Sziget Festival 2019: So war es auf Ungarns „Insel der Freiheit“ mit The National, Wanda und Post Malone
Wir waren vier Tage auf Europas wohl bekanntestem und buntestem Konzeptfestival und haben grundverschiedene Headliner und deutschsprachige Acts im gewohnten Umfeld gesehen. Unser Nachbericht vom Sziget Festival 2019.
500.000 – so viele Tickets wurden für die diesjährige Ausgabe des Sziget Festivals in über 100 Ländern verkauft. Eine halbe Million Besucher – und dennoch zeigt sich Festival-CEO Tamás Kádár nich sonderlich beeindruckt: „Damit liegen wir über 10 Prozent unter den Besucherzahlen aus dem vergangenen Jahr, als wir mit über 565.000 zahlenden Besuchern alle Rekorde gebrochen haben.“
Doch auch mit 65.000 Besuchern weniger auf die sieben Festivaltage verteilt, ist das Gelände auf der Budapester Donauinsel vollgepackt mit Menschen. Viele von ihnen sind vom Konzept, das hinter dem Sziget steht, überzeugt: Die Veranstalter ziehen ihr Open-Air seit dem Start in den frühen 90er-Jahren als eskapistischen Gegenentwurf zum gesellschaftspolitischen Status quo, der flussabwärts am Budapester Donauufer herrscht. Bedeutet: Besucher sind nicht einfach Besucher, sie sind „Szitizens“, Teil einer anti-diskriminierenden Utopie, die sich alter Hippie- und Woodstock-Weisheiten wie „Make Love, Not War“ bedient und sie auf riesigen Transparenten sichtbar macht.
Teil dieses selbstauferlegten Bildungsauftrags sind auch Programmpunkte, wie etwa das Art- und Museum-Village, das einen großen Teil des etwa 78 Hektar großen Areals ausmacht. Umso bedauernswerter, dass gerade solche genuinen Ideen nicht lebendiger gestaltet werden. Die Pop-Up-Buden der Budapester Museen sind größtenteils mit schrecklich einfallslosen Schautafeln ausstaffiert, die Sinnigkeit, sich mit einer Stichsäge ein Holzherz auszusägen, erschließt sich offenbar den wenigsten Besuchern des Art Villages.
Dornen im Auge sind diese Areale jedoch weniger als die penetranten Werbestände der potenten Sponsoren, die darüber hinaus auch der hinterletzten Coverband-Bühne ihren Namen verleihen. Aber die 35 Millionen Euro, die das Sziget laut Kádár für das diesjährige Booking gezahlt habe, müssen ja auch irgendwie finanziert werden.
Die Headliner beweisen die Ausgewogenheit des Sziget 2019
Womit wir nun auch beim eigentlichen Filetstück des Szigets wären: dem musikalischen Line-up. Das konnte 2019 zwar nicht mit dem außergewöhnlichen Booking des Vorjahres – mit unter anderem den Arctic Monkeys, Kendrick Lamar und den Gorillaz als Headliner – mithalten, wusste dennoch zu überzeugen. Das lag besonders an seiner Ausgewogenheit, die uns mit The National, Post Malone und Florence + The Machine so grundverschiedene Headliner einbrachte, die – jeder Act für sich selbst – ihr hohes Billing rechtfertigten.
The National haben sich diese Stellung mit ihrer 20-jährigen künstlerisch-hochwertigen Arbeit verdient. Dennoch fragt man sich am Samstagabend des Sziget Festivals, ob sie wirklich ein Headliner-Act für ein Festival dieser Größe sind. Denn der Zuschauerandrang vor der Main Stage ist in keiner Weise mit den Massen zu vergleichen, die sich kurz zuvor bei Macklemore sammelten. Das ist wirklich schade, denn einmal mehr legt sich die Musik der US-Band wie wunderweiche Seide um einen. Matt Berninger ist während des eineinhalbstündigen Sets vollkommen in seinem Element und nutzt den in den Publikumsbereich ragenden Laufsteg für nicht wenige Ausflüge. Ein Konzert, von dem man noch Tage zehren kann, erinnert man sich nur an die schiere Größe, die die Band ihrem „Graceless“ verleiht.
