Tears of a Clown


25 Jahre Kinks haben ihre Spuren hinterlassen. Und die gescheiterte Beziehung zu Chrissie Hynde auch. Hinter der Fassade trug Davis schwer an seinen Depressionen. Doch plötzlich sieht alles wieder rosig aus. Steve Lake traf den Kinks-Boß in Paris.

Es war purer Zufall, daß ich, 18 Stunden vor dem Ray Davies-lnterview in Paris. Chrissie Hynde in München traf. Klatschspalten-bewanderte Leser werden wissen, daß der Kinks-Boß und die Pretenders-Chefin eine gemeinsame Tochter namens Natalie haben und zusammenlebten, bevor sich Chrissie in einen jüngeren Mann, Jim Kerr von den Simple Minds, verknallte.

„Hör zu“, hatte Chrissie gesagt, „ich rate dir, ihm gegenüber nicht zu erwähnen, daß du mit mir geredet hast. Er ist noch nicht über unsere, ahm, Episode hinweg. Wir reden nicht mehr miteinander.“

Da ich von Rays depressionsreicher Vergangenheit wußte, erwartete ich fast, ihn total am Ende zu sehen: einen tragischen alten Popstar, die Augen verquollen, ein klassischer Fall von Selbstmitleid.

In Wirklichkeit war beinah das Gegenteil der Fall. Ein introvertierter Mensch wie Davies könnte nie den Optimisten spielen; aber er war, soweit ihm das sein psychologisches Make-up erlaubte, erstaunlich munter. Die Quelle des neuen Selbstvertrauens? Larry Page, der erste Manager der Band, ist wieder bei ihnen, um nach fast 20 Jahren Trennung wieder nach seinen“.Jungs“ zu schauen.

Eine neue Frau hat er auch. Eine englische Ballett-Tänzerin, eine elegante Frau, die offensichtlich eine ganze Ecke weniger Kampfeslust besitzt als La Hynde.

Und die Kinks sind, dank Pages Zutun, bei einer neuen Plattenfirma. Nach Jahren als hauseigene Dinosaurier bei Ariola. sind sie jetzt beim angesagten Label London (bei uns im Metronome-Vertrieb), wo normalerweise junge Hipster wie Bronski Beat, Carmel und die Violet Femmes zu Hause sind. Insgesamt scheint Davies einen zweiten Frühling zu erleben, auch wenn man ihn nicht gerade einen — räusper — „absolute Beginner“ nennen kann.

Ich bin erstaunt, daß Davies den Film „Absolute Beginners“, in dem er eine größere Nebenrolle spielt, nicht gesehen hat. Mitten in den Dreharbeiten, sagt er, habe er gemerkt, daß der Zweck der ganzen Übung schlicht und einfach darin bestand. Regisseur Julien Temple nach Hollywood zu bringen. (Es hat funktioniert: Temple ist jetzt drüben und stellt gerade ein „Science Fiction-Musical“ fertig.) „Ich habe mitgemacht, weil ich den Roman von Collin Maclnnes sehr schätze. Und da ich mein Wort gegeben haue, bin ich bis zum Schluß geblieben. Vielleicht haue ich missteigen sollen, wie Elvis Costello. Weil das Ganze einfach nur aufgeblasen war. Ein Hvpe, wirklich.“

All das sagt er leutselig und ohne sichtbaren Groll. Er nimmt seine Verpflichtungen halt ernst. Deshalb hat er sich auch 25 Jahre lang mit den Kinks rumgeplagt.

Ray tat auch stets sein Bestes, um seinen Bruder Dave mit ins Rampenlicht zu ziehen. Dave revanchierte sich auf seine Art: In den rauhen 60ern waren Ohrteigen auf der Bühne bei Kinks-Konzerten keine Seltenheit. In den kultivierteren 7üern verkümmerte die Beziehung zwischen den Brüdern bis zu dem Punkt, an dem sie sich nur noch über ihre Anwälte unterhielten.

Um Daves Ego zu versöhnen, wurde Mick Avory, der bei den Kinks 20 Jahre lang Schlagzeug spielte, aus der Band entlassen; und daß Ray Manager Larry Page zurückholte, war ebenfalls ein Versuch, Dave glücklich zu machen.

„Dave und Larry haben sich immer gut verstunden. Ich dachte, daß Larry uns vielleicht als Vermittler helfen könnte, weil sich die Beziehung zwischen mir und Dave in den letzten vier oder fünf Jahren drastisch verschlechtert hat. Es sind eine Menge dummer Suchen passiert, z. B. mochte ich eins seiner Gitarrensoli nicht. Daraufhin ist er nicht zum nächsten Aufnahmetermin erschienen. Blöde, beschissene Mißverständnisse. „

Auf seine bodenständige, unkomplizierte Art ist Dave sicher ein guter Gitarrist, aber wäre es nicht einfacher, ihn zu ersetzen, als all den Ärger mitzumachen? Ray lacht. „Yeah! Die Beziehung wird immer beschissen sein, schon allein wegen ihrer bisherigen Entwicklung. Aber unter dem Markenzeichen KINKS stelle ich mir eine Band vor, in der Dave Gitarre spielt. Und wenn ich ihn motivieren kann, dann ist das den Streit wert. Er hat cm WINK VI-SUAL hart gearbeitet, und ich glaube, das Ergebnis spricht für sich selbst. „

Aber haben Rays gesungene Geschichten, seine schrulligen Alltags-Facetten überhaupt noch Platz in Paris, im Januar 1987: Ray Davies, sich am eigenen Schopf aus der Misere ziehend der modernen Pop-Welt? Wen zählt er noch zu seinen Zeitgenossen?

„Ich habe keine. Aber ich hatte selbst am Anfang keine. Ich habe in Paul Weller ein verwandtes Gemüt gespürt, als es The Jam noch gab, aber was er jetzt macht, interessiert mich nicht. Ich habe zu keiner dieser Wer Legenden je eine Verwandtschaft gespürt. Vor ein paar Jahren kam Pete Townshend nach einem Konzert hinter die Bühne. Ich hab zu ihm gesagt: ,Sieh mal, Pete, du und ich, wir halten uns nie etwas zu sagen. Glaubst du nicht, daß es jetzt ein bißchen spät ist, damit anzufangen?‘ Er hat’s ganz gut genommen, er wußte, was ich meinte. „

Rays Frau gleitet durchs Foyer dieses Pariser Art Nouveau-Hotels. „Magst du Ballett?“ fragt er. „Ich bin immer mehr fasziniert davon. Weißt du, wir Liedermacher, wir sind alle viel zu wortlastig. Für fast jeden Song, den ich geschrieben habe, habe ich zehn Verse zu viel gedichtet und mußte sie während der Aufnahmen rausschmeißen.

Dann gehst du dir ein Ballett von Prokofiev unschauen und merkst, daß er mehr sagt, als du jemals gesagt hast, indem er gar nichts sagt. „

„Unbeholfenes Zeug, diese Worte“, murmelt er vor sich hin, während er einen Kellner heranwinkt.

„Ahm … avez-vous im … ahm … Sandwich? Avec … ahm … fromage?“ Er dreht sich blöde grinsend zu mir um. „Siehst du, was ich meine?“