Tempo braucht Berlin-Berlin braucht Tempo
Eine neue, vielversprechende deutsche Band, die klingt, als hätte man die sechziger Jahre in die Achtziger transportiert und sie dabei in der Blüte des Punks aufwachsen lassen.
Birmingham, Sommer 1977. Drei junge Berliner, Bodo, Peter und Mick, machen getrennt hier Urlaub. Und sie suchten sich Birmingham ganz bewußt aus. Denn hier passiert, anders noch als in London, etwas Neues. Eine neue Musik, Punk genannt; und auch Ska und Reggae. Es spielen Bands, deren Namen sie noch nie gehört haben: „Das war eine ehrliche Musik. Sie hat oft grauenhaft geklungen, war schlecht gespielt. Aber scharf war es!“
Zeitgeschehen. Sehr direkt. Bodo, Peter, Mick und auch Marius erleben zum ersten Mal eine Musikentwicklung von Anfang an mit. Die Singles, die sie hören, gibt es in Deutschland gar nicht und in England nur in alternativen Läden. Und diese Bands kennt 1977 in Deutschland kein Aas — heute sind die meisten nicht mehr am Leben. In Birmingham holen sie sich alle den nötigen Kick, um sich wenig später selbst ans „Kaufhausbrett“, sprich billige Gitarre, zu hängen, alte Drums aus dem Keller eines Freundes zu holen und „chaotisch zu üben“.
„Es war mehr Krach, weißt du“, erzählt Peter, der ehemalige Deutsch/Erdkunde-Student. „Wir wollten einfach nur ablassen. Wir haben uns keine Gedanken gemacht, was eigentlich gespielt werden sollte. Knallen sollte es, losgehen. Technisch waren wir nicht in der Lage, Großartiges zu spielen. Wir haben es laufen lassen, wollten sehen, was passiert. Der Anspruch war, eine neue Popmusik zu machen. Eine, die Drive hat, Power. Aber auch ruhige Stücke.“
Die Einflüsse auf sie waren sehr verschieden, sind es noch heute: Beat, Punk, Jazz, Neue Musik (wie sie das nennen, was unter dem vielseitig verwendeten und oft verwirrenden Begriff ,New Wave‘ läuft). Das passiert alles zwischen Frühjahr und Herbst 78 im Probenraum einer Schule. Das 1 Gehacke auf derJ Instrumenten nimmt Formen an, sie bekommen Lust, richtige, eigene Titel zu machen. Und mit der gesteigerten Lust zur Musik, kommen auch die ersten Angebote auf Feten zu spielen. Die Besetzung wechselt; von .damals‘ sind noch Peter, der Gitarrist/Sänger/Sprecher der Gruppe, der auch die meisten Titel schreibt/textet, Drummer Bodo und Bassist Mick dabei. Marius (Gitarre) kam ein paar Monate später zu Tempo, dann Sänger Dave und der Saxophonist Bobby Sommer.
Im Herbst ’78 produzieren sie die erste Single in Eigenproduktion und Eigenvertrieb, sind damit auch in Berlin die ersten .Alternativen‘. Da sie inzwischen zum großen Geheimtip unter den Punks, Skinheads, Mods und Rockern avanciert sind, geht die Scheibe schnell weg. Wenige haben sie bis zu diesem Zeitpunkt live in Berlin gesehen, aber man kennt Tempo. Man sagt, daß es in Berlin kaum eine Mauerwand gibt, an der nicht mit einer Spraydose gespritzt „Tempo“ zu lesen ist…
SFB und RIAS werden aufmerksam, spielen ihre Nummern (auch die der inzwischen zweiten Single). „Das Geld für eine eigene LP-Produktion hatten wir nicht und der unabhängige Vertrieb liegt auch im Argen. So waren wir froh, als wir von einer großen Firma ein Angebot bekamen.“ In der Zwischenzeit ist, sie kannten sich aus dem extremen Club „SO 36“, der Wiener Bobby Sommer eingestiegen, der ein „verschärftes“ Saxophon bläst und Tempo hat eine chaotische, selbstorganisierte Tournee durch die BRD gemacht.
Bobby scheint mir auch die grüblerische, tiefsinnige/philosophische Figur im Hintergrund zu sein. Bobby hat lange Jahre in England gelebt, steht auf Coltrane, arbeitete in einer Wiener Konzert-Agentur (kennt dadurch das Geschäft auch von der anderen Seite) und lebt nun seit zwei Jahren in Berlin. Bobby gibt der Band durch sein eigenwilliges Sax-Spiel ein klanglich eigenes Gepräge. Wie sie auch mit Dave Balko einen starken Sänger und Frontman haben (hatten), denn, wie ich gerade noch erfuhr, sollen sie sich von ihm getrennt haben. Wenn das irreparabel ist, wäre es schade und unklug, denn er besitzt eine starke Ausstrahlung, bringt ihre lockere, frische Musik, die sie nicht in ein Schächtelchen mit der Aufschrift ,Beat‘, oder ,New Wave‘ versehen möchten, gut über die Rampe.
Tempo ist eine jener Bands, die in Deutschland wahrscheinlich (fast) nur in Berlin entstehen können: Berlin hat starke soziale Spannungen, das Flair des Internationalen, ist offen und doch in sich abgeschlossen. Guter Humus für Kreatives, Experimente. Tempo braucht Berlin, Berlin braucht Tempo!