Steely Don


Feiner Mann, feine Platte. Wenn Steely Dan- Denker Donald Fagen drei Jahre am Stück im Studio arbeitet, lernt gar der Pop das Jazzen.

Kaum ein Durchkommen gibt es jedes Jahr am 17. März vormittags in New Yorks Straßen, ganz Uptown Manhattan ist dicht. New Yorks Iren marschieren an diesem Tag traditionell für St. Patrick und haben die 5th Avenue fest im Griff, die Autos stehen um Super-Stau. Doch frühes Aufstehen lohnte sich auch heute, denn bei Donald Fagens Brunch-Audienz steht Pop-Cuisine der erleseneren Art auf der Karte: KAMA-KIRIAD, das zweite Album von Fagen, der schon zu Steely-Dan-Zeiten mit seinen Platten ewig unzufrieden war, steht bereit zur Verkostung. Entstanden in drei Jahren Arbeit, an den Ufern des öligen East River, wo Donald Fagen sein kleines, aber feines River Sound Studio betreibt. Darin sein ganzer Stolz: ein altes Original-Mischpult aus den Detroiter Motown Studios.

KAMAKIRIAD klingt allerdings, als wäre Manhattan ein Luftkurort im Allgäu — so rein, reizend und makellos sauber fließen Fagens komplexe Jazzpop-Tüfteleien aus den Boxen. Die traute Idylle eines in die Jahre gekommenen Sound-Ästheten, der im wohligen Privatstudio geruhsam an den Reglern dreht?

„Ich habe bis ungefähr zu meinem dreißigsten Geburtstag wie ein Wilder gearbeitet. Plötzlich merkte ich, daß mein Leben eigentlich nur ein Arbeitsleben war. Ich wollte mir ab sofort mehr Zeit für mich selbst gönnen und mehr nachdenken. Deshalb brauche ich jetzt so lange zwischen den Alben.“

So lange reifte auch die schräge Story-Idee seines verwirrenden Konzeptwerkes KAMAKIRIAD: Die bizarre Reise in einem pflanzengetriebenen, futuristischen Öko-Automobil, das nach einem Insekt (Kamakiri, japanisch für Gottesanbeterin) genannt wurde. Donald Fagens „Kamakiriade“ ist eine heilsame, ironische Odyssee zu sich selbst und zu seinen musikalischen Wurzeln:

„Kann schon sein. Ich habe mich immer in erster Linie fiir Jazz interessiert, Duke Ellington vor allem. Seine elegante und raffinierte Art, Soli und Ensembles zu verschmelzen, hat mich schwer beeinflußt. Allein dies weist schon über den schlichten Popsong hinaus. „

Der Meister der reservierten RockÄsthetik gibt sich persönlich höchst aufgeräumt. Vielleicht auch deshalb, weil er endlich wieder weitaus intensiver als bei den vorangegangenen Projekten mit seinem alten Steely-Dan-Kumpel Walter Becker zusammenarbeitete, als Mädchen für (fast) alles das Album produzierte, und neben Scharen von Musikern dazu Gitarre und Baß spielte. „Ich brauchte schlicht und einfach Hilfe, jemand, der sich komplett um die ganzen Studiosachen, die Musiker und die Administration kümmerte. Dann spielte Walter provisorisch ein paar Baß-Parts, und das war so toll, daß wir schließlich alles übernahmen. Walter kenne ich eben ewig, er steckt voll drin, dem muß ich nicht viel erklären.“

Bei soviel wiederentdeckter alter Liebe hätten sie allerdings gleich Nägel mit Köpfen machen — und sich marktgerecht als Steely Dan reformieren können. Steely Don Fagen, immer der kühl-überlegtere Part des Duos, zumindest arbeitet bereits darauf hin:

„Wer weiß. Auf jeden Fall planen wir mit den neuen Songs wieder Konzerte. Da spielen wir natürlich auch ein paar alte Steely Dan-Songs.“

Für Donald Fagen war das Leben nach Steely Dan wie gewünscht urgemütlich geworden: Ein Solo-Album hier, ein Soundtrack (BRIGHT LIGHTS, BIG CITY) da. Ein Perfektionist, der dem Streß stets gezielt auswich und mit einer akribischen Lust am Detail sowie einem sehr relaxten Zeitbewußtsein gesegnet ist. Donald Fagens Fans müssen schon in Dekaden denken.

Jetzt dürfen sie mit Fagens Zukunfts-Story gleich eine Dekade Fahrzeug-Technik vorausdenken:

„Science Fiction habe ich schon als Kind verschlungen, und mit neuen Techniken Geschichten zu erzählen, fasziniert mich noch immer. Das neue Album plazierte ich deshalb inhaltlich in der nicht allzu fernen Zukunft und gab den Songs eine lose zusammenhangende Story. Dafiir kam ich auf die Idee mit dieser seltsamen Reise und fragte mich, wie wohl das Auto dazu in zehn Jahren aussehen könnte. Das Ergebnis ist dieser Kamakiri, sozusagen ein .humanistischer Wagen‘ — 30 Meilen die Stunde, pflanzengasgetrieben. So sollte es klingen: Eine geistige Reise zu neuen Welten und Erkenntnissen.. .“