Terence Trent D’Arby
Vor zwei Jahren war er everybody's darling, und bis heute wurde Terence Trent D'Arbys Debüt-Album weltweit an die acht Millionen Mal verkauft. Inzwischen ist der schöne Terry 27, seit neun Monaten Vater und felsenfest davon überzeugt, daß ihm mit seinem kompromißlos eigenwilligen zweiten Album der nächste große Wurf gelungen ist. Woher er den Glauben an sich und die Menschheit nimmt, ließ sich ME/Sounds-Mitarbeiter Rolf Lenz in Paris auseinandersetzen.
ME/SOUNDS: Drei Monate vor deinem neuen Album hat Frank Farian die Plattenkäufer mit sechs Jahre allen Aufnahmen deiner damaligen Band The Touch verwirrt. Wie hast du auf die Platte reagiert?
D’ARBY: „Sowas passiert jedem Künstler, wenn er erstmal einen Namen hat: Alle versuchen, sich eine Scheibe vom Kuchen abzuschneiden. Wenn es Farian nur darum gegangen wäre, meiner damaligen Band weiterzuhelfen, wäre nichts dagegen zu sagen gewesen — was ich ihm aber übelnehme, ist die Tatsache, daß das Album so aussah, als sei’s was Neues. Sowas ist einfach illegal. Es hat mich sehr gefreut, daß sich einige deutsche Plattenhändler geweigert haben, das Album zu verkaufen.
Den enttäuschten Käufern kann ich nur versichern, daß ich nichts damit zu tun hatte — und daß sie auf meinem neuen Album erfahren können, wie ich 1989 wirklich drauf bin. ’82/’83 war ich doch noch reichlich wirr im Kopf…“
ME/SOUNDS: Dafür hast du vor zwei Jahren in der Presse geäußert, Terence Trent D’Arby sei ein Genie — mit dem zweiten Album behauptest du jetzt, neither fish nor flesh, „weder Fischch noch Fleisch“ zu sein. Ist das deine Antwort an all die Leute, die sich damals gefragt haben: „Was glaubt der Angeber eigentlich, wer er ist?“
D’ARBY: „Ich bin nicht mit dem Gefühl ins Studio gegangen, daß ich diesen Leuten eine Antwort schuldig wäre. Außerdem setze ich mich nicht hin und sage: ,So, jetzt schreibe ich einen Song.‘ Die Ideen kommen, wie und wann sie wollen, ich steuere das nicht, das fließt so durch mich durch. Ich habe also auch keine Zeit an den Gedanken verschwendet, daß ich den Leuten jetzt irgendwas beweisen müßte.“
ME/SOUNDS: Es wird interessant zu beobachten, ob und inwieweit deine Teenie-Fans mit dem neuen Album klarkommen werden.
D’ARBY: „Ich bin kein Geschäftsmann, ich kalkuliere sowas nicht, wie’s leider immer mehr Kollegen machen. Wenn du versuchst, wirklich Künstler und du selbst zu sein, dann tust du einfach, was du tun mußt. Ich glaube auch, daß wir das Publikum manchmal zu sehr bevormunden, gerade die 15jährigen Plattenkäufer. Wer weiß, vielleicht sind das die ersten, die das Album mögen?
In England treiben sie jede Menge Marktforschung, mit der sie genau herausfinden, wer dein Publikum ist: wie alt, welche Rasse, wieviel Geld sie haben usw. Meine Firma möchte immer, daß ich mir das mal anschaue, aber ich will nicht — ich will gar nicht wissen, wer meine Platten kauft. Ich sehe die Leute bei Konzerten, ich kann sie manchmal fühlen, sie sprechen mich auf der Straße an, und so nach und nach lerne ich sie kennen. Ich will nicht, daß mir ein verdammter Computer erzählt, wer mein Publikum ist. Wie’s der Zufall will, habe ich offenbar sowieso das breiteste Publikum der ganzen Firma: weiß und schwarz, arm und reich, 15 und 50 … Prima! Bin ich stolz drauf. Deshalb mache ich jetzt aber nicht einen Song für die schwarzen Fans und einen für die weißen und einen für die Teenies…
Man sollte ausschließlich seinen Gefühlen folgen, und machmal tut man halt genau das Richtige zur rechten Zeit, am rechten Ort. mit den richtigen Leuten, und es macht einfach BUMM! Keiner kann erklären, woran das liegt. Ich bin mir ziemlich sicher, daß mein Album so eins ist. Ich kann dir auch nicht sagen, warum — ich habe sehr, sehr starke Gefühle, leidenschaftliche Gefühle, tiefe Gefühle, und denen vertraue ich voll und ganz, denn bis jetzt haben sie mich noch nie getäuscht.“
ME/SOUNDS: Gleich nach dem ersten Album hast du gesagt, du hättest dein zweites und drittes bereits fertig im Kopf— wieviel hast du von damals übernommen?
