Hier kommt die (queere) Maus: Drei Tanz- und Trans-Geschichten von so vielen
Auch wenn es der Oberbürgermeister von Stuttgart nicht gern liest: Das Universum ist nicht binär. Anlässlich von „Dysphorie“, dem ersten Clip der Band Schrottgrenze zu ihrem neuen Album, macht Linus Volkmann in der Popwoche eine Handvoll Tanz- und Trans-Geschichten sichtbar. Hier kommt die (queere) Maus, feat. Saskia Lavaux, Sophie Rauscher, Henri Jakobs und Laura Sophie Totterdell.
Wiesbaden bloß so gnadenlos
Weil die Stadt, in der ich lebe, popkulturell ziemlich lost ist, muss ich für dieses Live-Konzert 40 Minuten Regionalexpress fahren. 40 Minuten vollgestopfter RE-Grusel und am Ende landet man … in Wiesbaden. Wiesbaden hat bessere Veranstaltungen als dort, wo ich herkomme? Fuck my life! Nein, lieber doch nicht, denn immerhin sehe ich heute die wunderbare Rapperin Finna, vor ihr tritt auch noch JNNRHNDRXX auf. Mehr Community, mehr Empowerment als bei dieser Show (die absolut keine ist) kann man kaum abbekommen im dunklen Jahr ’22.
In dem Laden hier bin ich vorher noch nie gewesen, heißt Kreativfabrik. Komischer Name – aber why not. Irgendwann suche ich das passende Klo für mich. Auf einer Tür entdecke ich neben unzähligen Stickern ein großes „H“, Bingo!
Neben den Pissoirs steht ein Schälchen mit Hygiene-Produkten. Ein praktisches Angebot und vor allem auch ein solidarischer Gruß an alle Trans-Männer, die hier mal bei einem Event in dieser Kreativfabrik landen. Ich muss an den Stuttgarter Oberbürgermeister denken, der unlängst einen Post auf Facebook absetzte, in dem er seinen Unmut darüber kundtat, dass er einen Tamponspender auf der Herrentoilette des Rathauses nicht hatte verhindern können.
Domscrolling vs. Life Is Queer
Das Thema trans* ist eben nicht bloß ein Struggle, den Betroffene mit ihrem Körper ausagieren, sondern vornehmlich auch ein Kulturkampf. Nimmt man Geschlechteridentitäten als fluider wahr oder fühlt man sich von der hinterfragten Binärität bedroht? Das mag jetzt vielleicht speziell klingen, ist es aber längst nicht mehr. Denn es geht ja nicht einfach bloß um zwei Tampons und einen Bindeneimer auf dem Herrenklo und wie dies das konservative Weltbild eines alten schwäbischen OB‘s abfuckt. Ein junger Tschetschene erschlug diesen Sommer beim Christopher Street Day in Münster Malte, einen Trans-Mann. Die Situation ist ernst, der Hass ist real, die Debatte vergiftet.
Gerade eben habe ich eine Interviewmöglichkeit mit Nina Hagen abgelehnt. Jemand, der transfeindliche Institutionen (Detrans) unterstützt, muss ich nicht mit einem Artikel zu einer neuen Platte highlighten. Schade auf diversen Ebenen.
Ich möchte diese Kolumne aber nun mal zum Anlass nehmen, das „schwere“ Thema trans* mal wieder auch vor seiner kulturellen Kulisse zu betrachten.
Mich persönlich hat nämlich die gelebte Utopie des Schrottgrenze-Songs „Life Is Queer“ stets motiviert, die bereits bestehende Diversität zu feiern. Sich 24/7 doomscrollend mit dem Schrecken und der Ignoranz der anderen Seite auseinanderzusetzen, das kann dagegen auf Dauer nur schädlich sein.
Also kein Eskapismus, aber dennoch hier mal ein poppiges Schlaglicht auf trans* und was alles damit zusammenhängt.
„Dysphorie“
Apropos Schrottgrenze, für die mindestens genauso wandlungsfähige wie langlebige Punk-Indie-Band aus Hamburg steht 2023 ein neues Album an. Wird heißen: DAS UNIVERSUM IST NICHT BINÄR. Diesen Freitag ist bereits der erste Song erschienen, „Dysphorie“, und streift sowohl textlich wie visuell das Thema trans* mehr als nur ein wenig. Ich verabredete mich auf ein Wort (oder zwei, drei) mit Sängerin Saskia Lavaux.
Normative Love-Songs der Marke „Boy meets girl“ sind popkultureller Standard. Was wollt ihr dem auf der neuen Platte entgegenhalten?
