The Blue Aeroplanes – Beatsongs


Fast schien es, als hätte die Band aus Bristol den Moment verdiskutiert, ihre Musik aus dem Indie-Ghetto in die Öffentlichkeit zu tragen. BEATSONGS beweist: Der Schein trog.

SWAGGER, das letzte Album, lieferte bereits erste Indizien für eine Neuorientierung. Mit BEATSONGS demonstrieren die Aeroplanes jetzt, daß sie nach neunjähriger Existenz keineswegs ihren kreativen Geist aufgegeben haben, sondern im Gegenteil endlich zielstrebig genug sind, um Vollgas zu geben. Und das ohne jegliches Anzeichen von .Ausverkauf“: Ihre sechste LP ist so gewagt wie eh, abwechselnd ruppig und zerbrechlich, festlich und schlicht besoffen, luftigleicht und erdbodenschwer —- nur diesmal eben auch ungemein straff und dynamisch.

Einen .typischen Blue Aeroplane-Stil“ gibt’s nicht. Aber schon der erste Titel des Albums zeigt das (nach der LP-Produktion zum Oktett angewachsene) Septett von der typisch besten Seite: Nach ein paar kurzen Swings vom Schlagzeug steigt unauffällig ein erstes, unbezahlbares Gitarrenriff ein, dem sich ebenso unmerklich ein zweites zugesellt; und beginnt dann Langley in seiner lakonischen Art, eines seiner Gedichte zu sprechsingen, und heben dann die drei Gitarren zu einem Trialog wie in besten Television-Zeiten an, ist’s mit dem Understatement vorbei.

Es folgen stille Akustik-Geschichten, rotzige Byrds-Persiflagen, ein .Flugzeug Blues“ und sogar eine rumpelnde, obervergnügliche Version von Paul Simons .The Boy In The Bubble*. Aus allem sprüht nur so die Spiellust, was offensichtlich auch darauf zurückzuführen ist, daß die Instrumentalparts praktisch live eingespielt wurden und die Gitarristen traumwandlerisch sicher aufeinander eingehen.

Zwar bewegen sich die Songs durchweg im traditionellen (metallfreien) Gitarren-Rock-Spektrum (wobei als Einflüsse auch Richard Thompson, Throwing Muses und Buffalo Springfield hörbar werden); aber mit Instrumenten wie Akkordeon, Slide, Harmonium, Geige, einem .Marxophone“ und vor allem dem anhaltend fesselnden Zusammenspiel der Gitarren werden auch hier immer wieder neue Töne getroffen. Mit diesem Album haben die Blue Aeroplanes endlich abgehoben.

WURZELN IN ENGLAND…

Als die Flugzeuge erstmals aus der Montagehalle rollten, galt ihre Heimat Bristol gerade als äußerst hip: Man schrieb das Jahr ’82, und Bands wie The Pop Group, Rip Rig & Panic und Pigbag waren dabei, die Demarkationslinien zwischen Punk, Tanz, Jazz und Funk zu demontieren. Die einzige Konzession der (ruhen Aeroplane an den Lokaltrend war der Einbezug eines Tänzers ins Line-Up („tr gehört einfach zum Geist der Gruppe“) sowie der geradezu orchestermäßige Umfang der Band, der manche wüste, quasi-jazzige Improvisations-Kakophonie zulieB.

Ansonsten lagen die Ziele woanders: Der Texter, Sänger und passionierte Rockhistoriker Gerard Langley wollte auf verbaler Ebene neue Horizonte anpeilen, ohne dabei die Vorliebe für Fairport Convention und ähnlich unmodischen Folk-Rock der späten 60er zu verhehlen. Der Bandumfang erklärte sich dadurch, daß man sich so viele stilistische Optionen wie möglich offenhalten wollte, aber kaum Musiker fand, die .alles“ bringen konnten. Die drei Gitarren waren notwendig, weil – so Langley „alle großen Bonds wie die Stones oder Zeppelin keine guten Platten mehr machten, als sie sich auf die Crfordernisse der Stadien-Gigs einrichteten und nur noch standardisierte Riffs spielten, anstatt mit verschiedenen Texturen von Gitarrenklängen zu arbeiten“.

Das resultierende Oktett (mal mehr, mal weniger) machte LPs mit Titeln wie BOB ART (’83). TOLERANCE (’86) und SPIT-TING OUT MIRACLE (’87), splittete und regruppierte sich nach Herzenslust und schien auf ewig in der Schublade .Indie-Kult-Lieblinge“ abgelegt werden zu wollen. Wenn da nicht einige Amerikaner ein Faible für gitarrengeprägte Rocksongs mit britischer Folk-Prägung gehabt hätten: In den USA begann man, die Aeroplanes im gleichen Atemzug mit den Pixies oder R.E.M. zu nennen.

Zur Band gehören vom Ur-Kern nur noch Langley und der zappelige Tänzer Wojtek sowie gelegentlich lan Kearey, aber die Vision von „guten Texten, schönen Gitarren und stilistischer Offenheit“ ist geblieben.

…ERFOLG IN AMERIKA

,LA Ist toll“, schwärmt Gitarrist Rodney Allen. JUIe fahren im offenen Wagen rum, damit sie vor den Ampeln miteinander schwätzen können. Und da sagt doch plötzlich jemand zu uns: ,Great, Ihr Jungs seid sicher aus Cngland.‘ Ja schon, aber woher weißt du das? ,ln Kalifornien trägt sonst niemand schwarz!‘ Die sind regelrecht anglophil da drüben!“

Die Aeroplanes haben gut lachen: Nachdem sie zusammen mit R.E.M. auf US-Tour gingen, dominierte die LP SWAGGER – ihr Debüt auf einem Nicht-Indle-Label – wochenlang die .College Charts* des .Rolllng Stone*. Wenn das auch .bloß“ das US-Pendant zu unseren .Indie Charts* ist, schlug sich dieser Achtungserfolg doch in respektablen Umsätzen nieder. Langley: „Es gibt eine neue Generation von Hach-Punk-Bands, deren Einflüsse ebenso die Beatles sind wie Velvet Underground, Fairport Convention oder Jefferson Airplane. Is ist ein transatlantischer Musikstil entstanden, der weder britisch noch amerikanisch ist.“

Dabei waren die Aeroplanes mit SWAGGER nicht mal übermäßig glücklich. Rodney: „Vor allem die Gitarristen waren enttäuscht. Denn am liebsten spielen wir als Band alles Ihre ein. Du gibst mehr, wenn du weißt, daß jeder Take als Ganzes verwendet wird. Beim letzten Album stimmte das Studio nicht, ts war so klein, daß wir die Amps in die Toilette stellen mußten. Der Sound war miserabel, und so mußten wir gegen unsere Oberzeugung doch noch Overdubs machen.‘ Diesmal hafs geklappt: Durch den Produzenten Larry Hisch (Costellos .King Of America*, Los Lobos) stießen sie auf das Oceanway Studio in LA. „Wir buchten es letztlich wegen der Mikrophone“, schwärmt Langley, und Rodney fällt ihm ins Wort. .0er nackte Wahnsinn! All diese Valve-Mlkrophone, steinalt, alle aus den 60er Jahren, und erst die Valve-Verstärker! Wir Gitarristen hoben alle so klassische Gitarren wie Rickenbacher oder Gibson, und die klingen mit diesem Equipment einfach traumhaft gut.“ Langley: »So konnten wir endlich, endlich die Instrumentaltracks praktisch live einspielen. Das macht die Sache viel intensiver.“ Man hörts.