D’ARBY:“.Gar nichts. Was ich damals im Kopf hatte, war mein zweites Album als 25jähriger – —eine Standortbestimmung von vor zwei Jahren. Mein jetziges Album zeigt aber, wo ich heute stehe, meine Gefühle als 27 Jahre alter Mann. Ich fand, es wäre ungenau und bis zu einem gewissen Grad anmaßend gewesen, etwas aus der Vergangenheit hervorzuholen, was nur den damaligen Terry abgebildet hätte. Vielleicht gibt’s diese Songs später mal in anderer Form, vielleicht geb ich sie irgendwann Frank Farian …“
ME, SOUNDS: Hast du die alten Summern komplett zur Seite gelegt? Konntest du dich darin überhaupt nicht mehr wiederfinden?
D’ARBY: „Nee, die Songs waren einfach nicht mehr relevant. Ich habe nur eine kurze Aufmerksamkeits-Spanne und bin sehr schnell gelangweilt. Und ich habe gelernt, daß du als Künstler den Moment einfangen mußt — was du jetzt fühlst, mußt du auch jetzt umsetzen. Ich verbringe nicht gern mehr Zeit im Studio als ich unbedingt muß. Ich habe das Studio immer als Äquivalent zur Toilette gesehen: Wenn du lebst, atmest und dich ernährst, mußt du halt von Zeit zu Zeit aufs Klo gehen. Das Studio ist genauso ein Ort, an dem du alles rausläßt: ein notwendiges Übel.
Ich bin auch sehr naiv, was die Studio-Arbeit angeht, und bitte meine Tontechniker ständig, Sachen zu machen, die eigentlich nicht machbar sind. Ich will die Regeln, nach denen ein Studio funktioniert, gar nicht lernen — genausowenig wie ich richtig arrangieren lernen will. Ich schreibe nichtmal Noten, das macht mein Keyboarder: Dem singe ich eine Stimme nach der anderen vor, und er schreibt das dann auf. Okay, Notenschreiben sollte ich vielleicht demnächst mal lernen, aber wie ein Studio funktioniert, will ich gar nicht wissen.“
ME/SOUNDS: Weil du dich dann früher oder später nach dem offensichtlich Machbaren orientieren würdest, anstatt zunächst das Unmögliche zu verlangen?
D’ARBY: „Genau. Ein Künstler sollte immer so unschuldig wie ein Kind sein. Wenn ich etwas in meinem Kopf höre, dann will ich das genauso hinkriegen: Nichts ist unmöglich! Und manchmal kommen die Techniker gerade deshalb mit Sachen, die neu und frisch klingen, weil sie ihre Regeln brechen.“
ME SOUNDS: Mit welchen Musikern hast du diesmal gearbeitet?
D’ARBY: „Ich habe so gut wie alles selbst gemacht: 80 Prozent der Instrumente gespielt, produziert und arrangiert. Zwei Songs spiele ich live mit Band, der Rest bin mehr oder weniger ich. Bis auf Streicher. Bläser und verschiedene Bassisten, aber auch denen habe ich vorgesungen, was sie spielen sollten. Ich kann mir nicht helfen, ich höre einfach Sachen in meinem Kopf, bevor ich ins Studio gehe: Ich höre die Baß-Linie oder einen bestimmten Gitarren-Part — und dann kann ich einer anderen Person doch nicht erlauben, ihre eigenen Sachen zu spielen. Wenn ich schon vorher was im Kopf habe, dann doch nur, um’s auch zu benutzen, zumindest um einen Vorschlag machen zu können.
Zuerst dachte ich, die Musiker würden durchdrehen, wenn ich ihnen jede Note vorschreibe, aber dann waren alle ganz angetan, weil sie viel zu oft mit Leuten zusammenarbeiten, die überhaupt nicht wissen, was sie wollen.“
ME/SOUNDS: Wie hast du die Musiker ausgesucht?
D’ARBY: „Ach, wer grad da war… Schau: Viele Leute würden Bootsy Collins anrufen, weil sie das, was Bootsy macht, auf ihrer Platte haben wollen. Bei mir ist das anders: Für mich ist der ein guter Musiker, der das spielen kann, was ich in meinem Kopf höre. Ich bin da kein Snob: Solange ein Musiker fähig ist und sich etwas sagen läßt, arbeite ich mit jedem.“
ME/SOUNDS: Bist du nie an einen Punkt gekommen, wo einer deiner Mitarbeiter gesagt hat: „Nee Terry, jetzt ist Schluß. Was du da willst, geht wirklich nicht!“?