SASKIA LAVAUX: Wir haben auf der neuen Platte versucht alle möglichen Begegnungsvielfalten zu zeigen, also ein „everybody* meets everybody*“-Gedanke, der Queers, Heten und alle dazwischen umfasst. Wir haben versucht uns selbst den Raum für queer feministische Themenkomplexe wie geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung zu schaffen, den wir sonst im Rahmen deutschsprachiger Indie-Musik immer noch selten hören und entsprechend vermissen. Auch Aspekte wie queere Emanzipation und „minority pressure“, also den Druck, den zum Beispiel ich als genderfluide Person in der heterosexuellen Dominanzgesellschaft immer wieder verspüre, wollten wir in den Songs in den Mittelpunkt stellen und somit sichtbar machen. Einerseits habe ich es satt, von heteronormativer, zweigeschlechtlicher Musik und dem immergleichen „Male Gazing“ in Lovesongs beschallt zu werden, andererseits möchte ich Trans*-Themen sichtbar machen, um Personen, die trans* sind musikalisch zu empowern und Allys, also Menschen, die queere Kämpfe unterstützen wollen, für die Themen zu gewinnen.
Die erste Single trägt den eher medizinischen denn griffigen Titel „Dysphorie“, was hat es damit auf sich?
SASKIA: Dysphorie ist das sprachliche Gegenstück zu Euphorie, ein Zustand von nervöser und ängstlicher Gereiztheit, der bei Personen auftreten und der eine psychische Dauerbelastung darstellen kann, die häufig mit sozialer Ausgrenzung, mit Selbstverletzung und gar Suizid einhergehen kann. Trans*-, Inter- und Nicht-binäre-Personen sind besonders betroffen, sie haben häufig Probleme mit der ihnen gesellschaftlich zugeteilten Geschlechterrolle und hadern häufig mit dem eigenen Körper bzw. der Wahrnehmung ihrer Körper. Zudem werden diese Personengruppen von der cisgeschlechtlichen Mehrheitsgesellschaft bevormundet, begutachtet und gedemütigt, indem man ihre Existenz nicht anerkennt, sie mit Hass überzieht oder sexuell fetischisiert.
In der Bescheidwisserwelt von Social Media bekommt der Slogan „Alle kennen mich besser als mich selbst“ noch mal einen besonderen Impact. Von welchen (auch gut gemeinten) Zuschreibungen / Tipps sollten gerade Non-Binaries, Inter- und Trans-Personen endlich verschont werden?
SASKIA: Ganz grundsätzlich braucht niemand ungefragte Zuschreibungen von außen. Egal, ob es sich um das Aussehen, die Liebe oder sonst was geht. Es wichtig, die Existenz von T*IN-Personen anzuerkennen, ihr jeweiliges Selbstverständnis und ihre Selbstbeschreibungen nicht in Frage zu stellen und sie im Hinblick auf ihr Gender nicht zu bevormunden. Es ist sehr höflich und cool, wenn man sich mit seinem Pronomen vorstellt. Allein das ist für mich persönlich schon eine Geste der Anerkennung, die sehr viel Eis brechen kann.
Wen sehen wir da eigentlich in der Titelrolle des „Dysphorie“-Videos?
SASKIA: In der Hauptrolle des Videos performt die Journalistin, Künstlerin und Podcasterin (Podcast: „trans sein“) Sophie Rauscher. Wir haben uns über ihren grandiosen Podcast kennengelernt, von dem ich großer Fan bin. Wir haben auf Instagram gechattet und sie hatte die Idee zu dem Video. Sie ist eine fantastische, kreative Person. Darüber hinaus bilden die Musikerin Lia Şahin, der Autor Paul Ninus Naujoks und schließlich meine Wenigkeit die kleine Trans*-Community in dem Clip zu „Dysphorie“.
Eure neue Platte erscheint im Februar, DAS UNIVERSUM IST NICHT BINÄR. Sie markiert den Abschluss eurer „Queer“-Trilogie – war das alles wirklich so episch angelegt schon 2017 bei der Comeback-Platte GLITZER AUF BETON?
SASKIA: Ich liebe epische Alben-Zyklen, aber muss man ehrlicherweise sagen, dass die Idee der Trilogie von Album zu Album gewachsen ist. Wir sind von Platte zu Platte tiefer in queere Thematiken eingetaucht und schließlich von Themen wie sexuelle/romantische Selbstbestimmung in „Sterne“ über Empowerment-Songs wie „Life is queer“ hin zur komplexeren und kritischeren Betrachtung von Gender-Themen auf DAS UNIVERSUM IST NICHT BINÄR gekommen. Parallel dazu haben wir uns auch musikalisch weiterentwickelt und im Laufe der Zeit mit weitaus mehr Instrumenten und Klängen experimentiert, auf der neuen Platte z.B. mit Synthesizern, aber eben auch Flamenco-Gitarren. Somit bilden diese drei Platten einen vielfältigen Strauß, der nach und nach organisch gewachsen ist.
Mehr als eine ewige Trans-Jukebox sein
Musiker und Sänger Henri Jakobs (ehemals bei dem Elektropop-Duo Tubbe) ließ sich bei seiner Transition vor einigen Jahren von einer Freundin begleiten. Das Ergebnis war der preisgekrönte Podcast „Transformer“ auf Bayern 2, den Henri mit Christina Wolf bestritt. Mittlerweile hat Henri den Sendebereich Bayern verlassen und feilte zuletzt an einer Solo-Karriere. Kaum jemand verkörpert im deutschsprachigen Raum das Thema trans* auch immer mit soviel Augenzwinkern und Witz. Nun sind gleich zwei Bücher von Henri Jakobs angekündigt. Grund genug, auch hier mal nachzufragen…
Eines deiner kommenden Bücher heißt „All die brennenden Fragen“ und bildet im Interviewformat einen Austausch zwischen dir und Christina Wolf ab, die ja schon den Podcast zu deiner Transition aufgestellt hat. Kannst du schon mal bisschen teasen, was werden wir in diesem Buch (über dich) erfahren?
