„Sowas muss man weitersagen!“
Conrad Keely von ... And You Will Know Us By The Trail Of Dead erklärt zehn seiner aktuellen Lieblingsalben: "Das sollten die Leute wissen - vor allem die Kids!"
Diverse – Die Kinder des Monsieur Mathieu (OST)
Conrad Keely: Die Songs auf diesem Album klingen total beängstigend – Musik hat eine Qualität, die mich verstören kann. Das fand ich immer gut: Je stärker dich ein Stück Musik berühren kann, desto kraftvoller ist es. Als ich klein war, hab ich zum Beispiel bei Dead Can Dance unglaubliche Angst bekommen. Ihre Songs klangen schauerlich. Nachts ging das gar nicht – das konnte ich mir nicht anhören. Und Die Kinder des Monsieur Mathieu verbreitet eine herrlich gruselige Edward-mit-den-Scherenhänden-artige Stimmung. Ich weiß nicht mal, wer das geschrieben hat und was der sonst noch gemacht hat, aber die Kompositionen auf diesem Album sind unglaublich. Ich hab das nur durch Zufall entdeckt – ich suche oft einfach im Internet nach Musik, die mich auf Ideen bringen könnte. Ich habe einen Account bei eMusic.com und lade dann irgendwas runter, was interessant aussieht. Als ich dieses Album gefunden hatte, musste ich mir sofort auch den Film dazu ansehen. Ich will auf der nächsten Platte unbedingt was mit Knabenchören machen!
Bernthøler – Merry Lines In The Sky
Keely: Diese Band hab ich auch auf diesem Weg entdeckt. Mir hat das Gesicht der Sängerin auf dem Cover gefallen. Ich fand sie süß, deshalb hab ich mir das runtergeladen. Und es ist super. Wie sich herausgestellt hat, wurde das mal Anfang der 8oer-Jahre veröffentlicht – eine total obskure Platte. Kein Mensch hat je was von der Band gehört. Die Produktion klingt ziemlich aktuell, als hätte man das 1997 oder so aufgenommen. Schon der erste Song „My Suitor“ ist bezaubernd. So was muss man weitersagen! Ist es nicht fantastisch, dass in unserem digitalen Zeitalter heute Musik aus allen Jahrzehnten einfach so verfügbar ist? Man muss nicht mehr ewig im Plattenladen stehen und suchen.
Air – Moon Safari
Keely: Es gibt nichts Schöneres, als zu Moon Safari aufzuwachen. Ein deutscher Freund aus Bonn hat mich vor zwei Jahren wieder auf diese Platte gebracht. Ich kannte sie zwar schon irgendwie, aber manchmal werden Alben ja mit der Zeit besser, Moon Safari kann ich mir immer wieder anhören – die wird mir nie langweilig. Ich genieße einfach immer die Stimmung, die sie verbreitet – Musik hat überhaupt so viel mit Stimmungen zu tun.
ME: Vielleicht ist das das Geheimnis uon guter elektronischer Musik – wenn sie über eine Stimmung Gefühle weckt, dann kann sie relativ zeitlos sein.
Keely: Für mich hat das gar nicht so viel mit Elektronik zu tun – das geht für mich eher auf den Sound von europäischen Softporno-Soundtracks zurück. Würde mich wundern, wenn das Flügelhorn zum Beispiel ein Sample wäre. Das klingt mir nach einer anspruchsvollen Studioaufnahme mit analogen Instrumenten.
Kraftwerk – Computer World
Keely: Auch so ein Album, das ich persönlich als völlig zeitlos empfinde. Und ich liebe den Song „Computer Love“, ganz besonders beim Aufwachen. Die Sounds sind brillant, die sind etwas ganz Besonderes. Das ist zwar Elektronik, aber man merkt einfach, wie bahnbrechend das musikalisch ist. Unglaublich, wie da die Synthies eingesetzt wurden … Zu der Zeit war die Musik sonst ja doch eher rockorientiert.
ME: Kannst du die Platte genießen, wie sie ist, oder ist dir der intellektuelle Aspekt ihrer musikhistorischen Bedeutung wichtig?
Keely: Musik hat für mich primär mit Emotionen zu tun. Natürlich wäre es einfacher, über die Bedeutung dieser Alben auf einer akademischeren Ebene zu sprechen. Mit welchen Worten soll man auch Gefühle beschreiben? Aber Musik versetzt dich in einen bestimmten Zustand. Ich hör mir doch nicht zum Aufstehen Slayer an. Mit so einem Vibe will ich nicht den Tag beginnen. Höchstens wenn ich total sauer bin … Aber „Computer Love“ zum Beispiel entspannt mich völlig. Und ich hör mir das tatsächlich gerne an, wenn ich am Computer sitze (lacht).
Diverse – The Shining (OST)
Keely: Auch ein sehr beängstigendes Stück Musik. Und diese Platte ist tatsächlich unter akademischen Gesichtspunkten wichtig. Eine Freundin von mir hat im College „Arrangement“ studiert – von mittelalterlichen Chorälen bis zu moderner Komposition. Da haben sie diesen Soundtrack durchgenommen. Sie hat mir erklärt, dass der Komponist bei der Notierung oft einfach nur wellige, zittrige Linien gezeichnet hat. Das Orchester sollte das dann interpretieren. Der Soundtrack ist ziemlich avantgarde, minutenlang Geräusche und so. Du weißt immer genau, was gerade im Film passiert: Jack geht mit der fucking Axt durch das Hotel: „WO BIST DU, DANNY?!“ Und ganz am Ende der Komposition kommt offenbar die einzige Stelle, an der er eine Note geschrieben hat. Alles endet einfach auf einem „D“ oder so. Vielleicht ist das der Moment, in dem man Jack erfroren im Schnee liegen sieht.