Beim Auftritt Post Malones hat man große Probleme, überhaupt einen Blick auf den Akteur werfen zu können. Das ganze Gelände – und wir meinen wirklich das GANZE GELÄNDE – vor der Main Stage ist gefüllt mit Menschen. Besucher verstopfen die Zugänge zum Feld, weil sie wenigstens den Trap-Tracks des Gesichtstattooträgers lauschen wollen. Die unter den gut 80.000, die freien Blick auf „Posty“ haben, erleben eine überraschend gute Show des Rappers, der mit seinem ständig zerrissen Dreinblicken und Ans-Mikro-Klammern, während er über Sauf- und Absturz-Stories erzählt, einen ziemlichen Emo-Vibe heraufbeschwört. Vor allem liefert Post Malone einen ausgezeichneten Beweis, was Pop heutzutage bedeutet: In nur vier Jahren ist es dem in Texas aufgewachsenen Musiker gelungen, sich an die Spitze eines europäischen Top-Festivals zu profilieren, indem er sich konsequent dem Zeitgeist verschrieben und dem Zeitgeist maßgeschneiderte Hits geliefert hat. Wie nachhaltig Post Malones Konzept ist, wird sich spätestens zeigen, wenn die Rezession des Traps einsetzt.
Von solchen Trends völlig unabhängig sind Florence + The Machine in den vergangenen Jahren zu internationaler Größe aufgestiegen und haben nebenbei allen Nörglern bewiesen, dass sehr wohl noch neue Headliner heranwachsen. Florence Welch zeigte sich gesanglich einmal mehr makellos und feierte mit den zahlreich zum Konzert erschienenen Besuchern das zehnjährige Jubiläum des Debütalbums LUNGS. „Cosmic Love“, der erste Song, den sie für Florence + The Machine geschrieben hat, wurde gerade durch die emotional aufgeladene Anekdote Welchs zu einem der bejubeltesten Songs des Abends.
Wanda und Bosse spielen vor gewohnten Publikum
Unter den großen Menschenmassen vor der Main Stage leiden selbstredend die anderen Musikbühnen, auf denen am Wochenende auch die ein oder anderen Acts aus dem deutschsprachigen Raum auftraten. So etwa Wanda, die zeitgleich gegen Macklemore anspielen müssen. Marco Michael Wanda begrüßt das Publikum zunächst auf Englisch, erkundigt sich nach Österreichern und Deutschen unter ihnen, worauf lautstark geantwortet wird, während nach der Frage nach nicht-deutschsprachigem Publikum die Zeltbühne totenstill wird. Ähnliches geschieht auch bei Bosse, der sich erst im grundsympathisch-kruden Schulenglisch verrenkt, um die Kniffe und Reime seiner deutschen Lyrik zu erklären, bis er merkt, dass er ohnehin nur zu Deutschen und Deutschsprachigen spricht.
Zwar ist der Ansatz des Sziget, auch nationale Acts europäischer Länder zu buchen, lobenswert und kommt dem Wunsch des Kulturaustausches nach, nur scheint dies dem Großteil des Publikums – unter ihnen etwa 15.000 britische Ryanair-Touristen und gut 50 Prozent Headliner-jagende Tagesticketinhaber – egal zu sein. So spielen Wanda und Bosse schlussendlich vor einem ihnen bereits gut bekannten Publikum, das sich wiederum sehr darüber freut, ihre musikalischen Helden noch einmal auf Stadtfest-großen Bühnen sehen zu können.
Zum Schluss noch eine kurze Service-Info für alle Wanda-Fans, die sich fragen, ob die Wiener eventuell einen neuen Song des im September erscheinenden vierten Albums CIAO! gespielt haben: Nein, haben sie nicht (auch wenn das der Bühnenmoderator angekündigt hatte). Nicht einmal die bereits erschienene Single „Ciao Baby“ bekam das Publikum in Budapest zu hören: Nach mehrmaligen Verhauen und technischen Problemen, schmiss Marco Michael Wanda seine Gitarre weg und zündete sich lieber eine Fluppe an.
Viel wichtiger und gehaltvoller als jeder neu gespielte Song war ohnehin das Lebwohl des sichtlich bewegten Marco Michael Wandas: „Bleibt’s genauso wie ihr’s seid. Habt keine Angst vor Fremden!“ Ein besseres, prägnanteres Schlusswort für einen Auftritt bei einem Festival mit Besuchern aus 100 Ländern der Welt kann man sich nicht wünschen.