The Residents: Hamburg, Kampnagel
FEIERUCHE STIMMUNG. MIT JEDER MINUTE, DIE das große Ereignis näher rückt, wird klarer, worum es hier nicht geht: Rock’n’Roll oder Jugendkultur. Dabei ist das gewöhnlich Theater und Performance vorbehaltene Hamburger Kampnagel-Gelände noch der unprätentiöseste Auftrittsort dieser ersten großen Tournee der enigmatischen Avantgardisten aus San Francisco seit einem Jahrzehnt.Trotzdem-, ein Ankündigungs-Gong, Rauchverbot im vollbestuhlten Raum und – natürlich-ein breiter Vorhang geben den Rahmen vor. Das hier ist E-Kultur, trotz der kleinen Schar schwarzbekittelter Freaks und einiger Punks. Schließlich begeben sich die Residents mit ihrem Album „Wormwood“ – einer Sozialkritik der großen normativen Bleiplatte namens Bibel und dieser Tour ja auch direkt ins Zentrum der Geschichte des Abendlandes. Wobei ihr Umgang mit der Thematik Religion natürlich um einiges progressiver ausfällt als die übliche Altersspiritualität. Passend für Menschen, die sich in ihren Maskeraden auf Augen reduzieren, beginnt das Spektakel mit Salomes Tanz als Anklage gegen den männlichen Blick, gefolgt von der Abrechung mit Abraham und Moses und der partiellen Rehabilitierung von Kain und Judas. Gute, kluge kreative Spitzen zuhauf und die, an denen die Informationsdichte vorbeifliegt, können jedes Wort im Programmheft nachlesen. Alles prima also-bis auf die Ästhetik. Zweieinhalb Stunden Erinnerung daran, in welchem Jahrzehnt die Residents begannen, läßt das Bewußtsein, es hier mit einer revolutionären Gruppe zu tun zu haben, langsam entschlummern. Voll von klassischen Bezügen lassen die vier Augen ihre Sänger in venezianischen Vogelmasken auf die Schwarzlichtbühne kommen. Die Vorträge offenbaren sich dann als Theater in all seiner theatralischen Pein, musikalisch unterlegt mit einem mauscheligen, kaum modernisierten Bastard aller Prog-Abgründe der Siebziger mit Abstechern zum Alan Parsons Project. Große Band, große Show aber auch großer Schmerz. Zeit für eine Aktualisierung.