HENRI JAKOBS: Na klar. In „All die brennenden Fragen“, man ahnt es eventuell, geht es um all die Dinge, Umstände und Meinungen, mit denen man als trans-Person eher ungewollt konfrontiert wird. Sei es nun seitens der Gesellschaft, der Politik oder der Bürokratie. Insofern geht es zwar irgendwie um mich, in erster Linie dient meine Geschichte aber eher als Vehikel, um auf aktuelle Missstände hinzuweisen. Das passiert in Form einer freundlichen Unterhaltung zwischen best friends. Und liest sich, bei all der Tragik, dennoch ziemlich lustig, wie ich finde.
Du willst dich aber nicht in dieser (mitunter ja auch passiven) Rolle der ewigen Trans-Antwort-Jukebox erschöpfen, es steht zudem ein Roman an beim KiWi-Verlag, heißt „Paradiesische Zustände“. Wofür nutzt du diese vermutlich doch freiere Erzählform?
HENRI JAKOBS: Die ewige Jukebox! Es ist wahr. Das Geile ist: Mit diesen beiden Büchern ist von meiner Seite quasi alles gesagt. Wenn mich nach der Veröffentlichung Menschen wieder mit all ihren brennenden Fragen verfolgen, gebe ich ihnen einfach meine Bücher. Zurück zur Frage: „Paradiesische Zustände“ erzählt eine queere Coming-Of-Age-Geschichte. Es war ganz schön, nicht an die Realität gebunden zu sein, sondern dramaturgisch freidrehen zu können. So zu schreiben, dass nicht die Vorstellung erfüllt wird, die der Mainstream von queeren Menschen und ihren Leben hat, sondern echt und nah. Finde ich in der deutschen Medienlandschaft aktuell eher selten bis nie. Diese Sache mit der Authentizität, du weißt schon.
Es gibt Gerüchte, Tubbe (deine Band früherer Tage) kehren zurück. Was ist da dran und wie verhält sich das zu deiner Solo-Karriere?
HENRI JAKOBS: Stimmt! Wir nehmen ein Album auf. Es wird sehr gut und kommt im Sommer ‘23. Die Scheißigkeit der Welt ist gerade so außerordentlich, dass sie verwurstet werden muss. In Büchern, im Theater, in Musik. Das kommende Jahr wird spitze und ereignisreich. Die musikalische Solo-Karriere war ein kurzes Austreten, ich freue mich, wieder in diversen Bandkontexten wüten zu dürfen, da ist man weniger alleine auf all den Autobahnen unterwegs.
Porzellanjugend
An dieser Stelle möge man es mir nachsehen, dass ich ausnahmsweise auf eines meiner Projekte außerhalb vom Musikexpress verweise. Und zwar auf den Podcast „Komm Küssen“. Dort hatte ich gemeinsam mit meiner Co-Host Katharina „Kwittiseeds“ Schmidt die Möglichkeit genutzt, mit Laura Sophie Totterdell über ihr Buch „Porzellanjugend“ zu sprechen.
In „Porzellanjugend“ geht es darum, wie es ist, wenn man sich in seinem Körper nicht daheim fühlt und wie viel einem Rolemodels bedeuten können, wenn man irgendwo auf dem platten Land mit all dem allein vor sich hin struggelt. Laura fiktionalisiert in dem Buch ihre eigene Geschichte und gewährt sehr intime Einblicke auf diesem Roadmovie durch Schleswig-Holstein. trans* zu sein bedeutet auch hier ohne Ende Schwierigkeiten im Alltag, Angst und Verzweiflung … aber – ganz wichtig – eben nicht nur. Totterdells „Porzellanjugend“ ist gar nicht so fragil, wie man vielleicht denken mag. Kein Wunder, immerhin musste sie ja so einige Erschütterungen aushalten. So lässt sie die Leser*innen auch an spaßigen, hoffnungsvollen, großartigen und übermütigen Momenten teilhaben.
RAUSGESCHMISSEN
Das waren nur drei Tanz- und Trans-Geschichten von so vielen. Es gibt unzählige da draußen. Wenn alle mal zuhören, solidarisch sind, ist schon viel gewonnen. Und dann kommt die Zeit, da kann man endlich einfach bloß zusammen feiern, statt sich immer wieder mit der Ignoranz hinsichtlich des Themas herumzuschlagen.
Ist das zu gefühlig für’s Kolumnenende?
Ach, und wenn schon, ich bin eben auch bloß Zartcore. Wie es schon die Rapperin Finna besungen hat.
PS: Damit führt der Ausklang des Textes wieder auf seinen Anfang zurück = Zirkelschluss. Wo ist eigentlich mein Grimme-Preis, Olaf Scholz?!
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.