The Mars Volta – The Bedlam in Goliath
Mutierter Speed Metal trifft ultrahocherhitzten Blues-Rock auf dem vierten Studioalbum der Neo-Proog-Band.
Unsereiner betreibt ja schon von Berufs wegen gerne die Phänomenisierung von diversen Bands. Die „Phänomene“ in Zusammenhang mit The Mars Volta hängen allerdings eher mit deren Hörerschaft zusammen als mit der Band selbst.
Phänomen 1 (alt, aber immer aktuell): Die Mars-Volta-Fans, ein Kreis von Prog-, Avantgarde-, Freejazz-Unverdächtigen, delektieren sich an einer Musik, die aus der tiefen Kenntnis von Prog, Avantgarde und Freejazz heraus entsteht.
Phänomen 2: An sich zuverlässige, mit allen Wassern komischer Musiken gewaschene Musiknerds bekommen Hautausschlag, wenn sie The Mars Volta hören und lassen sich zu Hassäußerungen hinreißen. Phänomen 3: Oldschool-Prog-Hörer reagieren gekränkt, weil sie nicht verstehen können, weshalb die unter Phänomen 1 Genannten die Mars-Volta-Variante des Progrock goutieren und gleichzeitig die akademisch gniedelnden Musikprofessoren aus den 70ern gar nicht einmal ignorieren. Phänomene 1 und 3 können dadurch erklärt/ aufgelöst werden, dass The Mars Volta als (post-)modern wahrgenommen wird, auch deshalb, weil Omar Rodriguez-Lopez und Cedric Bixler-Zavala imstande sind, ihrer Musik und ihren Auftritten eine „Sexyness“ zu verleihen, die ihren Vorgängern schon in den 7oer-Jahren abgegangen ist. Für die, die sich in Phänomen 2 wiedererkennen, ist das vierte Mars-Volta-Album The bedlam in Goliath wieder ein willkommener Anlass zum Kotzen. Allein schon wegen der Songtitel mit ihren Bezügen zu Bibel, Gott, Engeln, archaischer Symbolik, griechischer Mythologie und italienischer Oper. Und dann die Musik erst. Obwohl die nach „objektiven“ Maßstäben immer zugänglicher wird. Der zweite Track „Metatron“ zum Beispiel klingt fast schon „normal“, die Strukturverschiebungen halten sich in Grenzen, oder anders: Man fühlt sich im Verlauf dieser acht Minuten nicht in vier verschiedenen, sondern nur noch in zwei Songs – das ist mutierter Speed Metal inkl. splitterndem Flötensolo. „Ilyena“ ist eine 70er-Jahre-Psych-Fantasie mit funky Kopfstimmen. Und wer will, kann aus „Agadez“ ultrahocherhitzten Blues Rock herauslesen. The Mars Volta klingen in den elf (relativ) kurzen Stücken (das längste noch unter der Zehn-Minuten-Grenze), als versuchten sie sich an einer Reinterpretation abgehakter Rockspielarten. Gemessen am Vorgänger Amputechture ist The bedlam in Goliath ein fast „konventionelles“ Album. Wir konstatieren Stagnation auf hohem Niveau, weniger Freejazz, mehr Rock, weniger scharfe Richtungswechsel und mehr splitternde Gitarrensoli. Wie eine defragmentierte Festplatte mit dem Mars-Volta-Soundarchiv. Verglichen mit dem Rest „da draußen“ ist das freilich immer noch eine musikalische Sensation. Und die Einladung zur Polarisierung. VÖ: 25.1.
www.themarsvolta.com