STACCATO Musik und Leben Hsg. v. Diedrich Diederichsen Kubier Verlag, Heidelberg, DM
.Ein Konzept hat dies Buch nie gehabt“, gesteht der Herausgeber gleich einleitend im Vorwort. Wenigstens ist er ehrlich, denn Insider wissen längst, daß D.D. immer dann, wenn ihm ein ausformulierter Gedanke, eine ordnende Idee fehlt, flugs seine großspurigen Ansprüche zu Manifesten erklärt. Und hochgeschraubte Ansprüche stellt er auch hier. Doch weniger an sich selbst, seine Autoren und deren Texte, sondern an den Leser. Denn die „unterschlagenen Wahrheiten “ die „Menge Radikalität“ (D.D.) und den Zusammenhang zwischen „Musik und Leben“ (Untertitel des Buches) muß sich der hoffnungsvoll-hilfesuchende Käufer bei Artikeln wie „Ich bin neidisch“ von Stefan Boas Kelle (vielleicht die Wahrheit, aber inwiefern unterschlagen?) und bei Ewald Braunsteiners „Dingen, die immer schon mal gesagt werden mußten“ selber zusammensuchen – oft vergeblich.
Die Themen hätten „auf der Straße gelegen“, erklärt der Herausgeber lapidar, doch drängt sich der Eindruck auf, daß er seine Schreiber und deren Artikel im Grunde genommen nur so behandelt, als hätte er sie auf der Straße aufgelesen (etwa wie streunende Hunde, alte Comic-Seite oder bettelnde Hippie-Mädchen). In Wirklichkeit scheint jedoch sogar den meisten der 15 Verfasser unklar zu sein, was .gesagt werden muß“, sonst würden sie nicht so stammeln.
Die „Speculationes Lusitanae“ (lustigerweise verdruckt zu „Speculationes Lusitanae“), der Reisebericht des „wilden“ Malers Werner Büttner aus Portugal, wurde ursprünglich für eine ehrgeizige Jugendzeitschrift verfaßt, die den Text jedoch wegen übergroßer Längen ablehnte. Exakt diese Längen sind für D.D. hingegen .eine Ergänzung und Atempause“ und „nötiger Schritt aus der Enge des immergleichen Zusammenhangs“. Innerhalb dieser angeblichen „Enge“ erfährt man andererseits nur, daß der Buddy-Holly-Fanclub im Bochumer Stadtteil Wilhelmshöhe hauptsächlich Fußball spielte, in seiner Mitgliedsliste die abartigsten Namen bereithielt (Schobbi, Mummu, Nobsche, Klöhse, Örle usw.), und erst nach dem Tod des Idols gegründet worden war. Denn den hatten die Herren Schobbi, Mummu usw. erst vier Jahre danach mitbekommen. Ist das vielleicht die , Welt, in der Kultur tatsächlich (noch oder wieder oder vorübergehend) mit Leben zu tun hat, ohne dabei diese Lebendigkeit zu denunzieren …7″ (D.D.) Autor Wolf gang Welt zimmert allein aus diesen „Fakten“ eine Geschichte“ und zockt für 30 (!) Seiten Zeilenhonorar ab.
Als Herausgeber hielt sich D.D. nicht mit „Oberflächlichkeiten“ wie Sorgfalt oder Exaktheit auf: Rechtschreib-, Komma- und Grammatikfehler machen die Texte streckenweise unlesbar. Stil ist nicht D.D.s Sache: Chaotische Schachtelsätze überspannen ganze Absätze – etwa bei Wolfgang Welt, der Schreiben anscheinend mit Algebra verwechselt und wie bei den Rechenaufgaben gleich drei Klammereinschübe ineinander wurstelt. Offensichtliche Irrtümer bleiben unkorrigiert (der Hit der Teddybears hieß nicht „To Know You“ usw. sondern „To Know Him is To Love Him“ nach der Grabsteininschrift von Phil Spectors Vater). Und anstatt die Texte zu überprüfen und zu redigieren, ließ D.D. lieber heikle Passagen in letzter Sekunde einschwärzen. Das gibt den „brisanten“ Underground-Touch der Illegalität.
Völlig konfus wird’s jedoch in Hermann Harings (ex-ME-Chrefredakteur, inzwischen erleuchtet) Aufsatz „Rockmusik und Apokalypse“, bei dem nicht nur der Herausgeber eingestandenermaßen bei jedem Wort „Nein!“ brüllen möchte. Doch hätte D.D. den Abdruck von Harings ebenso leidenschaftlicher wie verklärter Predigt über die „Sackgasse unserer materialistischen Zivilisation“, über Esoterik, „spirituellen Aufbruch“ und den „totalen Umbruch biblischer Dimension“ ablehnen können. Auch hier machte das fehlende Konzept ein Neinsagen unmöglich. Es ginge, rechtfertigt sich D.D., bei Haring um “ Wahrheiten “ die „in den Köpfen vieler spukten“ usw. Redet der sonst so rigid / radikale Diederichsen plötzlich wieder einem Pluralismus, einer liberalen Toleranz und einer .Meinungsvielfalt“ das Wort?
D.D.s eigener Aufsatz „Nette Aussichten in den Schützengräben der Nebenkriegsschauplätze“ ist gewiß brillanter, bedeutsamer und langfristig gewichtiger, als es der Kontext verdient. Ein unfähiger Herausgeber braucht bekanntlich kein schlechter Autor zu sein. Und Kid P.s glorreicher Rundumschlag gegen „Dummheit und Versagen“ in der „neuen deutschen Welle“ erscheint vollständig (und daher schlüssig) und ist köstlich zu lesen. (Schlecht informiert erweist er sich allerdings, was den MUSIK EXPRESS betrifft. Die Behauptung, uns würde als Bestechung zentnerweise Haschisch ins Büro gekarrt, ist einfach nicht mehr aktuell. Angesichts des allgemeinen Umsatz-Rückganges hat die großzügige Versorgung mit Drogen-Care-Paketen rapide nachgelassen, letzt kriegen wir den Stoff nur noch für 6-Sterne-Reviews und wenn wir ihn uns selber abholen. Deshalb schreiben wir nun auch so viel über Independents. – Die Red.) Doch sind zwei gelungene Artikel eindeutig zu wenig für ein Buch, aus dem man das Credo eines selbstgerechten Kritikerpapstes erwartet. Der hat übrigens wohl selber das Interesse an seinem Werk verloren. Denn anstatt das peinlich-säuische Cover ändern zu lassen, ekelt er sich jetzt lieber selber bei jedem Anblick. Die Anfrage nach dem Ladenpreis von STACCATO konnte er mir übrigens auch nicht beantworten.