime’Erotik, Wünsche und Sehnsüchte der Einsamen.. .

Melancholische Nachtclub-Atmosphäre?

Ja, so ungefähr. Ich möchte auch mehr solche Songs machen wie „Speedy Films“ zum Beispiel. Durch die Klarinette kommt da so ein Gefühl von Jazz hinein, und das ist ein echter Gewinn. Oder ein Blues-Feeling … Ich möchte die Leute gern als Mensch ansprechen und über menschliche Dinge reden …

Was für Dinge würdest du denn als „unmenschlich“ bezeichnen?

„Hm … Obwohl ich sie mag, Kraftwerk. Cabaret Voltaire. Kraftwerk haben diesen Perfektionsanspruch, den wir nicht haben. Unser Album ist schnell entstanden und hat sicher seine Fehler, und das ist es, was menschlich macht.“ Eure neue Single „Bedsitter“ klingt doch ziemlich anders als „Tainted Love“. Hast du keine Angst vor schlechten Reviews oder gar einem Flop?

„Wir haben Bedsitter“ deshalb ausgesucht, weil es in unseren Augen das passende Gegenstück zu „Tainted Love“ ist. Es ist verträumter, aber trotzdem realistisch und zeigt uns von einer anderen Seite. Auf dem ganzen Album ist kein zweites “ Tainted Love“ im Sinne einer Kopie. Das hat sicherlich manche enttäuscht aber es hat auch viele gegeben, die uns gesagt haben ‚Gott sei Dank, nicht nur, Tainted Loves“ auf der LP‘. … Wir haben unsere LP zu dem Zeitpunkt aufgenommen, wo wir mit dem Herzen dabeiwaren, und nicht zu einem günstigen Vermarktungs-Termin. Dieses Prinzip werden wir auchbeibehalten.“