D’ARBY: „Klar. Und jedesmal hab ich gesagt: .Bullshit!‘ Darum habe ich auch nicht mehr mit einem ‚Produzenten‘ zusammengearbeitet: Ich wollte nicht riskieren, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Beim ersten Album habe ich das noch gemacht, und mein Co-Produzent Martyn Ware hatte damals auch recht, wenn er sagte: ,Paß auf, das ist deine erste Platte: Wenn du wirklich den großen Erfolg willst und wenn du ihn schnell willst, dann verzettel dich nicht:
Diesmal hatte ich das Gefühl, daß ich soweit bin. es allein machen zu können. Ich mußte es machen, ich konnte auf niemanden hören. Es geht dabei nicht um Geld oder Ruhm, sondern einfach darum, sich selbst treu zu bleiben.
Mit den Bläsern fertigzuwerden, war relativ einfach; denen gibst du ein paar wilde Noten, und sie sagen: ,Yeah, man —- wow, man.“ Klassisch trainierte Streicher sind da schon wesentlich snobistischer, die fragen erstmal: ,Wer hat denn das Arrangement gemacht: ein verminderter Sept-Akkord und dann diese None, sowas kann man nicht machen: Natürlich kann man, habe ich ihnen gesagt. ,Nein, das ist falsch!‘ Das ist nicht falsch —- das ist das, was ich in meinem Kopf gehört habe, also kanns gar nicht falsch sein!
Jedes Album, das man macht, sollte auch eine Lern-Erfahrung sein -— nicht bloß musikalisch, sondern fürs Leben. Was ich bei dem hierauf alle Fälle gelernt habe, ist, meinen instinktiven Gefühlen blind zu vertrauen. Die hat man ja schließlich nicht umsonst, darum sollte man ihnen auch die nötige Aufmerksamkeit schenken. Als Arrangeur. Sänger. Produzent oder was auch immer muß man lernen, dem Song zuzuhören. Der Song wird dir schon sagen, was er braucht und was nicht. Wenn du das mal gelernt hast, gibt es auch kein ,richtig‘ oder ,falsch‘ mehr, sondern nur noch ,fühlt sich gut an‘ oder ,fühlt sich nicht gut an‘. Duke Ellington hat schon gesagt: ,Gut ist, was gut klingt.“‚
ME, SOUNDS: Wann geht’s mit dem neuen Material auf Tournee?
D’ARBY: „Wir werden im November und Dezember eine Club-Tour machen, zwischen 500 und 1800 Zuschauern pro Auftritt. Ich brauche noch mehr Erfahrung mit kleinem Publikum. Außerdem macht das viel mehr Spaß: Ich habe mal in einer Riesen-Sportarena Vorprogramm für David Bowie gemacht und schnell gemerkt, wie einfach es ist, 50000 Leute zu verarschen. In einem Club kannst du keinen verarschen. Über Weihnachten machen wir dann Pause, und Mitte Januar geht die richtige Welt-Tournee los, in großen Hallen.“
ME/SOUNDS: Stehen sonst noch Projekte an?
D’ARBY: „Zum neuen Album sollte eigentlich auch ein Buch herauskommen, aber Pete Townshend, mein Lektor bei Faber & Faber — übrigens auch der Patenonkel meiner Tochter — hat mir gesagt, das sei alles viel zu persönlich, viel zu viel, viel zu früh und viel zu ehrlich …“
ME/SOUNDS: Du neigst wohl überhaupt dazu, mehr rauszulassen, als gut für dich ist.
D’ARBY: „Und statt Dankbarkeit für seine Ehrlichkeit zu ernten, wird man immer wieder bestraft. Ich kann mir nicht helfen, ich bin halt so. Trotzdem habe ich auf Pete gehört, ungern zwar, aber er hatte einfach recht, ich muß warten, bis die Zeit reif ist. Ehrgeiz ist eine feine Sache, aber man muß auch darauf achten, was zur jeweiligen Zeit das Richtige für einen ist.“
ME/SOUNDS: Einer deiner neuen Songs heißt „To Know Someone Deeply Is To Know Someone Softly“. Ist „to know someone softly“ ein feststehender Ausdruck oder von dir?
D’ARBY: „Ich weiß, daß die Leute mich jetzt wieder für verrückt erklären werden, aber bitteschön, sollen sie. Um’s kurz zu machen: Ich habe eines Nachts geträumt, daß Marvin Gaye zu mir kam und meinte: Ich habe hier einen Song für dich: Und er hat ihn mir vorgesungen. Das einzige was ich geändert habe, war der Text der Strophen, der war Mist. Ansonsten hat er genau das gesungen:, To know someone deeply is to know someone softly…‘, und ich dachte, das ist einfach wunderschön! Als ich morgens aufwachte, hatte ich den Song noch im Kopf, habe ihn in mein Diktiergerät gesungen und später aufgenommen.