Hank Snow – Legendary
Keely: Der beste Song auf der Platte ist für mich „A Fool Such As I“: (singt) „Now and then, there’s a fool such as I, pardon me if I’m sentimental, when we say goodbye.“ So cool! Die meisten Songs sind schon hart an der Kitschgrenze – aber so ist das nunmal im Country. Er hat Songs über den „Hula-Hula im Südpazifik, wo die Kokosnüsse wachsen“. (lacht) Aber ich kehre manchmal gerne zu diesem Genre zurück. Viele Leute verkennen, wie sehr der Rock beim Country in der Schuld steht. Elvis und viele der weißen Rocksänger aus dem Süden haben mehr oder weniger Country gemacht. Es gibt einen alten Countrysong aus den 20ern oder 30ern, in dem sie singen: „We’re rocking and rolling“ sogar der Begriff Rock’n’Roll kommt aus dem Country. Das sollten die Leute wissen, vor allem die Kids. Wenn die denken, dass Rock’n’Roll das Alpha und Omega ist, dann sollten sie sich mal auf den Weg machen, seine Wurzeln zu entdecken.
ME: Es gibt so brillantes Storytelling im Country …
Keely: Genau. Und ich versuche ja auch, in meinen Songs Geschichten zu erzählen. Ich will, dass die Leute meine Texte lesen und eine Story hören – nicht nur ein paar poetische Bilder. Das kann Country sehr gut. (lacht) Ich muss lachen, weil Hank Snow auf dieser Platte erzählt, wie sein Hund stirbt: Er musste „Old Chip“ mit seinem Gewehr erlösen, aber er hat es nicht übers Herz gebracht. Sein Vater musste es dann tun. Da spürt man: Für einen kleinen Jungen, der irgendwo im Süden der USA am Arsch der Welt aufgewachsen ist, muss der Hund sein einziger und bester Freund gewesen sein. So Zeug ist super. So ist das Leben …
White Magic – Through The Sun Door
Keely: Das ist eine neue Band aus New York – sehr interessant. Die Songs sind alle ziemlich verschieden, das gefällt mir. Ich mag Platten, die dich auf eine musikalische Reise mitnehmen. Der erste Song ist wahnsinnig gut, mit vielen komplizierten Tempowechseln. Das hat so ein Dave-Brubeck-Feeling: komplex, aber ganz locker gespielt. Das ist nur eine EP, ich freu mich schon auf das Album.
Knife in The Water – Plays One Sound And Others
Keely: Ich frag mich oft, warum manche Platten mit der Zeit immer besser werden: MOON SAFARI, COMPUTER WORLD … Und das Debüt von Knife In The Water gehört auch dazu. Ich hatte das Album auf meinem alten Computer, den ich meiner Mutter gegeben habe. Mein kleiner Bruder hat Plays One Sound And Others dann mal morgens angemacht, und mir ist aufgefallen, dass ich mir das zwei oder drei Jahre lang schon nicht mehr angehört hatte. Jetzt bin ich süchtig geworden. Die Melodien sind so wunderbar … Knife In The Water waren damals noch ziemlich neu, und sie haben viel mit langsamen Songs gearbeitet. Und sie hatten eine Slideguitar – irgendwie ist das Country, obwohl es auch Alternative ist. In Texas wächst man ja mit Country auf. Plays One Sound And Others erzählt meiner Meinung nach sehr viel über Austin. Und die Texte sind großartig – so offen für Interpretation. Ich musste den Sänger nach ein paar Textstellen fragen, und sogar ihm fällt es nicht leicht, das zu erklären. Wie schön.
Midlake – Bamnan And Slivercork
Keely: Wenn ich in Austin Lust auf ein Bier habe, geh ich oft in die Bar Emo’s. Ich kenne alle, die da arbeiten – ich häng da einfach gerne rum. An einem Abend war es voller, als ich das je erlebt hatte. Keiner von den Typen an der Bar hat gewusst, wer spielt. Es waren Midlake, und sie waren unglaublich. Bei einem Konzert in New York war dann weniger los, und ich konnte danach noch mit ihnen reden: „Hey, ich bin auch aus Texas, ich mag eure Sachen, ihr seid super.“ Ich mag sowieso viele Bands aus Texas. Midlake experimentieren viel mit Synthesizern – sie setzen sie wie analoge Instrumente ein. Die benutzen absichtlich die billigsten Keyboard-Sounds, aber es klingt trotzdem cool. Das haben sie perfekt drauf.
Smithsonian Folkways – Back Roads To Cold Mountain
Keely: Smithsonian Folkways ist ein ganzes Archiv von Field Recordings, die teilweise von einem Typ in den 40er-Jahren gemacht wurden. Der ist mit einem Mikrofon rumgefahren und hat die Volkslieder der Menschen aufgenommen. Bei dieser Compilation Back Roads To Cold Mountain ist auch viel Gospel dabei. Das Storytelling ist fantastisch. Ein alter Mann erzählt zum Beispiel, dass sein Großvater im Gefängnis war – fünf Geiger mussten um die Wette spielen, und der beste wurde mit der Freiheit belohnt. Und er sagt: „Das ist der Song, mit dem mein Großvater die Freiheit gewonnen hat.“ (lacht)
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