Stories mit Pop-Appeal
Immer häufiger findet Pop auch in Form von Erzählungen statt.
Baja, der Benjamin von Stuckrad-Barre. Ängste hat der junge Mann. Trägt mit seinen 24 Jahren ab und an Jeanshosen mit Bügelfalten, weil ihm bang davor ist, dass ihn die Leute für einen Filialleiter halten, wenn er in Anzügen unterwegs ist. Dabei zieht Stuckrad-Barre durchweg prima Anzüge an, wenn er denn Anzüge trägt und macht in einem solchen auch Werbung für den Alltags-Designer „Peek & Cloppenburg“. Außerdem wissen in Deutschland 98,5 Prozent aller Menschen mit eigenem Musikgeschmack, dass Stuckrad-Barre kein Filialleiter ist, sondern Journalist und Jungredakteur bei der FAZ in Berlin. Und Popstar, Popstar Nummer zwei im Lande ist er natürlich auch. Ernsthaft: Mal abgesehen von Fiat Eric kann Stuckrad-Barre doch keiner das Wasser reichen. Was unter anderem daran liegt, dass er des öfteren in Talkshows rumsitzt und auch dieses Jahr wieder ein Buch geschrieben hat. Genau genommen sogar zwei. Remix (Kiepenheuer & Witsch, 335 Seiten, 18,90 DM) heißt das eine und versammelt Texte aus den ersten drei Jahren des Benjamin, vom Sinnieren übers „Frühstücksbüffet“ bis hin zu wohlfeilen Gedanken gegen „Westernhagen“. Womit schon ob der Titel klar ist: Exakt die Hälfte der Texte hätte Stuckrad-Barre besser seinem Tagebuch anvertraut. Aber da ist der schreibende Popstar ganz und gar Sommerschlussverkauf: alles muss raus. Ein Arbeitsprinzip, das auch für Buch Nummer zwei gilt: Livealbum (Kiepenheuer & Witsch, 254 Seiten, 16,90 DM) handelt von Stuckrad-Barres Erlebnissen während der Lesereise zu seinem ersten Buch und ist konsequenterweise ähnlich gestrickt wie „Soloalbum“. Zu erzählen hat Stuckrad-Barre eigentlich nichts – was aber legitim ist. Hauptsache, er schreibt wortgewandt, vergnüglich und extrem flott. Leider allerdings dann doch nicht so flott, dass er auch mal nur ein Wortspiel links liegen lassen würde: „Ich wollte ‚Abend teuer‘, nicht ‚Abenteuer'“ ist nur eine von vielen blöden Sentenzen, die, je nach Laune, sehr viel Spaß machen können oder eben fürchterlich nerven.
Bleiben wir noch ein Weilchen im Land der Benjamins. Ganz einfach, weil Herr Lebert mit Vornamen auch so heißt und zweifellos ein Verdienst sein eigen nennen kann: Er hat mit 16 ein Buch geschrieben, das auch unter „Popkultur“ verhandelt wird und damit seinem Kollegen den Wunderkind-Malus genommen hat – Stuckrad-Barre ist jetzt Benjamin, der Ältere. Und Craiy (Kiepenheuer & Witsch, 175 Seiten, 14,90 DM) ist das Buch, das Elke Heidenreich, die Sonderbeauftragte für Berufsjugendlichkeit, ganz toll findet. Aber mal halblang: Eigentlich hat Lebert nichts anderes getan, als die erste große Lebenskrise eines jeden Menschen publik zu machen. Immerhin wird das Buch verfilmt, und zwar von den Machern von „23“ – Lebert war in „beratender Funktion“ am Drehbuch beteiligt. Und Pop? Pop kommt natürlich auch vor bei Lebert. Und der heißt überwiegend sogar Pink Floyd. Als wären sie nicht schon seltsam genug, die Teenager von heute.
Keine Experimente indes bei Philippe Djian. In Heißer Herbst (Diogenes, 304 Seiten, 39,90 DM) erweist sich der Franzose wieder einmal als der Großmeister der Hypotaxe mit multiplen Kommata und lässt seinen Protagonisten an der Liebe leiden. Was ja seit Jahrzehnten definitiv eine Konstante von Pop ist. Immerhin: Eine Überrraschung, die keine war, offenbarte Djian, 50, auf seiner ersten Lesereise seit 15 Jahren. Er lebt, darin seinen Helden komplett unähnlich, seit 25 Jahren glücklich in einer Beziehung mit ein und derselben Frau. Und zwar monogam. Respekt.
Den sollte man auch Bret Easton Ellis uneingeschränkt entgegen bringen. Jetzt nicht für sein Sexleben, sondern für sein neues Werk Glamorama – einem Roman, der im Model-Milieu spielt (Kiepenheuer & Witsch, 680 Seiten, 49,90 DM). Überhaupt: Wer hätte gedacht, dass der Mann, der Pat Bateman erfand, nach „American Psycho“ und den Folgen für sein Leben -„der meistgehasste Autor der Welt“ – noch einmal gerade Sätze zwischen zwei Buchdeckel kriegt? Kriegt er aber. Und wie. In der oberflächlichen Beschreibung von Menschen mit Hohlkörpern und zeitgemäßem Marken-Namedropping ist Ellis perfekt – und selbstverständlich wird in „Glamorama“ auch wieder mit Karacho gedrogt, gebumst und gekillt. Ein moderner Moralist ist Ellis trotzdem: weil er die Typen und Szenarien, die er beschreibt, hasst wie die Pest – und vor allem findet, dass Reichtum nicht jedwedes schlechte Benehmen rechtfertigt. Wohl wahr.
Das Etikett des Moralisten lässt sich auch Michel Houellebecq gerne draufpappen. Der Grund: Auch er leidet an der Gesellschaft, wie sie nun mal ist. Mit einem Unterschied: Als Franzose fokussiert er seinen Blick auf Europa. Und was er dort sieht, prangert er in Elementarteilchen an (DuMont, 357 Seiten, 44 DM) – hübsch politisch unkorrekt, versteht sich. Happy Ends werden schließlich nur in Hollywood gebaut; bei Houellebecq endet die von ihm konstatierte Unfähigkeit zu Lieben in der finalen Katastrophe: Krebs, Psychiatrie, Selbstmord. Kein Einspuch, solange die Realität selbst solche Bücher auf grausamste Weise rechts überholt.
Und nun – ganz was anderes: Salman Rushdie. Der hat auch wieder einmal ein Buch geschrieben. Der Boden unter ihren Füßen heißt es (Kindler, 741 Seiten, 49,90 DM) – und weil Rushdies Männerfreundschaftsfreund Bono gesagt hat „jawoll, so ist das, stimmt alles“, kann, ja muss man es einfach kaufen. War ja schon immer eine ehrliche Haut, der U2-Bono. Wahr ist allerdings auch, dass in Rushdies Werk ziemlich viel ranziges, angestaubtes Zeug darüber drin steht, wie das Musikbiz garantiert nicht ist. Ein Buch für Leute, die gerne mit Meinungs-T-Shirt unterwegs sind:“Hardrock Cafe Bad Münstereifel“. Heino hat da übrigens auch schon ein Lokal.