Keine Ahnung, ob das alles meinem Unterbewußtsein entsprungen ist, oder ob mich tatsächlich sein Geist besucht hat. Wenn du stirbst, stirbt nur dein Körper — dein Geist und deine Seele sterben nicht. Und wenn du Musik machst, kommt die nicht aus dem Körper, sondern irgendwo aus der Seele. Also bin ich überzeugt davon, daß John Lennon oder Jimi Hendrix oder Marvin Gaye immer noch Musik machen. Vielleicht behalten sie die für sich, bis sie selbst wieder leben, vielleicht geben sie auch ständig anderen Leuten was ab. Vielleicht hilft John Lennon Prince, vielleicht hat Hendrix Public Enemy geholfen oder so, was weiß ich?
Es kam mir alles viel tiefer und intensiver vor als die Träume, die ich sonst so habe. Vielleicht hat Marvin sich gesagt: .Nach dem letzten Album braucht der Junge einfach ein paar gute Songs.“ Keine Ahnung, aber so ist es passiert. Ich seh schon die Schlagzeile in ,Sun‘ oder ,Bild‘: ,Terence Trent D’Arby trifft den Geist von Marvin Gave!““
ME/SOUNDS: Ein anderer Song beschreibt deinen Glauben an die Menschheit: Warum hast du immer noch „Faith In These Desolate Times“?
D’ARBY: „Weil es im Moment so aussieht, als würden wir schließlich und endlich doch noch begreifen, daß wir nicht in unser eigenes Wasser scheißen können, um uns dann beim Arzt zu beklagen, daß wir davon krank geworden sind. Wir können nicht mehr so arrogant sein, uns als Krone der Schöpfung zu betrachten: Wir stehen nicht über der Natur, sondern sind ein Teil von ihr.
Guck dir doch die ganzen Krankheiten an, die wir wieder haben. Irgendwie sorgt die Natur schon dafür, daß sie kriegt, was sie braucht -— notfalls muß sie uns halt ein Virus vorbeischicken, das uns darauf hinweist: ,Obacht, Scheiße gebaut! Ihr habt euer Immunsystem so lange mit miesen Drogen und Antibiotika unterdrückt, daß eure Körper nicht mehr in der Lage sind, euch Bescheid zu sagen, wenn ihr krank seid.‘ Trotzdem glaube ich nicht, daß es schon zu spät ist: In den letzten Jahren habe ich so viele Leute nach Möglichkeiten bewußteren Lebens suchen sehen wie nie zuvor. Gar nicht mal religiöse Leute, sondern Leute wie du und ich. Leute, die vor zwei Jahren nie und nimmer grün gedacht hätten. Leute, die Prince Charles damals zum Spinner erklärt haben, betrachten ihn heute als Visionär. Guck dir an, was diesen Sommer in China passiert ist: Was da in den jungen Leuten geweckt worden ist, wirst du so schnell nicht wieder einschläfern können. Oder guck, was in der Sowjetunion passiert…
Die 90er werden musikalisch wie sozial das tollste Jahrzehnt seit den Sixties. Die Atmosphäre stimmt jedenfalls: Es wird Tumulte geben, es wird tierisch abgehen, es wird auch gefährlich werden, aber es wird uns auf dem rechten Weg ins Jahr 2000 führen.“
ME/SOUNDS: Denkst du dabei auch an deine Tochter?
D’ARBY: „Natürlich ist das einer der Gründe, warum ich an unsere Zeit glaube: Das größte Geschenk, das ich der Menschheit machen kann, ist meinen Teil dazu beizutragen, einen anderen Menschen darauf vorzubereiten, sensibler und intelligenter mit der Welt umzugehen.“
ME/SOUNDS: Bist du ein guter Familienvater?
D’ARBY: „Meine Freundin und ich sehen uns nicht so sehr als ,Familie‘; das Wort klingt ein bißchen altmodisch, konservativ und langweilig. Wir stehen uns sehr nahe und wir haben ein Kind zusammen: ein Band, das uns eint. Wir beide haben die Verpflichtung, eine starke, unabhängige, selbstbewußte Frau großzuziehen, die keinen Mann braucht, um sich vollwertig zu fühlen.
Ich weiß, daß ich einen guten Menschen auf die Welt vorbereite. Und wenn ich sonst nichts hinkriege — das kriege ich hin! Der ganze Erfolg, den ich habe, ist vielleicht nur dazu da, ihr die richtigen Dinge mit auf den Weg zu geben, damit sie eines Tages Premierministerin werden kann.“