Take That
Die wiedervereinigte Boy- jetzt Manband legt den Münchnern die Messlatte fürs Oktoberfest höher. Take That feiern den Abschluss ihrer überdimensionalen „Progress“-Tour im Olympiastadion.
Bitte einen großen Applaus für unsere fantastische Vorband: die Pet Shop Boys!“ Als Howard Donald mit seinem charakteristischen Lispeln gegen Ende der Show zum Dank an das Vorprogramm aufruft, mag man es gar nicht so recht glauben, dass es erst vier Stunden her sein soll, dass Neil Tennant und Chris Lowe auf ihre alten Tage noch zur Stadionband wurden. So viel ist seitdem passiert, explodiert und enthusiasmiert, es fühlt sich an, als lägen Wochen zwischen „West End Girls“, dem zuletzt gespielten Song der Synthiepopper, und diesem Moment.
Da stehen Take That stark schwitzend und stark strahlend auf einer konfettiübersäten Nebenbühne inmitten der Stehplätze vor einem 20 Meter hohen Robotermann namens Om, der sich über die Dauer des Konzerts aus dem Bauch eines noch gigantischeren großen Bruders, der mit festen Armen die Bildschirme um die Hauptbühne zusammenhält, herausgeschält hat. Gary Barlow singt „Eight Letters“, den auf Ultravox‘ „Vienna“ basierenden Abschlusssong von Take Thats Reunionalbum Progress, Mark Owen und Robbie Williams, mit Plastikblümchenketten in Deutschlandfarben um den Hals, umarmen einander unaufhörlich, Jason Orange beklatscht die zahlreichen Tänzer auf der Bühne und Howard Donald freut sich, dass er sich damals, nach dem Split der Band 1996, nicht wie geplant depressionsgeplagt in die Themse gestürzt hat.
Take That sind wieder die größte Band Europas. Und so sehr man den Teeniepop ihrer Prä-„Back For Good“-Phase gehasst, so sehr man Robbie Williams für seinen berechnenden Eklektopop abgelehnt haben mag, nach dieser Show muss man sagen: Es gab Bands an der Spitze, denen man diesen Status weit weniger gegönnt hat. Wer sich so ins Zeug legt, wer so viel Feuerwerk abfeuert, nur für einen Song die Bühne fluten lässt und dann auch noch auf diesem gewaltigen Roboter tanzt, der darf sich mit diesem Titel rühmen. Und – das muss unbedingt dazugesagt werden -, wer solche Songs hat: Take That können es sich mit dem überzeugenden Katalog ihrer Comebackzeit leisten, erst nach anderthalb Stunden mit Oldies aus den Neunzigern zu beginnen.
Mit dem einwandfreien „Wetten, dass..?“-Pop von „Rule The World“, und „The Greatest Day“ eröffnen Take That den Abend als Viermanntruppe. Ein Downer ergibt sich nur, als Mark Owen nach einem noch charmanten „Servus!“ das Publikum dazu auffordert, die deutsche Nationalhymne zu singen. Nach anfänglichem Raunen stimmen ausreichend viele der mehr als 68 000 Besucher ein. Einsetzende Zweifel ob der Makellosigkeit der Show unterbindet die Band rasch mit den Stücken „Patience“ und „Shine“.
Zu Letzterem fahren sie eine psychedelische „Alice im Wunderland“-Bühne auf, Tänzer in Wurm- und Hummelkostümen verdienen sich ihr Brot, während der Song in „Sgt. Pepper’s Lonely Heart’s Club Band“ übergeht, dessen Text eine als Donnie-Darko-Hase gewandete Projektion Robbie Williams‘ leicht abwandelt. Mit der Zeile „It was twenty years ago today, Mister Martin told the band to play“ weist Williams nicht nur auf das beeindruckende Brutto-Alter dieser enorm frisch wirkenden Band hin, sondern stellt auch klar: Ihr ehemaliger Mentor Nigel Martin-Smith hat hier rein gar nichts mehr zu melden. Take That sind ihr eigenes Produkt. Und in der Liga von Williams spielen seit Michael Jacksons Tod sowieso nicht mehr viele. Zu den „Sympathy For The Devil“-Akkorden von „Let Me Entertain You“ schießt Williams aus einem Bühnenfenster an einem Seil auf den Boden hinab, Flammenwerfer erhellen die Nacht und „Robbie Fuckin‘ Williams“, wie er sich vorstellt, feuert ein elektrifizierendes Best-of-Set ab. Klar, alles abgedudelt: „Rock DJ“, „Feel“, das unvermeidliche „Angels“. Aber mit welcher Potenz, mit welcher Energie Williams seine vertraglich festgelegten vierzig Minuten Solospielzeit bestreitet – jede Sekunde eine andere Grimasse, jede Bewegung entfesselt -, das macht sprachlos. Natürlich gibt es auch das entblößte Gesäß des erst 37-Jährigen zu bestaunen. Williams beweist sich als unentbehrlicher Risikofaktor für diese Band. Ohne ihn sind Take That eine, besonders im „Alter“, niedliche Gruppe, die sich bis an ihr Ende über ihre zweite Chance freuen wird. Und sie sind Voll-Profis, bei denen alles sitzt. Auch Williams ist Profi, aber in ihm brodelt ein Chaos, das diese Show für die ganze Familie jederzeit in eine Apokalypse zu verwandeln droht.
Erst als seine Kollegen zu ihm auf die Bühne kommen, beruhigt sich Robbie Wirbelwind. Scherzt über die gemeinsame Boyband-Vergangenheit, rappt schelmisch seinen Totalflop „Rudebox“ zu durchaus Respekt abnötigenden Breakdance-Einlagen von Donald und Orange und nimmt sich zusammen mit den anderen in einem Medley alberner Frühwerke wie „Take That And Party“, „Do What U Like“ und „Everything Changes“ auf den Arm.
„Back For Good“ und das mächtige „Never Forget“ erinnern an den rasanten Reifeprozess der Band in den Neunzigern. Nach einer Gruppenverbeugung orakelt Barlow: „Vielleicht seht ihr uns heute zum letzten Mal zu fünft. Es ist unsere letzte Show, keine Ahnung, was morgen sein wird.“ Williams wundert sich: „Hä? Weißt du was, was ich nicht weiß?“, und fügt beruhigend hinzu: „Ich habe nicht vor zu gehen.“ Erwartbares Kollektiv-Aufatmen und dann -Ausrasten im Publikum. Nach dem Discoklassiker „Relight My Fire“ der Dank an die Vorband. Ach ja, die Pet Shop Boys. Das muss man als Ex-Boyband und Ex-Hassobjekt wirklich erst mal schaffen: Die eigentlich deutlich bessere Band umgehend vergessen machen.
SetList
Take That als Quartett:
Rule The World
Greatest Day
Hold Up A Light
Patience
Shine
Robbie Williams solo:
Let Me Entertain You
Rock DJ
Come Undone
Feel
Angels
Take That als Quintett:
The Flood
SOS
Underground Machine
Kidz (inkl. Rudebox)
Pretty Things
Medley: Take That And Party/ Do What U Like/It Only Takes A Minute/Could It Be Magic/A Million Love Songs/Babe/Why Can’t I Wake Up With You?/Everything Changes
Back For Good
Pray
Love Love
Never Forget
No Regrets
Relight My Fire
Eight Letters